Angst vor Brückenbruch

Von Ernst-Ludwig von Aster |
Sie klettern in Hohlräume, inspizieren Schrägseile, kratzen, bohren, messen. Fast jeden Tag sind Bauwerksprüfer unterwegs, um die Sicherheit der Brücken zu kontrollieren. Bis zum Jahr 2030 müssen 10.000 Straßenbrücken in Deutschland ersetzt werden. Viel Arbeit für Bauwerksprüfer.
"Wir fahren jetzt Richtung Alster, wir sind jetzt auf dem Alsterfleet."

Kurt Buchholz steuert die "Brückenkieker" durch die Hamburger Innenstadt. Das 20- Meter-Schiff tuckert vorbei an neuen Lofts, alten Backsteingebäuden…

"Das ist ein Brückenprüfschiff, wir fahren damit unter den Brücken, wir haben ne Hubbühne und nen Steiger hinten."


Buchholz Revier, das sind die Brücken von Hamburg. Er kennt sie fast alle. Von unten

"Oh,oh, hunderte, ich bin ja 25 Jahre schon dabei, das ist schon was… und da hinten die dritte Brücke, das ist se schon."

Das heutige Test-Objekt: Eine von 2300 Brücken, die regelmäßig überprüft werden müssen…

Unter Deck, im kleinen Aufenthaltsraum, beugt sich Ingo Klindtwort über einen Aluminiumkoffer. Sortiert sein Handwerkszeug.

"Das ist ein Prüfhammer, ein Geologenhammer, dann haben wir einen Zollstock,..., wir haben einen Rissmarkenmesser..., also wir notieren Risse ab 0,2 mm im Bauwerk ..."

"Bauwerksprüfung" steht auf Klindtworts knallorangenem Sicherheitsanzug. Der stämmige Mittvierziger legt den Hammer beiseite greift zu einem DIN-A-4-Ordner

"Das Brückenbuch. Das ist die ganze Geschichte des Bauwerks, angefangen vom Bau bis hin zu den ganzen Prüfbefunden, die wir da abheften.""

Die Bauwerksbiographie. Heute auf dem Prüfprogramm: Die Graskellerbrücke. Gebaut in den 70er-Jahren. Eine Spannbetonbrücke. Vor zwei Jahren renoviert. Interne Prüfnummer: 66. Klindtwort blättert weiter….

"Dann gibt es halt diverse Informationen, wie die Brücke belastbar ist, letzter Zustand, das ist dann in einer Note ausgedrückt hier zum Beispiel 2,5.ab 2,8, 3,0 macht man sich Gedanken."

Und ab 4,0 muss die Brücke gesperrt werden. Der Brückenprüfer nimmt den Hammer, steckt den Zollstock in die Seitentasche, geht an Deck. Kurt Buchholz manövriert die Brückenkieker unter die Graskellerbrücke.

"Wir fahren jetzt erst mal in die Prüfrichtung und das wird da links sein, also Backbordseite, da binden wir erst mal, das er sich die Lager, alles angucken kann."

Grüngrau spannt sich die Betonbrücke über das Wasser. Oben rollt der Verkehr. Unten, am Fleet läuft ein Fußgängerweg.

Klindtwort nimmt Hammer und Lampe, sein Kollege Kay Ebeling wuchtet eine Leiter über die Reling, bringt sie unter der Brücke in Position. Vier Sprossen klettert Klindwort nach oben. Leuchtet in einen halbmeterhohen, dunklen Schlitz. Schiebt mit dem Hammer Taubendreck und leere Kaffeebecher zur Seite…

"So, nun werden wir uns mal die Lager angucken, das sind elastomere Kissen, das ist Gummi und da ist auch ne Bewehrung drinne, Und diese Lager nehmen auch die Bewegung des Bauwerkes auf."

Jede Brücke bewegt sich. Dehnt sich aus und zieht sich zusammen, je nach Witterungslage um einige Zentimeter. Da müssen die Lager mitspielen. Und der Spannstahl im Innern.

"Der Spannstahl hält eben die Kräfte, das heißt eben die Brücke kann nicht durchbiegen. Und wenn der eben nicht in Ordnung ist, dann kann es sein, das die Brücke einknickt."

Darum suchen sie nach Rissen und Hohlstellen. Klindtwort greift zum Hammer. Beginnt zu klopfen.

"Das ist eben das A und O bei unserer Arbeit. Diese Hohlstellen und Risse eben. Und das ist eben das Wichtige mit diesem Hammer, das sieht manchmal ein bisschen blöde aus, wenn man da auf einer großen Fläche rumklopft, für die Passanten, aber man hört das mit den Jahren."

Quadratmeter für Quadratmeter bearbeitet Klindtwort die Brückenunterseite. Lauscht auf den dumpfen Klang der hohlen Stellen. Eines der Alarmzeichen. Für die Brückentester

"Das ist noch gar nicht so lange her, drei Jahre, das war eine Spannbetonbrücke. Und wir waren vor Ort. Und der hörte sich so ein bisschen komisch an der Beton."

Beim Klopftest. Dann stürzten einige Quadratmeter Beton ins Wasser .

"Da stellte sich raus, das es eigentlich gar keine Spannbetonbrücke mehr ist, also da war komplett die Spannung raus aus dem Bauwerk. Die wurde im Anschluss auch gesperrt, einseitig. Und ist jetzt für den Schwerlastverkehr auch nicht mehr freigegeben."

Hier unten aber ist heute alles in Ordnung. Klindtwort klettert die Leiter herunter. Macht noch einig kurze Notizen. Dann geht es nach oben

"Jetzt kommt eigentlich der Teil, wo wir öfter bemerkt werden, wenn wir auf der Straße rumtoben oder auf dem Gehweg oder so etwas."

Zweispurig rollt der Verkehr über die Graskellerbrücke. Kay Ebeling überprüft das Geländer, Klindtwort inspiziert den Belag.

"Es gibt den Supergau, das die Brücke plötzlich weg ist, aber es gibt auch so Kleinigkeiten, Blasen, das ist das Kleine dann."

Kleine Schäden frühzeitig entdecken. Gravierende Folgen langfristig vermeiden. Das ist der Job der Brückentester.

"Dann haben wir noch einen schön großen Riss da, den schreibe ich mal eben mit auf, zwei Meter 80 ?"

Ebeling misst, Klindtwort notiert. Drumherum rollt der Verkehr:

"Da kann man schon sehen, da ist der Riss entstanden. Und durch diese Belastung der Fahrzeuge fängt der Asphalt an sich aufzulösen in einzelne Stücke ... da muss umgehend was gemacht werden an dem Riss."

Eine halbe Stunde später startet Klindtwort an Bord der Brückenkieker das Prüfprogramm. Gibt den Riss-Befund in einen Laptop ein.

"... Gussasphalt, und jetzt komme ich in den Bereich der Schäden, Risse, Rissart quer, Breite 0,5 Zentimeter, so, dann die Position nochmal... "

Klindtwort tippt. Am Ende der Prüfung wird eine 2,0 stehen, schätzt er. Die Kollegen Bucholz und Ebeling trinken Kaffee, flachsen.

Ingo Klindtwort lächelt, schließt den Computer. Holt einen Schokoriegel aus seinem Aluminiumkoffer. Feierabend für die Brückentester...

"So, das war's."