Smartphones

Mit KI und Langeweile-Handys gegen die digitale Sucht

04:39 Minuten
Illustration: eine Frau tippt eine Nachricht auf ihrem Smartphone, ihre Gedanken werden durch bunte Wellen dargestellt.
Das Smartphone als hauptsächliche Verbindung zur Welt: Für viele Menschen ist das inzwischen Realität. © picture alliance / Westend61 / Gary Waters
Ein Einwurf von Roberto Simanowski |
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Viele Menschen hängen am Smartphone. Dahinter steckt die Angst vor der Leere, die uns seit jeher plagt. Es gehört zu den Verrücktheiten unserer Zeit, dass wir die Sucht nach digitaler Ablenkung mit noch mehr Technik bekämpfen.
Es ist immer wieder das Gleiche: Erst ist man Feuer und Flamme für eine neue Technik, dann bemerkt man ihre Schattenseiten und erfindet eine Gegentechnik. Das Boring Phone ist ein Beispiel dafür: Ein Langeweile-Handy, das wie die Handys vor einem Vierteljahrhundert nur zum Anrufen und Texten da ist, also weit unter den Möglichkeiten der aktuellen Kommunikationstechnik bleibt.
Auf die Idee kam 2019 ein besorgter Vater, der seinen drei Teenagern die gleichen sozialen Kontakte wünschte, die er einst hatte, als er stundenlang mit Freunden am Telefon hing, um über alles und nichts zu sprechen. Denn die sozialen Netzwerke zerstören unsere sozialen Kontakte - sagt der besorgte Vater und der Brauereikonzern, der mit eben diesem Spruch das Boring Phone vertreibt: „Smartphones are too interesting for social life“. Smartphones lenken uns ab von dem, was um uns ist: unsere Freunde – mit denen wir, so wäre wohl zu ergänzen, lieber mal wieder ein Bier trinken sollten.
Natürlich kann auch ein Smartphone langweilig sein, wenn man es entsprechend konfiguriert: mit zeitlich limitiertem Zugang und solch raffinierten Features wie dem Langsamerwerden einer App, je länger sie aktiv ist. Diese smarte Variante des minimalistischen Handys nennt sich bp2: Boring Phone Nummer 2.

Desaströser Kreislauf

Und ja, das alles geht auch mit KI! Diese Idee wurde Anfang des Jahres unter dem Begriff "Boredom Device" lanciert: In diesem Fall findet die KI heraus, welche Aktivitäten oder Inhalte jemand mag, und bietet dann gezielt das Gegenteil an. Um den desaströsen Kreislauf zu durchbrechen, der uns von einer interessanten Nichtigkeit zur nächsten hetzt. Eine Art negatives TikTok, das genau registriert, was ich nicht anklicke, und mir genau davon immer mehr schickt.
Ende der Ablenkung. Wenn auch mit riesigem technischen Aufwand. Ganz anders als früher, als man einfach zu Hause blieb, wenn man den Zerstreuungsangeboten der Welt entgehen wollte, wie Siegfried Kracauer, Chronist der goldenen 1920er-Jahre, es beschrieb. Die Welt, so Kracauer vor einem Jahrhundert, ist viel zu interessant, „als dass man die Ruhe fände, sich so ausführlich über sie zu langweilen, wie sie es am Ende verdiente“. Um zu sich zu gelangen, helfe nur die Langeweile, die entsteht, wenn man an einem sonnigen Sonntagnachmittag zuhause bleibt.
Apropos Zuhausebleiben: Dazu gibt es schon 250 Jahre vor Kracauer einen berühmten Spruch. Der französische Philosoph Blaise Pascal schrieb damals: „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“ – mit sich allein gelassen dächte der Mensch über die Mühen des Lebens und über seine Sterblichkeit nach, „so dass er nun, wenn ihm das fehlt, was man Zerstreuung nennt, unglücklich ist“.

Angst, etwas zu verpassen

Die Angst, etwas zu verpassen, ist so alt wie die Sprache, in der sie überliefert wird: als „Horror Vacui“ – als Angst vor der Leere. Pascal empfahl damals Gott als Zuflucht. Kracauer attestierte dem modernen Menschen eine „metaphysische Obdachlosigkeit“, die ihn süchtig macht nach Zerstreuung, und empfahl die Langeweile als „einzige Beschäftigung“, bei der der Mensch „noch über sein Dasein verfügt“.
An diesen Punkt bringt uns heute das "Boredom Device" mit KI zurück. Wir nutzen künstliche Intelligenz zur künstlichen Produktion von Langeweile. Das ist intelligente,r als es klingt, offeriert es doch eine Art „Nikotinkaugummi für die digitale Sucht“, wie es in der Werbung dazu heißt.
Mit einer anderen Metapher aus der menschlichen Suchtgeschichte könnte man auch sagen: Das künstlich dumme Smartphone ist wie Bier ohne Alkohol. Darauf ein Heineken 0.0.

Roberto Simanowski ist Kultur- und Medienwissenschaftler und lebt nach Professuren an der Brown University in Providence, der Universität Basel und der City University of Hongkong als Medienberater und Buchautor in Berlin und Rio de Janeiro. Zu seinen Veröffentlichungen zum Digitalisierungsprozess gehören „Facebook-Gesellschaft“ (Matthes & Seitz 2016) und „The Death Algorithm and Other Digital Dilemmas“ (MIT Press 2018).

Roberto Simanowski
© privat
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