Angetreten!

Von Sylvia Conradt |
Am 1. April 1957 rückten die ersten 10.000 Wehrpflichtigen in die Bundeswehrkasernen ein, neun Monate nachdem die Bundestagsabgeordneten nach einer emotionsgeladenen 16-stündigen Sitzung in den Morgenstunden des 7. Juli 1956 das Wehrpflichtgesetz verabschiedet hatten. Zwölf Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands galt die Wehrpflicht wieder für alle Männer zwischen 18 und 45 - Westberliner ausgenommen.
"Obwohl wir heute den 1. April haben - kein Aprilscherz, sondern tiefer Ernst: Zum ersten Mal seit zwölf Jahren werden wieder Rekruten gezogen, in die Kasernen eingeführt."

So eröffnete am 1. April 1957 ein Reporter des RIAS, des Rundfunks im amerikanischen Sektor, ein Interview mit dem damaligen Bundesminister für Verteidigung Franz Josef Strauß.

Reporter: " Und, Herr Minister, diese Tatsache bewegt doch viele Eltern mit tiefer Besorgnis."
Strauß: "Aus der deutschen Vergangenheit heraus kann man die Besorgnis verstehen. Ich habe aber hier eben zum Ausdruck gebracht, dass in allen Völkern, gerade bei unseren Verbündeten, schon jahrelang zu unseren Gunsten dieses Opfer des Militärdienstes gebracht wird."

Rund 10.000 junge Männer rückten als erste Wehrpflichtige in die Bundeswehrkasernen ein. Nur zwölf Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands galt in der Bundesrepublik wieder die Wehrpflicht für alle Männer ab 18 Jahren.
Ein Jahr zuvor hatten bereits die ersten 1000 Freiwilligen ihren Dienst in der Bundeswehr angetreten.
Nicht anders in der DDR, wo ebenfalls 1956 die Nationale Volksarmee als Freiwilligenarmee aus der Taufe gehoben wurde. Beide Armeen waren Kinder des Kalten Krieges.

Mit der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 endete die staatliche Souveränität und damit auch die Wehrhoheit Deutschlands. Alle militärischen Dienststellen und Verbände wurden aufgelöst, jegliche militärische Ausbildung wurde verboten. Gemeinsam wollten die Staatschefs der Anti-Hitler-Koalition ein entmilitarisiertes Deutschland schaffen. - So haben sie es im Potsdamer Abkommen im August 1945 festgelegt. Doch ihre Einmütigkeit weicht schon bald machtpolitischem Blockdenken.

Aus den einstigen Feinden werden Bündnispartner. Bei ihrer Gründung 1949 ist die Bundesrepublik noch ein militärfreies Land, das in seiner Verfassung das Recht auf Kriegsdienstverweigerung verankert hat. Aber schon ein Jahr später, im Sommer 1950, löst der Korea-Krieg in Westdeutschland eine offene und erbittert geführte Debatte über die Wiederaufrüstung aus. Bundeskanzler Konrad Adenauer spricht öffentlich davon, dass man "die Notwendigkeit der Schaffung einer starken Verteidigungskraft" erkennen müsse. Er erklärt die Bereitschaft Westdeutschlands, im Rahmen einer internationalen westeuropäischen Armee einen Verteidigungsbeitrag zu leisten.

Adenauer: "Deutschland steht unmittelbar der sowjetrussischen Macht gegenüber. Im Falle einer russischen Aggression wären wir das Opfer, das erste Opfer."

Konrad Adenauer vor den Delegierten des ersten Parteitages der CDU im Herbst 1950.

"Der Kalte Krieg wird mit aller Kraft gegen uns geführt. Die 5. Kolonne steht bei uns überall bereit. (…) Die Nachrichten über Aufstellung starker russischer Truppenverbände in der Sowjetzone wurden in der Folge immer genauer. Es kam zur Aufstellung der Ostzonen-Polizeiarmee. Es verdichteten sich die Nachrichten, dass in der Ostzone die Einführung der allgemeinen Dienstpflicht beabsichtigt sei."

Als Antwort auf die kasernierten Bereitschaften der Volkspolizei in der DDR wird im Frühjahr 1951 der Bundesgrenzschutz aufgestellt. Auch diese Freiwilligen in Westdeutschland sind Vorboten einer künftigen Armee.

"Ich habe erklärt, dass ich eine Remilitarisierung Deutschlands durch Aufstellung einer deutschen Armee ablehne. Dass ich aber für Aufstellung eines deutschen Kontingents in einer Europäischen Armee sei."

Auf Geheiß des Bundeskanzlers beraten im Eifelkloster Himmerod im Oktober 1950 ehemalige Wehrmachtsoffiziere unter strenger Geheimhaltung über Größe und Struktur einer künftigen Armee. Militärs, die als weitgehend "unbelastet" gelten, legen in einer "Denkschrift" die Grundzüge der späteren Bundeswehr fest.

Eine in das westliche Bündnis integrierte Verteidigungsarmee soll sie sein, die dem Primat der Politik untersteht. Im Rahmen einer europäischen Armee plant man unter atlantisch-europäischem Befehl zwölf deutsche Divisionen – das heißt, eine Armee von 250.000 Wehrpflichtigen.

Ende Oktober ernennt Konrad Adenauer den CDU-Politiker Theodor Blank zum "Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen". Tatsächlich bereitet die so genannte Dienststelle Blank, als Vorläufer des Bundesverteidigungsministeriums, den Aufbau deutscher Streitkräfte vor und beginnt mit den Vorarbeiten für ein Wehrgesetz.

Die Pläne für eine Wiederaufrüstung und einen deutschen Wehrbeitrag lösen eine der schärfsten innenpolitischen Kontroversen der 50er Jahre aus. Der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann tritt 1950 von seinem Posten als Innenminister im Kabinett Adenauer zurück. Meinungsumfragen belegen, dass eine große Mehrheit der Bundesdeutschen gegen eine Wiederaufrüstung ist. Die "Ohne-mich"-Bewegung ist geboren. Für viele ist die Aufrüstung ein fataler Schritt in die falsche Richtung.

"Wir dürfen aber nicht vergessen, dass sich nach 1945 eben diese Blockkonfrontation entwickelt hat."

Der Historiker Wolfgang Schmidt vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam.

"Teil der Sicherheitsvorsorge war eben, die Bundesrepublik Deutschland leistet einen Beitrag zur Sicherheit des Westens, gewinnt dadurch politische Handlungsfreiheit, Souveränität zurück. Und dazu musste natürlich auch die Bevölkerung in gewissem Sinne bereit sein, diese Westbindungspolitik und aus dieser Position heraus dann die Wiedervereinigung anzustreben, einen Beitrag zu leisten. Wir sind auf dem Feld der Innenpolitik. Wie kann ich solche Politikfelder innerhalb einer offenen Gesellschaft dann umsetzen? Das wird gemeinhin diskursiv, streitig oder nach Konsens suchenden Methoden gemacht."

Im Februar 1952 debattieren die Bundestagsabgeordneten emotionsgeladen über den deutschen Wehrbeitrag im westlichen Bündnis. Der CSU-Politiker und spätere Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß:

"Wir haben uns hier mit zwei Argumenten zu befassen, die grundsätzlich gegen einen Verteidigungsbeitrag angeführt werden. Erst einmal, ein deutscher Verteidigungsbeitrag verhindert die deutsche Einigung und verewigt die Spaltung unseres Volkes. Zweitens, ein deutscher Verteidigungsbeitrag erhöht die Kriegsgefahr.
Meine Herren von der extremen Linken, wir sind immun geworden gegen den Schwindel, der sich hinter Begriffen und Worten tarnt.
So wird mit dem Worte deutsche Einheit gerade von denen am meisten Missbrauch getrieben, die es am wenigsten ernst meinen mit einer deutschen Einheit in wirklicher Freiheit."

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer hält dagegen:

"Meine Damen und Herren, was geschieht, wenn der Beitritt der Bundesrepublik zur Verteidigungsgemeinschaft in Europa staatsrechtliche Konsequenzen auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs auslöst? (…) Die These, wenn wir den Westen stark machen, wird die Einheit Deutschlands leichter zu erzwingen sein, entspricht doch einem machtpolitischen und illusionären Denken, das sicher nicht im deutschen Interesse liegt."

Gegen die Stimmen der Oppositionsparteien SPD und KPD beschließen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages 1952 einen deutschen Wehrbeitrag. Zwei Jahre später billigt der Bundestag - wiederum gegen die Stimmen der SPD - die erste Wehrergänzung des Grundgesetzes. Sie legt den Grundstein für die Wehrhoheit der Bundesrepublik. Die Verteidigung einschließlich der Wehrpflicht für Männer ab dem vollendeten 18. Lebensjahr ist nun Sache des Bundes. Die gesetzlichen Grundlagen für den Aufbau westdeutscher Streitkräfte sind geschaffen.

Im Mai 1955 wird die Bundesrepublik Mitglied des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses, NATO, und mit Einschränkungen ein souveräner Staat. Bereits im Januar 1956 rücken in Andernach, Nörvenich und Wilhelmshaven die ersten Freiwilligen in die Kasernen ein, darunter viele Angehörige des Bundesgrenzschutzes. Der Historiker Wolfgang Schmidt.

"Das Problem war ja, man hat sich ja gegenüber dem Bündnis verpflichtet, innerhalb von wenigen Jahren 500.000 Soldaten aufzustellen. Das funktionierte überhaupt nicht, denn die Freiwilligenzahlen kamen so 1955/1956 eben nicht zustande, war es in der Tat eine sehr, sehr große Debatte, wie kann man Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung miteinander zusammenführen. Den Vorrang hatte, auch aus der politischen Situation der damaligen Zeit, natürlich die Wehrpflicht."

Ollenhauer: "Meine Damen und Herren, wir sind sehr oft hier in der Position der Warnenden gewesen."

Der sozialdemokratische Oppositionsführer Erich Ollenhauer im Sommer 1956. Im Bundestag wird das Wehrpflichtgesetz debattiert.

"Aber es ist sicher, und ich möchte es hier feststellen, damit wir uns alle später daran erinnern, die Entscheidung, die Sie jetzt mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik fällen, wird die Spaltung Deutschlands verschärfen durch eine Entscheidung, die Sie aus freiem Willen auf sich genommen haben."

Adenauer: "Fühlt denn niemand, meine Damen und Herren, auch auf der Seite der Opposition, dass wenn in diesem Augenblick die Bundesrepublik einfach mit den Händen in den Schoß sich da hinsetzen würde, wir damit dem Kalten Kriege eine Wendung gegen uns geben würden, die geradezu verhängnisvoll sein würde?"

Bundeskanzler Konrad Adenauer, CDU.

"Sie haben gesagt, welche Parolen wollen Sie den jungen Leuten denn bieten, die sie jetzt einziehen werden? Nun, ich will Ihnen die Parole sagen: Schutz unserer Freiheit und Schutz unserer Heimat und Schutz Europas vor dem vordrängenden Sowjetrussland, das Europa haben will."

"Wie ernst die Abgeordneten ihre Aufgabe nahmen, mag aus dem Behandlungsbuch des Bundeshausarztes hervorgehen, der in den letzten drei Sitzungstagen 31 Abgeordnete wegen physischer Erschöpfung, Kreislauf- und Herzschäden behandelte."

So fasst ein Beobachter des RIAS die heftigen Debatten um das Wehrpflichtgesetz vom 6. auf den 7. Juli 1956 zusammen.

"Die Uhr im Plenarsaal zeigte auf 3 Uhr 38, als Bundestagspräsident Dr. Gerstenmeier die Schriftführer aufforderte, zur namentlichen Abstimmung die Stimmkarten einzusammeln. Zum letzten Mal in dieser Nacht gab er dann ein Abstimmungsergebnis, diesmal das Ergebnis der Schlussabstimmung über das Wehrpflichtgesetz bekannt."

Gerstenmeier: "Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen insgesamt: 456 Mitglieder des Hauses und 16 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben davon gestimmt 270 stimmberechtigte Abgeordnete und 6 Berliner Abgeordnete. Mit Nein haben gestimmt 166 Mitglieder des Hauses und 8 Berliner Abgeordnete. Enthalten haben sich 20 stimmberechtigte und 2 Berliner Abgeordnete. Ich stelle damit fest, meine Damen und Herren, dass das Wehrpflichtgesetz in 3. Lesung angenommen ist."

Zur Erklärung: Nach den alliierten Vorbehalten ist Westberlin kein konstitutiver Teil der Bundesrepublik und darf folglich nicht durch den Bund regiert werden. Seine Vertreter in Bundestag und Bundesrat haben kein volles Stimmrecht. Wie die gesamte Wehrgesetzgebung findet auch das Wehrpflichtgesetz in Westberlin keine Anwendung. Und so wird die "Frontstadt" ab Mitte der 60er Jahre für viele Wehrdienstverweigerer zum "gelobten Land" - bis zum Fall der Mauer.

Auch die DDR ist inzwischen fest in das Militärbündnis der kommunistischen Staaten Europas eingebunden, in den vom Westen so benannten "Warschauer Pakt". Und so arbeitet auch die DDR an einer Wehrgesetzgebung. Im September 1955 beschließt die Volkskammer eine entsprechende Verfassungsergänzung. Danach ist der Dienst "zum Schutze des Vaterlandes" und der "Errungenschaften der Werktätigen", wie es im Gesetzestext heißt, eine "ehrenvolle nationale" Pflicht. Wenige Monate später, im Januar 1956, begründet DDR-Ministerpräsident Willi Stoph den Gesetzentwurf zur "Schaffung der Nationalen Volksarmee der DDR".

"Angesichts der Aufstellung einer westdeutschen Söldnerarmee und der Einbeziehung Westdeutschlands in den aggressiven Nordatlantikpakt genügt es nicht, nur Erklärungen für die Erhaltung des Friedens abzugeben, sondern es ist notwendig, die Deutsche Demokratische Republik zu stärken und Maßnahmen zu treffen, die die Verteidigungsfähigkeit unserer Republik gewährleisten."

Anders als die Bundesrepublik verzichtet die DDR darauf, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen. Der Militärhistoriker Rüdiger Wenzke.

"Die SED erhoffte sich mit ihrer vorläufigen Entscheidung gegen die Einführung der Wehrpflicht 1956 eine moralische Aufwertung sozusagen ihrer eigenen Armee, weil man davon ausging, sich gegen diesen Zwang der imperialistischen Wehrpflicht, wie es propagandistisch verkündet wurde, zu stellen. Und die Nichteinführung der Wehrpflicht 1956 in der DDR sollte auch als Zeichen des guten Willens der nationalen Vereinigung Deutschlands für Frieden und Demokratie stehen. Und, aber das ist wohl der wichtigste Grund, die offene Grenze bestand ja noch zwischen der DDR und Bundesrepublik. Und hätte man die Wehrpflicht 1956 eingeführt, wäre zu befürchten gewesen, dass noch mehr Jugendliche die DDR in Richtung Westen verlassen und die Abwanderungsbewegung also bedeutenden Zulauf bekommen hätte."

Die Nationale Volksarmee bleibt zunächst eine Freiwilligenarmee - die einzige im Warschauer Pakt.

"Jeder männliche DDR-Bürger über 18 konnte sich freiwillig melden. Doch das Verlangen, dem Militär beizutreten, war relativ wenig ausgeprägt bei den Jugendlichen. Und so kam es dann auch, dass man Mitgliedern der SED und der FDJ bestimmte Vorschriften auferlegte, dass gerade diese jungen Leute bewusst sozusagen in die neuen nationalen Streitkräfte eintreten sollten."

Wenige Tage bevor im April 1957 in Westdeutschland die ersten Wehrpflichtigen einrücken, sind Journalisten zur Pressekonferenz in das Bundesverteidigungsministerium geladen. Einziges Thema: die Musterungen der rund 95.000 wehrpflichtigen jungen Männer des Geburtenjahrgangs 1937.

Erste Musterung für die Bundeswehr: "Die Musterungen selbst sind überall reibungslos verlaufen. Die Bereitschaft, den geforderten Wehrdienst zu leisten, die war insbesondere bei der Arbeiterschaft bemerkenswert.
Von den für verfügbar gefundenen Wehrpflichtigen konnten allerdings nur etwa 10.000 einberufen werden. Es war nicht möglich, den zahlreich geäußerten Wünschen, unbedingt im April einberufen zu werden, in allen Fällen zu entsprechen."

Dass nicht alle der als wehrtauglich befundenen jungen Männer zum zwölfmonatigen Grundwehrdienst eingezogen werden, habe ganz praktische Gründe, sagt Wolfgang Schmidt vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam.

"Vor allem auch die Infrastruktur war dazu nicht da. Sie können ja Soldaten nicht einfach auf dem freien Feld campieren lassen, außer es muss unbedingt aus einer Notsituation sein. Nein, es gab keine Kasernen, in den vorhandenen ehemaligen Wehrmachtskasernen saßen die Alliierten, es mussten viele Kasernen gebaut werden, das dauerte natürlich seine Zeit. Und auch die Ausbilder kamen nicht, also nicht in der erhofften Anzahl. Die kriegsgedient waren, die hatten ja oft einen Beruf, und die verdienten besser. Und so musste man auch Ausbilder einstellen, Jahrgänge, ältere Jahrgänge, die man eigentlich nicht mehr einstellen wollte. Ne demographische Verwerfung, die sich dann über viele Jahre, fast Jahrzehnte, in der Bundeswehr dann auch noch bemerkbar gemacht hat."

"Ich hatte Abitur gemacht und stand dann vor der Frage, ein Studium anzufangen und das dann unterbrechen zu müssen wegen der Bundeswehrzeit. Das war damals auch gegeben."

Roland Lubenow ging als 19-Jähriger zur Bundeswehr.

"Da hat man erst mal gemerkt, dass man also sehr viele Ausbilder aus der alten Armee, und zwar Leute, die aus der Naziarmee kamen. Die waren über den Bundesgrenzschutz wieder zur Bundeswehr gekommen, und viele von denen, einige von denen waren also die übelsten Schleifer, die man sich vorstellen konnte. Es gab also auch Schikanen. Ne harte Ausbildung ist normal und ist sinnvoll, denke ich auch. Denn Soldaten auszubilden, ohne dass sie für ihren Beruf ausgebildet sind, kann lebensgefährlich für diese Menschen sein. Das, was da aber manchmal ablief, das war reine Schikane. Es herrschte ein sehr rauer Ton.

Ich habe also einen Unteroffizier da kennen gelernt bei uns in der Kompanie, der war für die Schießausbildung zuständig. Das war ein exzellenter Mann. Aber es gab natürlich auch eine ganze Menge Leute, die da nur waren, weil sie sonst in der Wirtschaft keinen Beruf, keine Arbeit bekamen. Und die Bundeswehr musste auch alles nehmen. Die Wirtschaft brummte, es gab keine Arbeitslosenquote von zehn Prozent sondern von zwei Prozent. Und deswegen haben die auch alles nehmen müssen, was da so kam. Und da waren einfach eine Menge unmöglicher Leute dazwischen."

"Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Das hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1949 in die Verfassung geschrieben. Aber wer den Kriegsdienst verweigern will, muss erst einmal einen Antrag stellen und sich von Angehörigen der Wehrverwaltung überprüfen lassen. Im Frühjahr 1957, kurz bevor die ersten Wehrpflichtigen eingezogen werden, nimmt die Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer ihre Arbeit auf. Ebenso wie die "Internationale der Kriegsdienstgegner" unterstützt sie Verweigerer mit Rat und Tat.
Klaus Fahrenhorst durchlief 1959 ein solches Prüfungsverfahren.

"Für mich war das klar, als Christ muss ich den Wehrdienst verweigern, oder Kriegsdienst, wie es damals hieß, wie es auch im Grundgesetz steht. Ganz so einfach war es natürlich nicht. Es war erst mal eine Überwindung. Einmal, weil mein Vater als ehemaliger Oberstarzt nicht begeistert von der Idee war, und weil natürlich auch in der Schule und die Lehrer und die älteren Menschen, die noch aus der Nazizeit kamen, diese Idee eher ablehnten Bei manchen war auch eine etwas feindselige Haltung zu spüren. Also, ich hatte einige Widerstände zu überwinden, es war ein schwerer Schritt für mich.

Dieser Prüfungsausschuss, Prüfungskammer, das waren also ältere Menschen, die mich richtig in die Mangel genommen haben und Fangfragen stellten. Nachdem ich beim Prüfungsausschuss abgelehnt worden war, war die nächste Möglichkeit, sich an eine Prüfungskammer zu wenden, und da wurde ich wiederum abgelehnt. Aber eben in der Zwischenzeit war ich vom Christentum durch meine Mitgliedschaft beim Sozialistischen Studentenbund mehr zu einer politischen Motivation meiner Kriegsdienstverweigerung gekommen. Und ich war zu der Zeit Mitglied bei der 'Internationalen der Kriegsdienstgegner'. Es war eben auch der Höhepunkt des Kalten Krieges, damals, und es gelang mir dann eigentlich nur mit Hilfe des Rechtsanwaltes Heinrich Hannover. Und durch die Hilfe dieses Anwalts konnte ich dann einen Prozess gegen die Bundeswehr führen, den ich dann auch gewonnen habe.

Ich habe dann erst später erfahren, dass ich der erste in diesem Landkreis war, der den Kriegsdienst oder den Wehrdienst verweigert hatte. Es hat mich ein bisschen erstaunt, aber das war eigentlich ganz klar. In den ersten Jahren nach Einführung der Wehrpflicht waren es erst mal nur wenige. Und es war auch nicht einfach, die Anerkennung zu bekommen, damals, weil es eben noch nicht etabliert war."

Wehrdienstverweigerer in den 50er und 60er Jahren beschimpft. Auch noch, als der Bundestag 1960 endlich das Gesetz über den zivilen Ersatzdienst verabschiedet. 1961 treten die ersten Ersatzdienstleistenden ihre Arbeit in den Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel an.

Umfrage zum Wehrpflichtgesetz in DDR: "In Anbetracht der forcierten Aufrüstung in der Bundesrepublik und der Kriegsdrohungen ist die militärische Stärkung unseres Arbeiter- und Bauernstaates dringend notwendig geworden."

Eine Sendung des DDR-Rundfunks vom Januar 1962.

Moderatorin: "Das kommt auch in den vielen Stellungnahmen der Bürger unserer Republik zum Ausdruck, die einen solchen Beschluss, die Wehrpflicht einzuführen, begrüßen. (…)"
Buthmann: "Ja, es ist gut und richtig, dass man in der Volkskammer endlich mal einen Beschluss vorlegt, den morgen die Volkskammer beraten wird. Und wir begrüßen es, dass man sich mit diesem Problem Wehrpflicht beschäftigt."

1962 geht die fast zehnjährige Periode der so genannten "freiwilligen Dienstpflicht" in der DDR zu Ende. Der Historiker Rüdiger Wenzke dazu.

"Der ausschlaggebende Punkt war natürlich, dass 1961, am 13. August, die Mauer errichtet wurde und damit eine Abschottung zustande kam zwischen beiden deutschen Staaten, und die Möglichkeit der Flucht jetzt nicht mehr gegeben war. Und es zeigt sich eindeutig, dass wenige Wochen nach dem 13. August schon die ersten Vorbereitungen getroffen wurden für die Einführung der Wehrpflicht innerhalb des internen Kreises in der SED-Führung. Und wir haben ja dann im Januar 1962, also ein halbes Jahr später, dann das offizielle Gesetz zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, das von der Volkskammer verabschiedet worden ist."

Doch allein zwischen 1962 und 1964 verweigern rund 500 junge Männer den "Ehrendienst" in der Nationalen Volksarmee, die meisten aus religiösen Gründen.

"Damit hatte man nicht gerechnet. Und man fürchtete, dass diese Zahlen zunehmen und das Bild in der Öffentlichkeit dadurch Schaden nehmen konnte. So dass man darüber nachdachte, auch unter dem Druck der Kirche, das muss man so sagen, hier ein Ventil zu schaffen. Dieses Ventil wurde dann 1964 mit der Einführung der so genannten Bausoldaten-Verordnung eingeführt. Das heißt, dass man Leuten, die aus bestimmten Motiven nicht einen Dienst an der Waffe leisten wollten, die Möglichkeit gab, einen waffenlosen Dienst zu leisten. Das heißt, sie wurden zwar zur Armee eingezogen, sie waren Soldaten, aber sie mussten keinen Dienst an der Waffe leisten. Also, es war kein Kriegsdienstverweigerungsrecht, wie es ja in der Bundesrepublik in der Verfassung festgelegt wurde, das gab es in der DDR nicht."

Die DDR ist das einzige Land der Warschauer-Pakt-Staaten, das in seinen Streitkräften einen waffenlosen Dienst schafft. Die Bausoldaten, wegen ihrer Schulterklappen mit zunächst goldenem Spaten auch Spatensoldaten oder "Spatis" genannt, werden besonders anfangs auch bei Bauarbeiten an militärischen Objekten eingesetzt. Im November 1964 tritt der damals 26-jährige Ingenieur und Christ Wolfgang Stadthaus seinen Dienst als Bausoldat in einer Kaserne im brandenburgischen Prenzlau an.

"Wir hatten, man könnte sagen, eine militärische Ausbildung ohne Waffe zu leisten, also wir mussten marschieren. Wir sollten auch eindeutig kämpferische Übungen machen, also Sturmbahnen sollten wir laufen, aber das haben wir abgelehnt. Von uns ist keiner die Sturmbahn gelaufen, und wir konnten das auch durchsetzen.

Im Gegensatz zu den Waffen tragenden Soldaten, die einen Eid abzulegen hatten, sollten wir nach dem Buchstaben des Gesetzes ein Gelöbnis ablegen. Das begann mit 'Ich gelobe', dass man den sozialistischen Staat gegen alle Feinde verteidigen und den Sieg erringen kann. Geloben, dass man seinen Vorgesetzten einen unbedingten Gehorsam leisten sollte. Ich konnte nicht auf eine ungewisse Zukunft gewissermaßen hin geloben, anderen Menschen einen unbedingten Gehorsam entgegenzubringen. Das schloss sich meinem Denken aus, weil wir ja aus der Erfahrung des vergangenen Krieges mitbekommen haben, in welche Zwangssituationen Menschen gekommen sind, die unter dem Eid standen."

Alle Bausoldaten seiner Einheit lehnten das Gelöbnis ab. Die Befehlsverweigerung blieb folgenlos. Andere, sagt Wolfgang Stadthaus, wurden dafür bestraft.

"Es gab zum Beispiel in unserer Nachbareinheit einmal einen Befehl, dass sie einen Waldeinschlag machen sollten, und es war ausdrücklich damit verbunden und klargestellt worden, dass darauf ein Schießplatz gebaut werden sollte. Und da gab es dann fünf Bausoldaten, die vor Beginn dieser Arbeit verweigert haben. Sie wurden sofort abgeführt und übergangsweise, über einen kurzen Prozess, im Militärgefängnis in Schwedt, nach Berndshof in der Gegend von Ueckermünde, also zu sechs Monaten Militärgefängnis verurteilt, und diese Zeit mussten sie dort absitzen. Man kann so etwa sagen, dass von den etwa 220 Bausoldaten, die im ersten Durchgang einberufen wurden, also 1964 bis '66, etwa zehn Prozent ins Gefängnis gezogen sind."

Heute verweigern knapp 50 Prozent der Wehrpflichtigen den Kriegsdienst. Die Wehrpflicht ist als Kann-Bestimmung im Grundgesetz verankert. Über ihr Für und Wider wird nach wie vor gestritten.