Annäherung an einen umstrittenen Staatsrechtler
10.07.2008
Der Name Carl Schmitt spaltet noch heute die Geister. Die einen sehen in dem antirepublikanischen Staatsrechtler den Totengräber der Weimarer Republik und ideologischen Vordenker der Nazis; die anderen halten ihn für einen großen Denker und brillanten Autor. Christian Linder hat mit "Der Bahnhof von Finnentrop – Eine Reise ins Carl Schmitt Land" eine Annäherung an den berühmt-berüchtigten Staatsrechtler versucht.
Weder wollte Christian Linder den "zehntausendundeinsten Kommentar über Carl Schmitts Bücher legen" noch sich an der "Zerredung seines Werks beteiligen". Das hat der Autor, der sich auf die Reise ins Carl-Schmitt-Land begibt, also ins sauerländische Plettenberg, auch nicht getan. Er hat vielmehr Schmitt selbst reden lassen, aber auch seine Freunde und seine Feinde.
Herausgekommen ist ein Buch, das mit zahlreichen Zitaten das Leben und Denken Carl Schmitts beschreibt – eine Art Originalton-Reportage. Linder, der übrigens selbst aus dem Sauerland stammt, bewertet auch. Er spricht von kraftstrotzenden Sätzen, vom anmaßenden Ton und der Überheblichkeit Carl Schmitts. Er hält nichts verborgen, lässt nichts aus, vor allem nicht die antisemitischen Ausfälle und die Elogen auf den Führerstaat. Linder schreibt vom "Ungeheuer", das sich gern ans Klavier setzt und seiner Tochter Anima die "weltgeschichtliche Betrachtung" von "Land und Meer" erzählt.
Derselbe Mann rechtfertigte die Morde nach dem angeblichen Röhmputsch mit seiner Schrift "Der Führer schützt das Recht" und feierte den Nürnberger Parteitag der NSDAP von 1935, auf dem die Rassegesetze verkündet wurden, als "Reichsparteitag der Freiheit". Antisemitisches schrieb er schon in seinen frühen Tagebüchern von 1912 bis 1919. Aber auch 1947, Schmitt war Ende 50, trug er in seine neuen Tagebücher ein, "dass die Juden immer Juden bleiben. Während der Kommunist sich bessern und ändern kann. Das hat nichts mit nordischer Rasse usw. zu tun. Gerade der assimilierte Jude ist der wahre Feind."
Carl Schmitt, 1888 im sauerländischen Plettenberg als Sohn eines katholischen Kaufmanns geboren, genoss eine humanistische Bildung, auf die er Zeit seines Lebens großen Wert legte. Er studierte Jura in Berlin, München, Straßburg, wurde Professor zunächst in Greifswald, dann in Bonn, später in Berlin. Ende der zwanziger Jahre war er bereits einer der führenden Staatsrechtler. Berühmt wurde Carl Schmitt in dieser Zeit mit seiner Schrift "Der Begriff des Politischen", in der er Politik auf die "Unterscheidung von Freund und Feind" reduziert. Und der erste Satz in seiner "Politischen Theologie" wird auch heute noch gern von autoritär denkenden Politikern zitiert: "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet." Der scharf denkende Jurist mit der brillanten Sprache beeinflusste ganze Generationen von Juristen, Philosophen, Theologen und Politikwissenschaftlern überall auf der Welt – obwohl er sich auf die Seite der Nationalsozialisten geschlagen hatte und auch später keine Reue zeigte.
Christian Linders Buch ist nicht chronologisch angelegt. Es sind drei Handlungsstränge zu erkennen, die sich durch das ganze Buch ziehen. Da ist das Verhör während der Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg, wo Schmitt dem Ankläger Robert Kempner Rede und Antwort steht und sich unter anderem damit herausredet, eine "intellektueller Abenteurer" zu sein. Da findet in der Burgruine Schwarzenberg im Sauerland eine fingierte Gerichtsverhandlung statt, in der es darum geht, ob Schmitt seine Pension zugesprochen werden soll. Unter den Zeugen: Ernst Jünger, Rüdiger Altmann, und Paul Noack, der 1993 eine Schmitt-Biografie herausbrachte. Und im dritten Handlungsstrang schließlich begegnet der Autor dem alten Mann selbst in den sauerländischen Bergen und holt auf diesem Weg ein Gespräch nach, das sich 30 Jahre zuvor anbahnte, aber nicht zustande kam. Alle Gesprächsszenen, auch die erfundenen, fußen auf Zitaten aus den sehr reichhaltigen Quellen.
Nach der Nürnberger Haft zog Schmitt sich nach Plettenberg, in seine Heimatstadt, zurück, angeblich – so Schmitt – in die "Sicherheit des Schweigens". Er schwieg jedoch nicht, nur der Weg an die Hochschulen und Universitäten blieb ihm verwehrt, worunter er zeitlebens litt. "Nein, er war nicht gebrochen und meinte, keinen Anlass zur Reue zu haben", schreibt Linder. "Der Kampf ging für ihn weiter, gegen einen Feind, der einmal als Antichrist auftaucht, dann als Jude und oft auch als Antichrist und Jude in einer Person." Er führte den Kampf schreibend und in den zahlreichen Gesprächen mit Wissenschaftlern, ehemaligen Schülern und neuen Bewunderern, die ihn in Plettenberg, das er nach Macchiavellis Exil sein "San Casciano" nannte, immer wieder besuchten; darunter der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde, der Philosoph Jacob Taubes, die Publizisten Johannes Gross und Rüdiger Altmann, der Philosoph Hans Blumenberg, auch Ernst Jünger und Nicolaus Sombart. Wenn sie mit dem Zug kamen, mussten sie in Finnentrop, einem kleinen Nachbarort, aussteigen, weil Plettenberg keinen eigenen Fernbahnhof hatte. Der Bahnhof von Finnentrop war für Schmitt gewissermaßen das Tor zur Welt.
17.500 Briefe finden sich in Schmitts Nachlass. Die Masse der Schmittschen Zitate ist manchmal jedoch überwältigend, zumal sein zwar brillanter, aber auch pathetischer und bildungsbürgerlich verbrämter Sprachstil – immer wieder mit lateinischen oder griechischen Vokabeln durchsetzt – nicht leicht zu lesen ist. Aber Christian Linder, der Hörfunkjournalist, versteht sich auf die Montage von Originalton-Zitaten. Es sind vor allem die Dialoge, die das Buch zu einer spannenden Lektüre machen und einen Eindruck von der schillernden Gestalt Carl Schmitt vermitteln - nicht nur die Perspektive der Sauerland-Nachkriegszeit, auch wenn das der Titel des Buchs, "Der Bahnhof von Finnentrop – eine Reise ins Carl Schmitt Land" vermuten lässt.
Rezensiert von Annette Wilmes
Christian Linder: Der Bahnhof von Finnentrop, Eine Reise ins Carl Schmitt Land,
Matthes & Seitz, Berlin 2008, 478 Seiten, 34,90 Euro.
Herausgekommen ist ein Buch, das mit zahlreichen Zitaten das Leben und Denken Carl Schmitts beschreibt – eine Art Originalton-Reportage. Linder, der übrigens selbst aus dem Sauerland stammt, bewertet auch. Er spricht von kraftstrotzenden Sätzen, vom anmaßenden Ton und der Überheblichkeit Carl Schmitts. Er hält nichts verborgen, lässt nichts aus, vor allem nicht die antisemitischen Ausfälle und die Elogen auf den Führerstaat. Linder schreibt vom "Ungeheuer", das sich gern ans Klavier setzt und seiner Tochter Anima die "weltgeschichtliche Betrachtung" von "Land und Meer" erzählt.
Derselbe Mann rechtfertigte die Morde nach dem angeblichen Röhmputsch mit seiner Schrift "Der Führer schützt das Recht" und feierte den Nürnberger Parteitag der NSDAP von 1935, auf dem die Rassegesetze verkündet wurden, als "Reichsparteitag der Freiheit". Antisemitisches schrieb er schon in seinen frühen Tagebüchern von 1912 bis 1919. Aber auch 1947, Schmitt war Ende 50, trug er in seine neuen Tagebücher ein, "dass die Juden immer Juden bleiben. Während der Kommunist sich bessern und ändern kann. Das hat nichts mit nordischer Rasse usw. zu tun. Gerade der assimilierte Jude ist der wahre Feind."
Carl Schmitt, 1888 im sauerländischen Plettenberg als Sohn eines katholischen Kaufmanns geboren, genoss eine humanistische Bildung, auf die er Zeit seines Lebens großen Wert legte. Er studierte Jura in Berlin, München, Straßburg, wurde Professor zunächst in Greifswald, dann in Bonn, später in Berlin. Ende der zwanziger Jahre war er bereits einer der führenden Staatsrechtler. Berühmt wurde Carl Schmitt in dieser Zeit mit seiner Schrift "Der Begriff des Politischen", in der er Politik auf die "Unterscheidung von Freund und Feind" reduziert. Und der erste Satz in seiner "Politischen Theologie" wird auch heute noch gern von autoritär denkenden Politikern zitiert: "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet." Der scharf denkende Jurist mit der brillanten Sprache beeinflusste ganze Generationen von Juristen, Philosophen, Theologen und Politikwissenschaftlern überall auf der Welt – obwohl er sich auf die Seite der Nationalsozialisten geschlagen hatte und auch später keine Reue zeigte.
Christian Linders Buch ist nicht chronologisch angelegt. Es sind drei Handlungsstränge zu erkennen, die sich durch das ganze Buch ziehen. Da ist das Verhör während der Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg, wo Schmitt dem Ankläger Robert Kempner Rede und Antwort steht und sich unter anderem damit herausredet, eine "intellektueller Abenteurer" zu sein. Da findet in der Burgruine Schwarzenberg im Sauerland eine fingierte Gerichtsverhandlung statt, in der es darum geht, ob Schmitt seine Pension zugesprochen werden soll. Unter den Zeugen: Ernst Jünger, Rüdiger Altmann, und Paul Noack, der 1993 eine Schmitt-Biografie herausbrachte. Und im dritten Handlungsstrang schließlich begegnet der Autor dem alten Mann selbst in den sauerländischen Bergen und holt auf diesem Weg ein Gespräch nach, das sich 30 Jahre zuvor anbahnte, aber nicht zustande kam. Alle Gesprächsszenen, auch die erfundenen, fußen auf Zitaten aus den sehr reichhaltigen Quellen.
Nach der Nürnberger Haft zog Schmitt sich nach Plettenberg, in seine Heimatstadt, zurück, angeblich – so Schmitt – in die "Sicherheit des Schweigens". Er schwieg jedoch nicht, nur der Weg an die Hochschulen und Universitäten blieb ihm verwehrt, worunter er zeitlebens litt. "Nein, er war nicht gebrochen und meinte, keinen Anlass zur Reue zu haben", schreibt Linder. "Der Kampf ging für ihn weiter, gegen einen Feind, der einmal als Antichrist auftaucht, dann als Jude und oft auch als Antichrist und Jude in einer Person." Er führte den Kampf schreibend und in den zahlreichen Gesprächen mit Wissenschaftlern, ehemaligen Schülern und neuen Bewunderern, die ihn in Plettenberg, das er nach Macchiavellis Exil sein "San Casciano" nannte, immer wieder besuchten; darunter der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde, der Philosoph Jacob Taubes, die Publizisten Johannes Gross und Rüdiger Altmann, der Philosoph Hans Blumenberg, auch Ernst Jünger und Nicolaus Sombart. Wenn sie mit dem Zug kamen, mussten sie in Finnentrop, einem kleinen Nachbarort, aussteigen, weil Plettenberg keinen eigenen Fernbahnhof hatte. Der Bahnhof von Finnentrop war für Schmitt gewissermaßen das Tor zur Welt.
17.500 Briefe finden sich in Schmitts Nachlass. Die Masse der Schmittschen Zitate ist manchmal jedoch überwältigend, zumal sein zwar brillanter, aber auch pathetischer und bildungsbürgerlich verbrämter Sprachstil – immer wieder mit lateinischen oder griechischen Vokabeln durchsetzt – nicht leicht zu lesen ist. Aber Christian Linder, der Hörfunkjournalist, versteht sich auf die Montage von Originalton-Zitaten. Es sind vor allem die Dialoge, die das Buch zu einer spannenden Lektüre machen und einen Eindruck von der schillernden Gestalt Carl Schmitt vermitteln - nicht nur die Perspektive der Sauerland-Nachkriegszeit, auch wenn das der Titel des Buchs, "Der Bahnhof von Finnentrop – eine Reise ins Carl Schmitt Land" vermuten lässt.
Rezensiert von Annette Wilmes
Christian Linder: Der Bahnhof von Finnentrop, Eine Reise ins Carl Schmitt Land,
Matthes & Seitz, Berlin 2008, 478 Seiten, 34,90 Euro.