"Angezettelt"-Ausstellung in Berlin

Wenn Aufkleber Hass und Hetze verbreiten

Sticker kleben am 19.04.2016 in Berlin im Rahmen der Ausstellung "Angezettelt Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute" an einer Glasscheibe, hinter der auf einem Foto ein uniformierter Mann eine Wand beklebt. Die Ausstellung ist vom 20. April bis 31. Juli 2016 im Deutschen Historischen Museum zu sehen.
Die Ausstellung "Angezettelt" im Deutschen Historischen Museum in Berlin zeigt antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute. © picture-alliance / dpa / Sophia Kembowski
Von  Jochen Stöckmann · 19.04.2016
Straßenschilder, Briefkästen, S-Bahnhöfe:  Aufkleber im öffentlichen Raum sind überall zu finden. "Angezettelt" heißt nun eine Ausstellung rassistischer Aufkleber von der Kaiserzeit bis heute, die das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt.
Geradezu fatalistisch hört sich an, was Alexander Koch, Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, über die Spuck- und Klebezettel im Kleinformat sagt: Seit 1880 dringen sie immer wieder in die Öffentlichkeit vor, erst unbemerkt, dann nach dem Ersten Weltkrieg - als Indikator fremdenfeindlicher Verhetzung - in geballter Form. 1933 zetteln die Nazis damit den Boykott jüdischer Geschäfte an, bringen die Meute in Pogromstimmung.
Alexander Koch: "Diese Ausstellung, die ist von erschreckender Aktualität: Ausgrenzung, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus – die leider Gottes tagesaktuell sind."
Nachdem in den Sechzigern die rechtsradikale NPD ihre Wahlerfolge mit deutschnationalen Parolen sicherte, tauchen jetzt ganz ähnliche Aufkleber auf.
Kuratorin Isabel Enzenbach: "Da wurden auch vor Flüchtlingsheimen erst Anti-Israel-Aufkleber geklebt, dann Aufkleber gegen die Flüchtlinge – und schließlich wurde auf das Heim geschossen."
Neonazis kennzeichnen durch Sticker mit völkischer Symbolik ihre Reviere, schüchtern mit Hetzparolen an der Hauswand den politischen Gegner ein. Auch das rekonstruiert die Ausstellung mit einem von gegnerischen Organisationen über und über beklebten grauen Verteilerkasten. Und geht auch auf die Vor- und Entstehungsgeschichte ein: mit dem großformatigen Wandfoto eines plüschigen Wohnzimmers der Kaiserzeit!
Dort pflanzten Sammelbildchen mit kolonialem Dünkel bei den lieben Kleinen den Keim für das künftige Gefühl einer "Herrenrasse". Die sich dann gegen Ende der Weimarer Republik Bestätigung suchte mit Parolen wie "Der Jud ist der Todfeind aller Nationen". Kleine Bildchen - große Wirkung:
Stefanie Schüler-Springorum: "Die haben tatsächlich eine Scharnierfunktion: Antisemitische Texte wurden ja keineswegs von allen ausgiebig gelesen. Aber wenn man so einen Aufkleber irgendwo hin klebt, das ist etwas anderes, als wenn ich mich im Sessel zurücklehne und eine antisemitische Zeitungen lese. So ist das ein aktiver Antisemitismus."

"Hetze im Kleinformat"

Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung, zeigt auf den Aufkleber "Schlagt die Juden tot". Damit versiegelte ein Geschäftsmann seine Pakete - 1920! Aber es gab auch vielfältige Formen der Gegenwehr: "Die Nazis sind unser Unglück", das ist kein Sticker der Antifa-Streetfighter, so konterte 1930 der ganz honorige jüdische Centralverein.
Das Werkzeug von Irmela Mensah-Schramm ist in einer Vitrine ausgebreitet, mit Spachtel und Lösungsmittel entfernt die Aktivistin rassistische Aufkleber - und dokumentiert sie sorgsam. Aktenordner "Nr. 1", angelegt im Sommer 1989, war erst im November 1991 gefüllt. Der jüngste Band, "Nr. 78", reicht über gerade einmal sechs Wochen! Soweit, so alarmierend: Denn über die Zahlen hinaus wissen wir seit 1933, welche Bedeutung die kleinen Aufkleber haben können:
Isabel Enzenbach: "Man musste Geschäfte erst einmal als jüdisch markieren, um sie quasi zum Abschuss freizugeben. Es erklärt sich ja nicht von selbst, dass eine Eierhandlung nicht nur eine Eierhandlung ist, sondern angeblich ein jüdisches Geschäft. Und man kann dann ganz gut nachverfolgen, das ist der erste Schritt zur Vernichtung."
Auf diese nüchterne Analyse darf, muss auch moralische Empörung folgen. Schließlich beweist diese klug inszenierte Museums-Dokumentation: auch Feindbilder, dumpfe Ressentiments, mörderische Vorurteile setzen auf Gefühle - ohne Rücksicht auf wissenschaftliche Differenzierungen zwischen Antisemitismus, Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit:
Stefanie Schüler-Springorum: "Wenn man sich die Bilder anguckt, die benutzt werden bei dieser Hetze im Kleinformat, dann hat man das Gefühl, das ist den Rassisten und Antisemiten völlig egal, was die Wissenschaft da an feinen Unterschieden herausziseliert, sondern es sind wirkmächtige Bilder: Immer wieder sowohl bei antiislamischen Aufklebern als auch bei antisemitischen ein Schwein oder ein Schweinekopf."
Hetzpropaganda, die nicht mehr im Giftschrank verschlossen bleibt, sondern der jetzt im Deutschen Historischen Museum die Wirkung genommen wird: etwa durch Workshops oder eine historische Einbettung.
Kuratorin Isabel Enzenbach: "1895, da wurden auf Schaufenstern Aufkleber mit 'Kauft nicht beim Juden' entdeckt. Und der Centralverein der deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens sagt, das ist ein Fastnachtsulk: Von solch einem Quatsch lassen wir uns doch nicht unsere guten nachbarschaftlichen Beziehungen zerstören."
Ironie und Selbstbewusstsein, das ist eine Haltung, wie sie in Video-Interviews zutage tritt mit einer jungen Muslima oder dem aus Israel stammenden, seit Jahren in Berlin lebenden Juden: nur, wer sich nicht einschüchtern lässt, kann der giftigen Botschaft der Spuckzettel widerstehen.
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