Angepunkte Feministin und verklemmter Typ

29.08.2013
Der konservative Politiker Kallenberg erlebt in Berlin einen Kulturschock und Studentin Liane will ihn ins Bett bekommen. "Keine Experimente" von Spiegel-Autor Markus Feldenkirchen ist weder ein Buch über den Politikbetrieb noch über Konservatismus, sondern ein Unterhaltungsroman, der kaum Spuren hinterlässt.
Auch Bücher können gewissermaßen in Echtzeit ablaufen. Als Markus Feldenkirchens Roman "Keine Experimente" Anfang Juli erschien, waren es noch knapp drei Monate bis zur Bundestagswahl am 22. September; und so verhält es sich auch in dieser Geschichte um den allerdings rein fiktiven konservativen Bundestagsabgeordneten Frederik Kallenberg. Der ist ein stramm reaktionärer Familienpolitiker, der christliche Werte und die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau verteidigt und natürlich auch selbst so lebt. Doch nun und damit setzt der Roman ein ist er verschwunden; er hat nichts als einen Zettel mit der kryptischen Botschaft "Alles hat seine Zeit" hinterlassen. Im Wahlkampf ist so etwas natürlich ein Politikum, die Kanzlerin ist alarmiert.

Feldenkirchen, im Hauptberuf Autor des "Spiegel" im Berliner Hauptstadtbüro, erzählt nun in zwei Ebenen, kapitelweise, immer schön übersichtlich im Wechsel. Auf der einen Seite schildert er Kallenbergs Kindheit in einer ziemlich kaputten Familie, mit einem Trinker als Vater und einer Mutter, die im Dorf herumvögelt. Frederik findet schließlich bei der Jungen Union eine Heimat, weil er dort all das entdeckt, was er vermisst: Ordnung, Sicherheit, feste Werte und so weiter. Das ist relativ schlicht gedacht und schlicht erzählt. Die zweite Erzählebene beschreibt die letzten Monate vor Kallenbergs Verschwinden. Bei einem Podiumsgespräch in der FU Berlin verliebt er sich ausgerechnet in die hippe, angepunkte Feministin Liane. Liane wettet mit einer Freundin, dass sie diesen stocksteifen, verklemmten Mann ins Bett bekommen wird.

Eigentlich ist das schon fast die ganze Geschichte. Sie ist durchaus spannend, krankt aber an stilistischen Mängeln und schmerzhaft ungeformten Sätzen, die sicher sogar aus einem Spiegel-Artikel herausredigiert werden würden, Formulierungen wie aus dem Wetterbericht: "Der See präsentierte sich heute noch schöner ..." oder lockeres Dahergerede der dümmsten Art: "Die Unterwanderung des Abendlandes kam hier (in Kreuzberg) durchaus fröhlich daher."

Vom Kotzbrocken zum Sympathieträger
Das ist etwa der Moment, in dem Kallenberg seinen Kulturschock erlebt. Seine Werte und seine Familienwelt implodieren, indem er das Begehren und die Liebe und das wilde Leben entdeckt. Besonders glaubwürdig ist seine Wandlung vom Kotzbrocken zum Sympathieträger jedoch nicht. Noch viel weniger plausibel ist es, dass auch Liane nicht nur ihre Wette gewinnt, sondern sich tatsächlich in diesen verklemmten Typen verliebt, ohne dass man so recht wüsste warum eigentlich. Weil er halt doch ein netter Kerl ist, der nur durch die unglückliche Kindheit in eine Verpanzerung hineingeraten ist, aus der sie ihn nun befreit?

Das Milieu der Politik mit einer besorgten Kanzlerin ist nicht viel mehr als Staffage; da sind Romane wie Michael Kumpfmüllers "Nachricht an alle" oder Dirk Kurbjuweits "Nicht die ganze Wahrheit" weit ergiebiger. Hier geht es vor allem um die Liebesgeschichte, um die Flüchtigkeit der Werte und die Verwandlung eines Menschen. Feldenkirchen kann süffig erzählen und Stimmungen erzeugen; ein Höhepunkt ist die erste Nacht, die Liane mit Kallenberg verbringt und wie sie ihn nach allen Regeln der Kunst verführt und sexuell hörig macht. Da ist der Autor ganz genau, sehr nah dran, das ist seine Stärke.

Habitus, Denkweise und politische Positionen erscheinen jedoch nur als Äußerlichkeiten. Weil Feldenkirchen bei seinen Figuren nicht in die Tiefe geht, fällt es ihm leicht, ihre Veränderbarkeit durch ein paar Umstände zu behaupten. Erzählerisch befriedigend ist das nicht - genauso wenig wie die Herleitung des Konservatismus aus einer traumatischen Kindheit, die dem Autor die inhaltliche Auseinandersetzung mit den sogenannten "Werten" erspart. "Keine Experimente" ist kein Buch über den Politikbetrieb und kein Buch über Konservatismus, sondern ein nicht ganz unflotter Unterhaltungsroman, der nur wenig Spuren hinterlässt.

Besprochen von Jörg Magenau

Markus Feldenkirchen: Keine Experimente
Kein & Aber, Zürich 2013
400 Seiten, 22,90 Euro