Angst vor der Gefahr von links
Für Kaiser Wilhelm II. waren sie Reichsfeinde, gegen die nur der Einsatz der Armee hilft: Die Sozialdemokraten. Da die SPD seit 1890 aber nicht nur regelmäßig die meisten Wählerstimmen erhielt, sondern darüber hinaus bis 1914 über eine Million Mitglieder zählte, drohte dem Kaiser ein Wehrpflichtigenarmee voller Sozialdemokraten.
In fast panischer Angst, durch sozialistische Unterwanderung die Zuverlässigkeit des Heeres einzubüßen, beschloss die Armeeführung Gegenmaßnahmen. Heute vor 105 Jahren verbot der preußische Kriegsminister Heinrich von Goßler seinen Soldaten sozialdemokratische Schriften.
Das 20. Jahrhundert beginnt in Deutschland mit großem Optimismus. Die Industrie wächst, die Flotte ebenso, und das Reich unter der schillernden Herrschaft Wilhelm II. ist auf dem Weg zur Weltmacht. Alles könnte perfekt sein, gäbe es für den Kaiser nicht ein Ärgernis: Die Sozialdemokraten.
Der Kaiser und auch der größte Teil des Bürgertums sieht in der marxistisch geprägten Partei, die unter Federführung August Bebels und Wilhelm Liebknechts für Demokratisierung, Abrüstung und eine sozialistische Gesellschaftsform eintritt, eine Gefahr für den Staat. Nach dem Wahlerfolg von 1890, mit dem die SPD erstmals den höchsten Anteil an Wählerstimmen erreicht, erklärt Wilhelm II. die Sozialdemokraten zu Reichsfeinden und befiehlt der Heeresleitung, Vorbereitungen für den Ernstfall zu treffen. In einer Rekrutenansprache macht der Kaiser klar, was damit gemeint ist.
"Ihr habt mir Treue geschworen. Das – Kinder meiner Garde – heißt, ihr seid jetzt meine Soldaten, ihr habt euch mir mit Leib und Seele ergeben. Es gibt für euch nur einen Feind, und der ist mein Feind. Bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, dass ich euch befehle, eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen. Auch dann müsst ihr meine Befehle ohne Murren befolgen."
Der Kaiserbefehl bedeutet einen Paradigmenwechsel für die Armee, das Heer wird nun zum Kampfinstrument gegen einen inneren Feind. Doch die größte Sorge der Armeeführung gilt der eigenen Truppe, fast die Hälfte aller Rekruten stammt aus sozialdemokratischen Haushalten. Nach Ansicht der Militärs besteht akute Gefahr, General Eduard von Liebert fordert Abwehr:
"Eine Partei, die den Umsturz des Staates anstrebt, muss selbstverständlich den sichersten Pfeiler dieses Staates, das stehende Heer, zur ersten Zielscheibe wählen. Noch steht das Heer gänzlich unangetastet, aber der lange Frieden wirkt abschwächend und ist nicht vorteilhaft für die Erhaltung des militärischen Geistes. Das alles ist natürlich dem Gegner nicht entgangen, und darauf baut er seine Pläne."
Die Armeeführung reagiert: Am 3. August 1900 verbietet der preußische Kriegsminister Heinrich von Goßler den Soldaten, sozialdemokratische Schriften zu besitzen und eine sozialdemokratische Gesinnung zu zeigen. Um sozialistische Infiltration zu verhindern, werden strengste Restriktionen verhängt, die von Postkontrollen bis zur Versetzung in Strafbataillone reichen. Sozialdemokraten sind in den Augen der Militärs gleichbedeutend mit Anarchisten. Eine Aufnahme von 1910 illustriert die Stimmung im Offizierskorps.
"Reservisten, ihr seid zum letzten Mal angetreten, um ins verdammte Zivil zurückzutreten. Haltet euer Regiment in Ehren und hütet euch vor den Anarchisten und übrigen Bundesgenossen. Diese Bande taugt nichts. Unser Regiment: Hurra, hurra, hurra."
Doch die Panik vor Unterwanderung ist übertrieben. Die SPD-Führung hat aus Vorsicht strikte Anweisung an die Parteimitglieder gegeben, jede Propaganda in der Kaserne zu unterlassen. Außerdem ist die Einstellung der Sozialdemokratie zum Militär positiver, als der Armeeführung bewusst ist. Der SPD-Wehrexperte Gustav Noske erklärt 1907 im Reichstag:
"Wir sind selbstverständlich dafür, dass es unsere verdammte Pflicht ist, dafür zu sorgen, dass das deutsche Volk nicht von irgend einem anderen Volk an die Wand gedrückt wird. Wir Sozialdemokraten sind davon durchdrungen, dass Deutschland wehrhaft sein muss, aber wir halten es nicht für notwendig, dass die Wehrpflicht dazu benutzt wird, das deutsche Volk selbst niederzuhalten."
Auf die Sozialisten innerhalb der Armee übt der Kasernenhof eine verblüffend disziplinierende Wirkung aus, selbst bei Einsätzen gegen streikende Arbeiter kommt es nie zu Protesten sozialdemokratischer Soldaten. Gemäß dem marxistischen Weltbild vom unaufhaltsamen Gang der Geschichte in Richtung Sozialismus neigen die Sozialdemokraten eher zur Strategie des Abwartens als zum Kampf. Die Armee selbst bleibt ein reaktionärer Staat im Staate und kann auch nach dem Ende der Monarchie 1918 – vollkommen unbehelligt von der neuen sozialdemokratischen Regierung - diese Tradition fortsetzen, mit fatalen Konsequenzen für die Republik. Die SPD belässt es bei der gewohnten Distanz und einer heimlichen Ehrfurcht vor dieser Armee, die schon August Bebel "ein Meisterwerk der Organisation" genannt hat.
Das 20. Jahrhundert beginnt in Deutschland mit großem Optimismus. Die Industrie wächst, die Flotte ebenso, und das Reich unter der schillernden Herrschaft Wilhelm II. ist auf dem Weg zur Weltmacht. Alles könnte perfekt sein, gäbe es für den Kaiser nicht ein Ärgernis: Die Sozialdemokraten.
Der Kaiser und auch der größte Teil des Bürgertums sieht in der marxistisch geprägten Partei, die unter Federführung August Bebels und Wilhelm Liebknechts für Demokratisierung, Abrüstung und eine sozialistische Gesellschaftsform eintritt, eine Gefahr für den Staat. Nach dem Wahlerfolg von 1890, mit dem die SPD erstmals den höchsten Anteil an Wählerstimmen erreicht, erklärt Wilhelm II. die Sozialdemokraten zu Reichsfeinden und befiehlt der Heeresleitung, Vorbereitungen für den Ernstfall zu treffen. In einer Rekrutenansprache macht der Kaiser klar, was damit gemeint ist.
"Ihr habt mir Treue geschworen. Das – Kinder meiner Garde – heißt, ihr seid jetzt meine Soldaten, ihr habt euch mir mit Leib und Seele ergeben. Es gibt für euch nur einen Feind, und der ist mein Feind. Bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, dass ich euch befehle, eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen. Auch dann müsst ihr meine Befehle ohne Murren befolgen."
Der Kaiserbefehl bedeutet einen Paradigmenwechsel für die Armee, das Heer wird nun zum Kampfinstrument gegen einen inneren Feind. Doch die größte Sorge der Armeeführung gilt der eigenen Truppe, fast die Hälfte aller Rekruten stammt aus sozialdemokratischen Haushalten. Nach Ansicht der Militärs besteht akute Gefahr, General Eduard von Liebert fordert Abwehr:
"Eine Partei, die den Umsturz des Staates anstrebt, muss selbstverständlich den sichersten Pfeiler dieses Staates, das stehende Heer, zur ersten Zielscheibe wählen. Noch steht das Heer gänzlich unangetastet, aber der lange Frieden wirkt abschwächend und ist nicht vorteilhaft für die Erhaltung des militärischen Geistes. Das alles ist natürlich dem Gegner nicht entgangen, und darauf baut er seine Pläne."
Die Armeeführung reagiert: Am 3. August 1900 verbietet der preußische Kriegsminister Heinrich von Goßler den Soldaten, sozialdemokratische Schriften zu besitzen und eine sozialdemokratische Gesinnung zu zeigen. Um sozialistische Infiltration zu verhindern, werden strengste Restriktionen verhängt, die von Postkontrollen bis zur Versetzung in Strafbataillone reichen. Sozialdemokraten sind in den Augen der Militärs gleichbedeutend mit Anarchisten. Eine Aufnahme von 1910 illustriert die Stimmung im Offizierskorps.
"Reservisten, ihr seid zum letzten Mal angetreten, um ins verdammte Zivil zurückzutreten. Haltet euer Regiment in Ehren und hütet euch vor den Anarchisten und übrigen Bundesgenossen. Diese Bande taugt nichts. Unser Regiment: Hurra, hurra, hurra."
Doch die Panik vor Unterwanderung ist übertrieben. Die SPD-Führung hat aus Vorsicht strikte Anweisung an die Parteimitglieder gegeben, jede Propaganda in der Kaserne zu unterlassen. Außerdem ist die Einstellung der Sozialdemokratie zum Militär positiver, als der Armeeführung bewusst ist. Der SPD-Wehrexperte Gustav Noske erklärt 1907 im Reichstag:
"Wir sind selbstverständlich dafür, dass es unsere verdammte Pflicht ist, dafür zu sorgen, dass das deutsche Volk nicht von irgend einem anderen Volk an die Wand gedrückt wird. Wir Sozialdemokraten sind davon durchdrungen, dass Deutschland wehrhaft sein muss, aber wir halten es nicht für notwendig, dass die Wehrpflicht dazu benutzt wird, das deutsche Volk selbst niederzuhalten."
Auf die Sozialisten innerhalb der Armee übt der Kasernenhof eine verblüffend disziplinierende Wirkung aus, selbst bei Einsätzen gegen streikende Arbeiter kommt es nie zu Protesten sozialdemokratischer Soldaten. Gemäß dem marxistischen Weltbild vom unaufhaltsamen Gang der Geschichte in Richtung Sozialismus neigen die Sozialdemokraten eher zur Strategie des Abwartens als zum Kampf. Die Armee selbst bleibt ein reaktionärer Staat im Staate und kann auch nach dem Ende der Monarchie 1918 – vollkommen unbehelligt von der neuen sozialdemokratischen Regierung - diese Tradition fortsetzen, mit fatalen Konsequenzen für die Republik. Die SPD belässt es bei der gewohnten Distanz und einer heimlichen Ehrfurcht vor dieser Armee, die schon August Bebel "ein Meisterwerk der Organisation" genannt hat.