Anna Haifisch: "Residenz Fahrenbühl"

Die lächerlichen Seiten des Künstlerdaseins

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Ausschnitt aus Anna Haifischs Comic "Residenz Fahrenbühl": Zwei Mäuse bauen einen Schneemann, sind mit dem Ergebnis aber nicht zufrieden.
Die Kunst, einen Schneemann zu bauen: Die Helden in Anna Haifischs neuem Comic sind zwei Mäuse, die mit ihrem Künstlerdasein hadern. © Anna Haifisch / Spector Books
Von Jule Hoffmann · 10.03.2021
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Zwei Mäuse machen Kunst und kämpfen gegen Schaffenskrisen und Selbstzweifel: In dem Comic "Residenz Fahrenbühl" nimmt Anna Haifisch den Kunstbetrieb aufs Korn. Die Geschichte erinnert an Janosch, die Ästhetik eher an Punk-Zines.
Die Szene: ein paar kahle Bäume und ein verschneites altes Gehöft, die fiktive Künstlerresidenz Fahrenbühl. Zwei Mäuse bauen einen Schneemann, und stellen nach getaner Arbeit fest: Er ist so … gewöhnlich. In ländlicher Abgeschiedenheit kämpfen zwei Künstler in Gestalt von Mäusen gegen den geistigen Verfall. Und fragen sich: Warum sind wir hier?
"An diesem Punkt denke ich: Es ist geradezu sadistisch, dass ich an diesem unbedeutenden Ort unbedeutende Bilder malen soll. Man traut mir nichts mehr zu."
"Nicht für jeden ist ein Aufenthalt in Fahrenbühl sinnvoll": Staatsministerin für Kultur und Wirtschaft.
"Unsere Residenz kann mit der urbanen Infrastruktur einer postglobalen Welt nicht mithalten, dessen sind wir uns bewusst. Und doch ist Fahrenbühl der letzte Ort, der Freiheit, Sicherheit und Wohlstand garantieren kann", heißt es bei der Fahrenbühler Kulturstiftung.

Paradies ohne Impulse

"So eine Künstlerresidenz, das ist ja eigentlich etwas ganz Paradiesisches, ein schöner Ort", findet die Comiczeichnerin Anna Haifisch. "Nur wird es natürlich ein bisschen weird, wenn man sich irgendwo im ländlichen Raum wiederfindet, wo gar nichts auf einen einprasselt, wo man wirklich auf sich selbst zurückgeschmissen ist. Und dann kann man mit Freiheit, Sicherheit und Wohlstand vielleicht auch nicht so viel anfangen."
Mit viel Sinn für die lächerlichen Seiten des Künstlerdaseins und seiner Abhängigkeit von gesellschaftlicher Wertschätzung und finanzieller Hilfe, nimmt Anna Haifisch in ihrem neuen Comic den Kunstbetrieb aufs Korn. Eine ihrer Spezialitäten, könnte man sagen. Nicht umsonst wurde sie für ihre Zeichnungen des sehr mageren "Artist" international bekannt, der mal schlotternd die Beine angezogen in einer Ecke, mal auf einer Matratze auf dem Fußboden eines kahlen Raums kauert. Auch in der "Residenz Fahrenbühl" haben die Mäuse gegen Schaffenskrisen und Selbstzweifel zu kämpfen.
"Ich drehe mich tatsächlich im Kreis", so die Autorin. "Aber es ist halt auch nie auserzählt, habe ich das Gefühl – Künstler eignen sich einfach wunderbar als Personal für Comics. Bei Künstlern kann man die Probleme und die Weinerlichkeit ein bisschen straffer zusammenzurren und das auch mehr übertreiben, weil mir das natürlich näher ist. Es fällt mir leichter, das in die Pfanne zu hauen als irgendwas anderes."

Janosch, Ironie und Copyshop-Ästhetik

Vieles in Fahrenbühl erinnert an die Geschichten von Janosch: Zwei Mäuse als Helden der Geschichte, Fachwerkhäuser zwischen Feldern, eine Küche mit viel Liebe für Details: auf dem Tisch eine Flasche Wein und ein halber Brotlaib, unter dem Tisch Papier mit Zeichnungen. Ein bisschen Janosch also, aber gekoppelt mit Ironie und avanciertem Humor – und einer Ästhetik, die mehr an Punk-Zines erinnert: Die rohen, skizzenhaften lila Zeichnungen kontrastiert Haifisch mit dem Font Arial Mono. Die Sprechblasen sind mit Computertastatur getippt. Maschinell erstellte Copyshop-Ästhetik quasi. Auf Instagram hat sie außerdem kleine Trailer für den Comic produziert, samt eigens mit der Apple Software "GarageBand" komponiertem Soundtrack.
Die Skizzenhaftigkeit unterscheidet "Residenz Fahrenbühl" von anderen Haifisch-Comics, die sonst mit klaren Flächen und satten Farben arbeiten. Immer aber sind Anna Haifischs Helden Tiere: inhaftierte Meerschweinchen, tanzende Fledermäuse, Frösche, Flamingos. Ein besonderes Faible hat sie für Windhunde. Nichts ist herzzerreißender als ihre Zeichnungen dieser dünnen Tierchen mit Knopfaugen, die ihre schlaksigen Gliedmaßen nicht unter Kontrolle haben.

In der Tradition von Snoopy

Eine der besten Zeichnungen im Fahrenbühl-Comic ist die, wo eine Maus Gollum-artig mit dem Rücken zur Betrachterin den Wlan-Router in beiden Händen hält, um im nächsten Moment in einer Art Anfall die Antenne abzubrechen. Der Witz steckt bei Haifisch in der Zeichnung, und er ist originell bis genial. In der Tradition von Snoopy und anderen "funny animals" haben ihre Comics aber nicht nur Witz, sondern auch Tiefe.
"Charles Schulz schafft das ja irgendwie, Humor mit einer ganz großen Melancholie zu verbinden. Da fühle ich mich total zu Hause, sowas lese ich auch einfach gern. Also nichts, was einen zu Tode deprimiert natürlich. Aber es braucht immer einen kleinen Twist. Und das versuche ich auch immer herzustellen, in meinen Geschichten oder Büchern. Aber nie auf Kosten der Figuren. Wenn mir das gelingt, dann denke ich, es ist erst mal okay."

Mitternachtssnacks auf Instagram

Auf Instagram kann man Anna Haifisch in ihren Storys nicht selten bei einer Nachtschicht begleiten. In ihrem Leipziger Gemeinschaftsatelier, zwischen einem Stiftehalter des Disney-Kojoten Ralph Wolf, einer Tasse von Charles Schulz‘ Linus mit der Schmusedecke und einer Spielfigur von Snoopys hagerem Bruder Spike, lässt sie ihre Followerschaft nicht nur teilhaben an neu entstehenden Zeichnungen, sondern auch an ihren Mitternachtssnacks: Mais aus der Dose, Red Bull, Partygarnelen – eine vom Discounter um die Ecke inspirierte "Trash Cuisine".
"Ich poste dann meistens wirklich die widerlichsten Sachen. Meistens holen wir ja irgendwas von außerhalb, das ist manchmal aber auch nicht minder ekelhaft. Ich habe eine Mitgliedskarte beim Döner-King. Das spricht auch nicht für mich. Das ist schon teilweise desolat, was ich hier esse oder wir, ich bin ja auch nicht alleine. Wenn ich irgendwann mit 40 an einem Herzinfarkt sterbe, dann sagen alle: Ah ja! Sie hat ja wohl nicht auf sich geachtet. So hager."
Das Ende von "Residenz Fahrenbühl" trägt entsprechend eine typische Haifisch-Handschrift: Eine der beiden Mäuse reagiert so allergisch auf eine Dr.-Oetker-Paradiescreme, dass die andere den Notarzt rufen muss: "Irgendwie dachte ich, das kommt mir so passend vor, das ist etwas ganz Harmloses und bedroht einen dann. Ich meine, wenn man Paradiescreme nicht überlebt, ist man wahrscheinlich sowieso nicht geschaffen für diesen Planeten."

Komische Tierzeichnungen, pointierte Sätze

Als Anna Haifisch 2016 mit dem e.o.plauen-Förderpreis ausgezeichnet wurde, hielt die inzwischen verstorbene Jutta Harms, die eine wichtige Wegbereiterin für den deutschen Autorencomic war, die Laudatio: Angesichts des großen "Erfolgs der literarischen Comics, der sogenannten Graphic Novels" mit den "überaus ernsthaften, manchmal auch sehr schweren Stoffen" habe Anna Haifisch sie wieder daran erinnert, wie viel Freiheit in Comics möglich sei.
Tatsächlich versteht Anna Haifisch mit ihren komischen Tierzeichnungen und pointierten Sätzen wie kaum eine andere etwas vom Comic-Kerngeschäft – unbeirrt von Trends und ohne falschen Ehrgeiz:
"Ich bin mir halt nicht sicher: Ich meine, das wäre jetzt wahrscheinlich, im besten Sinne des Wortes, eigentlich eine Graphic Novel, weil es sich ja auch ein bisschen als Belletristik tarnt, auch von der Aufmachung her. Und inhaltlich weiß ich immer gar nicht, was eine Graphic Novel ist. Also es sind wahrscheinlich Comics."

Anna Haifisch: "Residenz Fahrenbühl"
Spector Books, Leipzig 2021
150 Seiten, 14 Euro

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