Anleitung zum Schwindeln

Warum Lügner manchmal die besseren Menschen sind

07:17 Minuten
Zwei junge Frauen sind in ein Gespräch vertieft.
Eine gute Freundin ist, wer einem die Wahrheit sagt, lautet ein Spruch. Aber stimmt das wirklich? © Unsplash / Andrea Tummons
Von Pia Rauschenberger · 06.09.2018
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Kinder, die früh lügen lernen, erwerben dadurch wichtige kognitive Fähigkeiten. Und wer flunkert, um anderen eine Freude zu machen, ist meistens empathischer als andere Menschen. Sie können nicht lügen? Dann wird es aber höchste Zeit!
"Och Mensch schade, da wär ich so gern dabei gewesen. Aber hey, mir ging es total schlecht."
" Wie bei allen Disziplinen können auch Sie beim Lügen Ihre Fertigkeiten durch weiteres Training optimieren."
Ulrich Eckhardt, Heilpraktiker, Mentaltrainer und Coach in seinem YouTube-Video "Anleitung zum Lügen".
Je früher Sie das Lügen lernen, desto besser. So lassen sich die Ergebnisse einer neuen Studie der Universität Toronto interpretieren. Normalerweise können Kinder ab etwa drei Jahren lügen.
Die Wissenschaftler brachten einer Gruppe von Kindern bei, wie sie bei einem Spiel das Gegenüber täuschen können. Die Wissenschaftlerin Xiaopan Ding hat die Studie durchgeführt.
"Wir haben die Kinder vier Tage lang trainiert. Am fünften Tag haben wir einen Test gemacht und gemerkt: Die Experimentalgruppe konnte nicht nur besser lügen, sondern hatte auch bessere kognitive Fähigkeiten."

Ein Meilenstein in der kognitiven Entwicklung

In der Studie gab es zwei Tassen. Unter einer der beiden Tassen war eine Süßigkeit versteckt. Die Kinder wussten das und teilten das auch freimütig den Erwachsenen mit, die sie danach fragten. Der Experimentalgruppe wurde dann beigebracht, dass sie auf die leere Tasse zeigen können, wenn sie gefragt werden, wo die Süßigkeiten sind. Diese Kinder konnten nach dem Training nicht nur lügen, sie hatten auch mehr Selbstkontrolle als die anderen Kinder, die weiterhin die Wahrheit sagten.
"Auch wenn wir Lügen grundsätzlich nicht gutheißen. Aber Lügen ist ein Meilenstein in der kognitiven Entwicklung von Kindern."

Das wichtigsten Werkzeug: Empathie

Wer übrigens lügt, um anderen eine Freude zu machen, ist meistens empathischer als andere Menschen. Das sagt eine bisher unveröffentlichte Studie aus Dings Forschungsgruppe. Aber wie wird man zum guten Lügner?
"Ach so, du hast versucht mich anzurufen. Da war ich wahrscheinlich gerade beim Briefkasten. Oder das Telefon war leise gestellt – wahrscheinlich."
Empathie hilft beim Lügen. Das hat auch Neil Woods so erlebt. Er war viele Jahre lang in England als Undercover-Polizist im Drogenmilieu im Einsatz. Zuerst gab er sich als Drogensüchtiger aus, dann als Drogendealer.
"Mein wichtigstes Werkzeug war Empathie. Je mehr ich die Motivation der Menschen verstand, mit denen ich damals rumhing, desto mehr konnte ich ihre Haltung und ihr Verhalten übernehmen."

Du weißt nicht, was ich weiß

Und er hat andere Polizisten ausgebildet und dabei festgestellt, dass es nicht immer die extrovertierten Persönlichkeiten sind, die gut lügen können.
"Nach meiner Erfahrung sind es eher die introvertierten, bescheidenen, die gut zuhören können."

Auch die Kinder aus dem Experiment haben das geübt: Sie wurden durch das Training im Lügen besser darin, sich in andere hineinzuversetzen.
Kristina Suchotzki forscht an der Universität Würzburg zum Thema Lügen:
"Zum Lügen braucht man etwas, das heißt in der Psychologie: Theory of mind. Das bedeutet, dass ich weiß, dass die andere Person nicht genau das gleiche weiß wie ich. Und wenn ich denke, dass die andere Person all das weiß, was ich auch weiß, kann ich nicht lügen."

Bloß keine Nevosität zeigen!

Beim Lügen scheint nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft der Präfrontalkortex eine bedeutende Rolle zu spielen. Dort wird unter anderem die Selbstkontrolle gesteuert.
"Das Kratzen im Gesicht, das Beißen auf der Lippe, oder das Zupfen am Ohrläppchen kann auf Nervosität hindeuten. Unterlassen Sie diese Bewegungen bitte beim Lügen. Und Ihre Schultern und Ihren Rücken sollten Sie so halten, wie Sie es bei einem normalen Gespräch auch tun."
Authentische Körpersprache. Ein zentraler Punkt, beim erfolgreichen Lügen.
Wenn es um die Kontrolle der eigenen Körperhaltung geht hat Neil Woods noch einen entscheidenden Tipp: "Man darf nicht zu viel darüber nachdenken. Das muss instinktiv funktionieren. 70 Prozent der Kommunikation ist nonverbal. Es ist schwer zu beschreiben, aber man darf es sich einerseits nicht bewusst machen und andererseits muss man seine nonverbale Kommunikation vollkommen unter Kontrolle haben. Das hört sich widersprüchlich an, aber es geht darum, sich in dieser Selbstbeobachtung zu entspannen."
"Eine Vase!" – "Du, ich hab die gesehen und sofort an dich gedacht." – "Ist mal was anderes."
"Trinken Sie vor oder während des Lügens keinen Alkohol, da dieser die kognitiven Fähigkeiten einschränkt. Unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen werden Lügen schneller entlarvt."
Ähnlich sieht das auch die Forschung. Um richtig lügen zu können, ist eine gesunde Reaktionshemmung gefragt. Kristina Suchotzki:
"Also, dass ich quasi automatische Äußerungen zurückhalten kann. Und die Idee da ist, dass die Wahrheit der Default-Mode ist, also das, was automatisch kommt. Wenn mich jemand was fragt, dann will ich automatisch die Wahrheit sagen, aber um zu lügen, muss ich das zurückhalten, dass die nicht einfach raussprudelt die Wahrheit. Und diese Fähigkeit zur Reaktionshemmung, da weiß man auch, dass die bei Kindern noch nicht so ausgeprägt ist. Und dass die auch im späteren Erwachsenenalter wieder abnimmt." Die völlige Unfähigkeit zu lügen kann also als eine Entwicklungsstörung gewertet werden.

Die perfekte Coverstory

"Und jetzt ein Geheimtipp: konstruieren Sie vor einer Lüge die richtigen Gespräche und Bilder und Gefühle sehr detailliert. Damit Sie sie während der Lüge nicht konstruieren müssen, sondern einfach mit der gewohnten Blickrichtung abrufen können."
"Ich bin ja mehr so der spontane Typ. Geh einfach los und, also, ich mag‘s spontan. Risiko! Abenteuer! Natürlich bin ich auch offen für Neues! Aber auch verlässlich."
Eine perfekte Coverstory, daran kommt ein erfolgreicher Lügner nicht vorbei. Aber Neil Woods hat bei seinen Trainings noch etwas anderes beobachtet:
"Den ersten Fehler, den ein Undercover-Polizist macht, ist, zu viel von der Coverstory zu verraten. Die beste Coverstory ist die, die man überhaupt nicht erzählt. Wenn man wirklich auf seine Coverstory vertraut, verhält man sich ganz normal und wird auch kein Misstrauen wecken. Wenn man zu viele Informationen preisgibt, wirkt das sehr schnell unnatürlich."

Training, Training, Training

Zusammengefasst: Prägen Sie sich Ihre Geschichte so gut ein, dass Sie sie selbst nicht mehr als Lüge empfinden. Aber keine Sorge: Es ist noch kein guter Lügner vom Himmel gefallen. Wer nicht talentiert ist, kann durch den nötigen Fleiß noch einige Überzeugungskraft dazugewinnen.
"Beginnen Sie Ihr Training mit kleinen Flunkereien im Alltag und steigern Sie Ihr schauspielerisches Talent sukzessive."