Anmeldung zur Oberschule

Verteilungskampf um Schulplätze

Ein leeres Klassenzimmer in der Carl-Humann-Schule in der Scherenbergstraße in Berlin-Prenzlauer Berg.
Die Plätze in jeder Schule sind begrenzt - was beim Schulwechsel die Konkurrenz zwischen Eltern befeuert. © Fabian Sommer /dpa
Beobachtungen von Ebru Taşdemir · 11.02.2019
Im Februar beginnt die Anmeldezeit für die Oberschulen. Und plötzlich werden eigentlich nette Eltern zu Neidhammeln und Ellbogenausfahrerinnen. Das beobachtet die Publizistin Ebru Taşdemir bei anderen – und bei sich selbst.
Vor ein paar Tagen schaute ich in meinen inneren Abgrund und sah Neid und Missgunst und erschrak darüber. Und das kam so: Einer befreundeten Mutter erzählte ich nämlich von einem Gymnasium in der Nähe, das ich für gut befand. Ihr Kind wechselt in diesem Jahr genau wie meines von der Grundschule an die Oberschule. Nach dem Gespräch, auf dem Nachhauseweg, ärgerte ich mich über mich selbst, weil ich diese Schule so sehr gelobt hatte. Denn wenn sie ihr Kind dort ebenfalls anmeldete, hieße das ja, dass mein Kind automatisch weniger Chancen auf einen Schulplatz dort hat. So mein Gedanke. Ganz egal, wie unlogisch oder logisch diese Schlussfolgerung sein mag: Da war dieses aufkeimende Gefühl der Konkurrenz und des egoistischen "Mein Kind kommt zuerst"-Denkens. Ich bedaure diesen Moment, aber er kam nicht aus dem Nichts.

Schulwahl als olympische Sportart

Kaum ist Weihnachten und Silvester überstanden, beginnt für Eltern und ihre bald-nicht-mehr-Grundschulkinder die Oberschulolympiade. Entspannt darauf hoffen, dass das Kind einen okayen Schulplatz im Wohnbezirk zugewiesen bekommt, das trauen sich nur die wenigsten. Denn eine Schule und ihr Ruf sagen etwas aus: Über das Kind, die Familie, die gesellschaftliche Stellung und natürlich auch etwas über die späteren beruflichen Chancen des Nachwuchses.
Das muss man als Elternteil schon selbst in die Hand nehmen! Deshalb surft man in schlaflosen Nächten auf den Webseiten der Oberschulen herum und versucht so, den Spirit einer Schule zu ergründen. Auf dem nächsten Level gründen einige Olympioniken-Eltern dann analoge Stammtische und ihre digitale Entsprechung, WhatsApp-Gruppen. Gegenseitig füttert man sich dann mit Infos über diese Zeit zwischen den Welten. Und wir alle glauben, dass das schulische Schicksal unseres Kindes bezähmbar ist.

"Zirkeltraining" durch die Klassenzimmer

Die Wochenenden vor den Anmeldungen, in Berlin Mitte Februar, sind fest verplant. Statt gemütlicher Familienzeit hechten Kinder und Eltern am "Tag der offenen Tür" in die Oberschulen. Es empfängt uns dort, je nach Lust und Laune des Kollegiums und der Schülerschaft, ein Zirkeltraining durch viele Klassenzimmer oder eben ein spartanisches Aulaprogramm.
Kurze Verschnaufpause vor dem obligatorischen Kuchen- und Kaffeebuffet im Foyer der Schule. Inzwischen bilde ich mir ein, die Anzahl der engagierten Schuleltern an solch einem Buffet ablesen zu können.

Aber wie steht es um die Gerechtigkeit?

Am Ende ist es wie im Märchen: Alles reduziert sich auf drei Wünsche. Drei Schulen darf man bei der Anmeldung angeben. Hat es das Kind auf das renommierte Gymnasium oder die Zweitwahl geschafft? Das große Zittern beginnt.
Woran es wirklich mangelt, ist die Einsicht, dass wir als Eltern ein System reproduzieren, das Bildung nur für die Stärksten verspricht. Wir finden uns, egal, ob wir wollen oder nicht, in einer Art "Survival of the fittest"-Manier auf den Schulfluren Berlins wieder und wollen nur das Beste für das eigene Kind.
Aber der Übergang ans Gymnasium wird in hohem Maße von der sozialen Herkunft bestimmt. So besuchen mehr als die Hälfte der Kinder aus Familien mit Akademikerhintergrund Gymnasien, dafür aber nur knapp ein Viertel der Kinder aus Arbeiterfamilien. All das bleibt bei den Tagen der Offenen Tür und den Informationstagen unausgesprochen. Wie wir die Ungerechtigkeiten im Schulsystem, die nicht nur unser eigenes Kind betreffen, angehen, darauf habe ich keine Antwort. Vielleicht sollte ich das mal die befreundeten Eltern in meiner WhatsApp-Gruppe fragen.

Ebru Taşdemir ist Autorin, Moderatorin und Journalistin. 1973 in Berlin geboren. Sie studierte Turkologie und Publizistik an der FU Berlin. Sie betreut unter anderem die Nachwuchsförderung bei den Neuen deutschen Medienmachern.


Die Autorin, Moderatorin und Journalistin Ebru Taşdemir
© Stephan Röhl
Mehr zum Thema