Anjas Welt

Romanheldin Anja, die schon in Lena Goreliks erstem Roman "Meine weißen Nächte" im Zentrum stand, ist als junges Mädchen mit ihren Eltern aus Russland nach Deutschland gekommen. Sie fühlt sich dem Deutschland von heute näher als dem Russland von früher.
Deutsch, Russisch, Jüdisch - all das trifft auf sie zu und doch wieder auch nicht, denn Anja sagt: "Ich bin einfach Ich". Auch wenn es so einfach natürlich nicht ist. Denn genau das ist ja das Thema von Lena Gorelik alias Anja Buchmann: Wie viel Jüdisches kann man als Jude der jungen Generation im Deutschland von heute überhaupt "gebrauchen"?

Oder im Fall der Romanheldin: Wo steht man als junger Mensch, wenn man in Deutschland zu Hause ist, hierher gekommen ist als Jude, Russland als seine Heimat betrachtet und im Grunde nur die Eltern das Judentum hochhalten? "Ich bin einfach Ich". Ein trotziger Satz - der aber auch nicht weiterhilft. Vor allem nicht in dem Moment, als Anja Julian kennenlernt. Für Julian ist die Sache mit dem Jüdisch-Sein nicht ganz so einfach. Er hat es zu seinem Lebensthema gemacht und ist fest entschlossen, als Sohn eines jüdischen Vaters sein Judentum zu finden, notfalls mithilfe einer Hochzeit in Jerusalem.

Anja nimmt sich des orientierungslosen Julian an und geleitet ihn sanft und nicht ohne Ironie in die Welt des Jüdischseins. Und das, obwohl sie selbst mit ihrem Judentum nur begrenzt etwas anfangen kann. Deutsch, russisch, jüdisch - na und?

Doch da ist Anjas Familie. Die Mutter, die sich gerade ein Handy gekauft hat und damit exklusiv zur Beratung ihrer Tochter einen "Gute-Ratschläge-SMS-Dienst" unterhält. Ein wichtiger Ratschlag ist zum Beispiel, sich nach diversen Trennungsgeschichten (alles Gojim!) nun endlich "zusammenzureißen und einen netten jüdischen Mann" zu suchen. Außerdem wären Kinder nicht schlecht. Drei mindestens. Am besten vier. Und wen findet Anja für all das? Julian, den Goi, der die jüdischen Wurzeln väterlicherseits zu einer persönlichen Bestimmung hochstilisiert, der sie nicht zuletzt fragt, ob Synagogen auch "Sprechstunden" hätten - was auffällig nach Arztbesuch klingt.

Dieser Julian ist für die mit Coolness und Abgebrühtheit kokettierende Anja scheinbar überhaupt nicht der Richtige: zu vegetarisch, zu weich und zu labil. Erschwerend für diese Beziehung kommt hinzu, dass Julian ja eine "echte" Jüdin heiraten will, jedenfalls keine, die wie Anja dermaßen entspannt mit ihrem Jüdisch-Sein umgeht. Am Ende wird in Jerusalem eine Hochzeit gefeiert, die dann doch ganz anders verläuft, als die Beteiligten es haben vorausahnen können.

Mit dieser "Hochzeit in Jerusalem" legt Lena Gorelik einen der amüsantesten Romane dieses Jahres vor. Ein Buch, dass überzeugend alle nur erdenklichen Klischees dreht und wendet, bis sie lächerlich werden - Klischees über jüdische Einwanderer in Deutschland, über Russen in der Emigration, über Familien und ihr emotionales Regime und nicht zuletzt über zwei junge Liebende, die aneinander vorbeireden.

Ein Roman voll mit Woody-Allen-Humor und dementsprechend komisch-absurden Situationen. Ein Buch, das von einer heiteren Geschwätzigkeit durchzogen ist. Und nicht zuletzt ein Angebot von Lena Gorelik, ein so schwieriges und konfliktträchtiges Thema wie die Einwanderung russischer Juden in deutsche Gemeinden und ihre inzwischen prägende Alltagskultur mit einem lachenden Auge zu sehen. Lena Gorelik war mit "Hochzeit in Jerusalem" für den Deutschen Buchpreis nominiert, ist nun aber nicht mehr in der Endrunde. Schade, sie hätte ihn verdient.


Rezensiert von Vladimir Balzer

Lena Gorelik: Hochzeit in Jerusalem
Schirmer Graf Verlag, München 2007
256 Seiten, 18,80 Euro