Animistische Christen in Bangladesch

Schläft ein Gott in allen Dingen

Rishon Kong Wang.
Hüter des heiligen Hains: Rishon Kong Wang ist der animistische Priester der Khasi-Gemeinschaft. © Yvonne Koch
Von Yvonne Koch · 17.02.2019
Animisten glauben an eine beseelte Natur. Christen glauben an Gottvater, Sohn und heiligen Geist. Passt das zusammen? Bei den Khasi, einem Volk in Bangladesch, durchaus: Die Verehrung für die Schöpfung ist der gemeinsame Nenner.
Rishon Kong Wang kauert in etwa zwei Meter Höhe auf einer Art Steinportal und bemalt eine Tonfigur darauf mit knalligem Rot und Blau. Die Figur stellt einen Hahn dar. Und der Mann, der sie verschönert, ist der Priester der Khasi-Gemeinschaft in Jaflong im Norden von Bangladesch.
Genauer gesagt einer der Priester. Denn Rishon vertritt nur die Animisten, die Christen haben ihre eigenen Gottesmänner, einen für die Katholiken und einen für die Protestanten. Behände klettert der kleine Mann vom Eingangsportal herunter und weist mit einer weit ausholenden Geste auf die wild wuchernde Natur dahinter.
Rishon: "Das ist unser heiliger Garten, der Hain, in dem wir die Rituale zelebrieren. Nicht alle, manche kann man auch Zuhause machen."

In jedem Lebewesen eine Seele

Aber es sollte schon ein Baum, ein Fluss oder auch ein besonderer Stein in der Nähe sein, denn in jedem dieser Natur-Elemente steckt für Animisten ein Stück des alles umfassenden Schöpfers, quasi seine Seele. Deshalb verehren sie Flüsse, Bäume und auch Tiere wie Gottheiten. Alles in der Natur ist ihnen heilig und wird mit komplizierten Ritualen und Zeremonien geehrt.
Lebenswelt der animistischen Christen in Bangladesch.
Das Dorf Jaflong, Heimat der Khasi in Bangladesch.© Yvonne Koch
Rishon: "Wir brauchen viele Dinge für ein Ritual, je nach Ritual andere. Aber wir brauchen immer Wasser und Reis-Schnaps. Enorm wichtig sind auch Betelnuss und Betelblätter, außerdem Öl. Auch noch handgemachter Reiskuchen, Reis und in manchen Ritualen Puffreis. Und dann noch Hühner, Ziegen, Vögel und Enten."
Alles Dinge, die im Alltag des Khasi-Volkes eine große Rolle spielen. Für die Zeremonien wird alles kunstvoll drapiert, aus Reis und Betelblättern werden zum Beispiel kleine Schiffchen geformt, und jede Zutat hat einen bestimmten Platz. Denn das Gleichgewicht, die Ausgewogenheit der Dinge, ist bei den Khasi wichtig.
Rishon: "Es gibt verschiedene Arten von Ritualen: Wenn wir zum Beispiel ein Huhn oder einen Hahn opfern, müssen wir die Eingeweide begutachten, ob irgendetwas defekt oder gerissen ist. Schon die kleinste Fehlbildung ist ein Zeichen, dass der Schöpfer das Ritual nicht annimmt und wir es wiederholen müssen."

"Meine Religion reicht zurück bis zum Ursprung der Welt"

Rishon lächelt verschmitzt, weil sich mittlerweile viele Kinder um uns versammelt haben und neugierig zuhören. Nur wenige von ihnen sind bekennende Animisten wie er, erklärt er, aber das mache nichts. Denn im Prinzip sei die Khasi-Religion sowieso die Basis von allem.
Rishon: "Ich persönlich bin wahnsinnig stolz auf meine Religion, denn sie reicht zurück bis zur Entstehung der Welt, bis zum Ursprung von allem, bis zu der Zeit, als der Schöpfer alles schuf. Alle anderen Religionen kamen erst später."
Zum Volk der Khasi in Bangladesch kamen die anderen Religionen vor allem mit den britischen Missionaren Mitte des 18. Jahrhunderts. Und nach und nach konvertierten immer mehr Ureinwohner zum Christentum. Rund 70 Prozent der Khasi bekennen sich heute vor allem zur protestantischen, aber auch zur katholischen Kirche. Auch das Oberhaupt der Khasi im Norden von Bangladesch, Queen Nerola Tynsong, ist Christin. Für die Gemeinschaft sei das kein Problem, sagt die 43-Jährige.
Queen Nerola Tynsong.
Auch Animisten beten einen Schöpfer an: Für Queen Nerola Tynsong ist das Christentum mit dem Glauben der Khasi gut vereinbar.© Yvonne Koch
Queen Nerola Tynsong: "In gewisser Hinsicht ist es ähnlich: Schau, wir als Christen, wir beten zu Gott, der ja auch unser Schöpfer ist, oder zu Jesus Christus. Und wenn die Animisten beten, dann sprechen sie auch den Schöpfer an, nicht wahr?"

Der Wald ist ein Garten

Die Khasi-Königin nimmt mich mit auf einen Spaziergang durch ihr Reich: Riesige Wälder mit ungewöhnlich hohen Bäumen. Darunter viele Palmen, an denen etwa pflaumengroße, orangene Früchte hängen: die Betelnüsse. Und an anderen Bäumen ranken sich Kletterpflanzen mit handgroßen Blättern empor, das ist der sogenannte Betelpfeffer. Mir fällt auf, dass die Wälder unglaublich gepflegt aussehen, fast wie ein Garten. Es gibt kaum Unterholz oder Wildwuchs. Und tatsächlich sind die Wälder auch für die christlichen Khasi eine Art heiliger Hain, betont Nerola Tysong.
Queen Nerola Tynsong: "Wir leben von den Betelblättern und -Nüssen. Die Gärten sind ein heiliger Raum für uns, wir erlauben keinem Fremden hier einzutreten. Und bevor jemand die Blätter ernten darf, muss er zuerst ein Bad nehmen und sich gründlich reinigen. Es ist eine Art von Respekt gegenüber der Natur und der Reinheit. Ohne diese Reinigung darfst du die Blätter nicht abschneiden."
Die Queen verstummt, fährt mit der Hand durch die blondierten Locken. Möglicherweise, sagt sie dann, war und ist die christliche Religion für die Khasi genau deshalb so attraktiv, weil auch sie den Respekt vor der Schöpfung lehrt.
Queen Nerola Tynsong: "Weißt du, wir als Eingeborene, wir brauchen das Feuer, die Luft zum Atmen, wir brauchen den Wald zum Leben, und weil diese Dinge unsere Existenz ausmachen, müssen wir sie respektieren. Für uns ist das alles sehr wertvoll, das Land ist für uns wertvoll."

Leben im Matriarchat

Wir sind mittlerweile im Dorf angekommen. Es unterscheidet sich auf den ersten Blick von den Dörfern der muslimischen Mehrheit in Bangladesch: Alle Häuser sind Pfahlbauten, stehen also etwa zwei Meter über dem Boden. Jedes ist in einer anderen leuchtenden Farbe gestrichen, manche haben gedrechselte Veranden, was ein bisschen an den indischen Kolonialstil erinnert. Üppige Pflanzenampeln oder kleine Papageien runden das idyllische Bild ab. Auffällig sauber ist es hier, keinerlei Müll liegt in den Gassen.
Liegt das daran, dass die Khasi das Matriarchat leben, also die Frauen das Sagen haben, frage ich Nerola Tysong ganz direkt. Die Queen grinst. Nur die Frauen sind erbberechtigt, erklärt sie, und nur die Frauen verwalten das Geld. Aber ansonsten sei auch hier das Gleichgewicht wichtig.
Queen Nerola Tynsong: "Bei uns ist es eine Partnerschaft, Männer kochen hier, sie waschen sogar oder mixen Kräuter zusammen, viele Männer stehen früher auf als ihre Frauen, machen Tee für die Kinder, das gibt es – aber natürlich nicht bei allen."

Entscheidungsfindung im Ältestenrat

Und Entscheidungen, die die ganze Gemeinschaft betreffen, werden quasi demokratisch getroffen.
Queen Nerola Tynsong: "Ich setze mich mit den Ältesten zusammen, sage ihnen meine Meinung zu einem Thema, dann besprechen wir das Für und Wider und kommen gemeinsam zu einer Entscheidung, und die präsentieren wir dann den Dorfbewohnern. Und die sagen uns per Handzeichen, ob sie einverstanden sind."
Wir passieren einen Holzzaun. Gleich neben dem Dorf stehen die Hütten der Hindu-Arbeiter. Die sind weder bunt noch auf Stelzen gebaut, aber auch hier wirkt alles ordentlich. Und auf dem kleinen Markt eine Ecke weiter mischen sich dann alle Bewohner des Khasigebiets: Hindus, Muslime, Animisten und Christen. Die Khasi-Queen wird von allen respektvoll begrüßt, immer wieder in kleine Gespräche verwickelt, ihr werden Tee und Gebäck angeboten.
"Wir sind irgendwie alle verbunden, alle Religionen", erklärt die selbstbewusste Frau in Jeans, T-Shirt und Schultertuch. "Wenn sie meinen Rat brauchen, gebe ich ihnen den, wenn sie meine Hilfe brauchen, kriegen sie die. Und wir helfen uns da gegenseitig. Weil wir einfach eine kleine Gemeinschaft sind. Wenn wir uns nicht gegenseitig helfen, wer soll es denn sonst tun?"
Mehr zum Thema