Angst als Politikberater

Von Jochen Stöckmann |
Das Hamburger Institut für Sozialforschung widmet sich seit einigen Jahren der Aufarbeitung des Kalten Krieges. Auf der Tagung "politics of fear", "Politik der Angst", fragen Historiker nach gesellschaftlichen Erscheinungsformen und politischen und medialen Inszenierungen von Ängsten im Nuklearzeitalter.
Drohte eine Supermacht im Kalten Krieg der Gegenseite ernsthaft mit Nuklearwaffen, musste sie zugleich Angst innerhalb der eigenen Bevölkerung verbreiten. Denn jedermann wusste, dass es für ihn im Atomkrieg kein Überleben geben würde. Aber Einzelschicksale interessierten nicht, wenn "think tanks", Politikberater aus Denkfabriken wie der RAND Corporation, Computerszenarien entwickelten. In Stanley Kubricks Filmsatire sucht ein "Dr. Strangelove" die Russen mit Zahlenspielen zu beeindrucken, in Sidney Lumets Atomkriegs-Drama "Fail Safe" macht der Wissenschaftler einer Partygesellschaft die schlichte Rechnung auf:

Filmausschnitt: "Ich bin eben kein Dichter, ich bin ein politisch denkender Wissenschaftler: Ich sage, wir müssen darauf vorbereitet sein, dass uns der nächste Krieg sechzig Millionen Menschenleben kosten wird."

Das scheinbar nüchterne, in der Konsequenz aber furchterregende Kalkül hatte Herman Kahn entwickelt, ein Zukunftsforscher. Indem er den Nuklearkrieg bis ins Detail durchspielte, machte er die Atombombe zur Option der Politik. Paradoxerweise an den Generälen vorbei, erklärt der Historiker Bernd Greiner:

"Der Kalte Krieg war das Terrain, der Übungsplatz von Zivilisten. Und zwar deshalb von Zivilisten, weil die Mehrzahl der Spitzenmilitärs – insbesondere vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs – sehr risikoscheu geworden ist."

Greiner, der am Hamburger Institut für Sozialforschung die internationale Tagung über "politics of fear", über "Politik mit der Angst" leitet, umreißt eine von vielen Facetten: die rationale Seite der Angst in Gestalt der Risikoeinschätzung. Aber auch die kann aus Emotionen herrühren, auf ganz persönlichen Erfahrungen beruhen, wie ein General in Lumets Film seiner Frau gesteht, als er zum Dienst im Strategischen Bomberkommando aufbricht:

Filmausschnitt: "Ich habe schon wieder davon geträumt, vielleicht sollte ich meinen Dienst quittieren. Manchmal glaube ich, es gibt nur eine Möglichkeit, diesen Alptraum loszuwerden: ich muss meinen Abschied nehmen."

Im Routine-Dienst der Abschreckung ist dem General das Feindbild abhanden gekommen. Umso beängstigender wirkt seither der hochgerüstete Militärapparat der eigenen Seite auf ihn. Aber prominente Einzelfälle hält Greiner nicht unbedingt für aussagekräftig:
"Es geht nicht um individualisierte Ängste vor Krankheit, vor Naturkatastrophen, vor Arbeitsplatzverlust und so weiter. Im Kalten Krieg haben wir eine Epoche vor uns, wo mit diesem Moment der Angst gezielt Politik gemacht wurde."

Es geht also nicht mehr um kalkuliertes Risiko, nicht um Geisteshaltungen, sondern um Irrationales, um Gefühle. Sichtbare Spuren sind daher rar:

"Die Herausforderung für Historiker besteht in diesem Fall darin, sozusagen den Subtext einer öffentlichen Diskussion kenntlich zu machen, weil man ja in der Tat keine Dokumente finden würde in irgendeinem Archiv die unter der Rubrik 'Angst' abgelegt sind."

Stattdessen sind Filme zu interpretieren, Zeitschriften zu analysieren oder auch die Alltagsarchitektur: Die komfortabel ausgestatteten Einkaufscenter, so vermuten Mentalitätsforscher, entstanden in den Fünfzigern als Trutzburgen einer Konsumgesellschaft, die die atomare Apokalypse vor Augen hatte. In einem ähnlichen Kontext wurde in den USA die Debatte über atomsichere Bunker geführt: Die Pläne für einen effektiven Zivilschutz stießen auf Ablehnung – im Gegensatz zu einigen westeuropäischen Staaten oder gar dem Ostblock:

"In Schweden zum Beispiel haben wir in den fünfziger und sechziger Jahren eine Gesellschaft, die unglaubliche Summen in den Zivilschutz investiert hat und die mit dieser Politik großen Anklang in der Bevölkerung gefunden hat."

Die Instrumentalisierung kollektiver Gefühle im Kalten Krieg folgte keinem einheitlichen Muster, blieb janusköpfig. Einerseits gab es eine Politik mit der Angst, etwa die kurzfristige, propagandistisch angeheizte Mobilisierung gegen den äußeren Feind, andererseits verlangte das auf Dauer auch eine Politik gegen die Angst, denn Furcht und Misstrauen untergraben am Ende jeden sozialen Zusammenhalt.

"Wir haben immer diese beiden ineinandergreifenden Momente von Inszenierung von Ängsten einerseits und Entdramatisierung andererseits. Bis hin zu dem Punkt, dass auch Friedensbewegungen und Abrüstungsbewegungen mit diesem Moment der Angst gespielt haben um ihrerseits akzeptiert zu werden."