Angela Schanelec: "Der traumhafte Weg"

Unschuld und Unverstelltheit

Die Regisseurin Angela Schanelec
Die Regisseurin Angela Schanelec © dpa / picture alliance / Jörg Carstensen
Angela Schanelec im Gespräch mit Patrick Wellinski · 13.08.2016
"Mein Wunsch war, Darsteller zu finden, die sehr nahe am Kind sein sind im Sinne der Unschuld und der Unverstelltheit", erklärt Angela Schanelec ihren Film "Der traumhafte Weg". Die Geschichte passiere den Figuren, ohne dass sie etwas dagegen tun könnten, wie im Traum.
Patrick Wellinski: Sie verorten den Beginn Ihres Films in Griechenland 1984. Warum gerade diese Zeit? Es ist ja eine sehr besondere Zeit, auch in Griechenland, gewesen.
Angela Schanelec: Ja, das hat ganz einfach damit zu tun, dass die Geschichte des einen Paares über einen langen Zeitraum erzählt wird, über 30 Jahre, und ich davon ausgegangen bin, dass die beiden heute um die 50 sind, und als sie sich kennenlernen, sind sie 20, und damit war ich in der Mitte der 80er-Jahre. 1984 fanden hier eben diese Europawahlen statt in Griechenland. Und so hat sich eins zum anderen gefügt.
Wellinski: Kenneth und Therese, das ist das Paar, das Hauptpaar des Films, ein verliebtes junges Paar in Griechenland, wenn wir sie da kennenlernen. Sie trennen sich, weil Kenneth den Anruf bekommt, dass seine Mutter sehr krank ist. Diese Liebe ist aber relativ stark, dass man sich durchaus wundert, dass dieser Telefonanruf diese doch sehr feste Beziehung auseinanderbringt. Warum trennen sich Therese und Kenneth letztendlich?
Schanelec: Ich weiß nicht. Ich weiß das so wenig, wie man von sich selbst nicht weiß, warum man sich trennt. Es passiert. Natürlich, es hat rein äußerlich damit zu tun, dass der Unfall der Mutter, Kenneth Mutter, unerwartet kommt und etwas ist, womit nicht zu rechnen war, und dadurch bricht diese gemeinsame Zeit abrupt ab, weil er abreist. Und dann geht es nicht so weiter, wie es sonst vielleicht hätte weiter gehen können, wenn man sich das vorstellen möchte.
Wellinski: In Berlin, mit diesem Zeitsprung, führen Sie ein anderes Paar ein, auch eine andere Geschichte. Warum war Ihnen die Einführung dieses anderen Paares wichtig, und wie funktioniert dieses Paar, oder wie strahlt dieses Paar auf Kenneth und Therese, auf diese Geschichte ab? Ist es eine Art Spiegel?
Schanelec: Wenn Sie das so bezeichnen möchten, ist das – ja, dann ist das vielleicht so. Was für mich interessant war, war die Möglichkeit, die Geschichte der beiden Paare zusammenzubringen, nicht, dass sich ihre Wege kreuzen, weil sie aufeinandertreffen, sondern sie begegnen sich ja nur für den Zuschauer durch den Ort, also durch den gemeinsamen Ort, an dem sie sich aufhalten. Das heißt, der Zuschauer kommt in die Situation, etwas zu wissen, was die Figuren des Films nicht wissen. Er sieht Personen im Bild, deren Geschichte er kennt, aber die Personen kennen nicht ihre gegenseitige Geschichte. Das wiederum war für mich eine interessante Vorstellung, die mir durch den Kopf ging oder die mich manchmal beschäftigt, wenn ich auf Plätze gucke und mir ja klar ist, dass das so viele unterschiedliche Biografien und Leben sind. Ich weiß davon aber nichts und käme, wenn ich etwas wüsste, doch in eine privilegierte Situation, in der jetzt eben der Zuschauer ist. Und er kann zuschauen und etwas von außen betrachten, wovon die Personen selbst gar nichts wissen.
Wellinski: Haben Sie auch deshalb vielleicht einen Ort wie den Berliner Hauptbahnhof als so eine zentrale Ankerstelle gewählt? Weil das ist ja auch ein Ort, wo Leute ankommen und abreisen. Es ist selten, dass jemand da bleibt, das ist ja so ein Transitraum.

Räume, die Begegnungen forcieren

Schanelec: Ja, der Hauptbahnhof hat natürlich damit zu tun. Grundsätzlich bin ich oft fasziniert von Plätzen, und das hängt natürlich damit zusammen, dass sich an diesen Plätzen Menschen begegnen, die nichts voneinander wissen oder sich wieder begegnen, ohne sich zu erwarten, ganz einfach, weil das eben Räume sind, die Begegnungen forcieren zwangsläufig. Und so ein Platz ist natürlich der Hauptbahnhof, und deswegen haben wir ihn gewählt, klar.
Wellinski: Eines der interessantesten Details – und ich muss sagen, ich habe lange keinen deutschen Film mehr gesehen, der so stark auf das Buch guckt. Es gibt so viele unterschiedliche Arten von Büchern in ihrem Film. Es gibt die Leihbücherei, es gibt die privaten Buchschränke, es gibt Bücherregale. Welche Rolle oder welche Bedeutung wollten Sie diesen Büchern gerade in diesem Film geben?
Schanelec: Mit Büchern zu erzählen ist ja nichts Ungewöhnliches. Wir alle leben mit Büchern, und Bücher spielen eine Rolle im Leben von jedem von uns. In diesem Film war es sehr naheliegend, Bücher auch zu zeigen in bestimmten Zusammenhängen und die Personen ins Verhältnis zu diesen Büchern zu setzen. Ich meine, es ist was sehr Naheliegendes, wie gesagt, und ich finde, es war eine Möglichkeit, zu erzählen, ohne die Personen sprechen zu lassen zum Beispiel. Ich finde es immer schön, wenn jemand liest im Film. Jemand, der auf ein Buch guckt und der damit beschäftigt ist und darin versunken ist womöglich, ist immer schön anzuschauen.
Wellinski: Das stimmt, aber es ist sehr selten geworden, dass man auch mal diese Frage hört in einem Filmdialog "Was liest du da?" Das ist ja auch so ein schöner Begegnungsmoment. Den gibt es immer seltener. Umso schöner, dass Sie das so intensiv in Ihrem Film gemacht haben. Ich habe noch eine Frage, weil das eine, das ist die Perspektive oder die Sicht auf die Erwachsenen. Es gibt aber eine sehr interessante Variante, das ist die Sicht der Kinder, also vor allem einer Tochter. Es gibt so eine schöne Szene, wo die Kinder schwimmen, wo Sie sich ja wirklich auch vertiefen in die Sicht der Kinder. Und es gelingt Ihnen wirklich gut, aus der Sicht der Kinder heraus zu gucken. Wenn die miteinander reden, sind Sie sehr nahe dran. Welche Rolle spielten diese Kinder für Sie?

"Ich bin fasziniert von Kindern"

Schanelec: Ich bin fasziniert von Kindern. Das ist so richtig – obwohl jeder eine eigene Kindheit hat, die er erlebt hat, ist der Blick, wenn man dann erwachsen geworden ist auf das Kind noch mal besonders – das hängt sicher mit der Unschuld des Kindes zusammen, mit der Unverlogenheit, mit der Direktheit, mit der Fähigkeit, einfach zu sein, ohne sich zu verstellen. Ich weiß, dass Kinder sich manchmal verstellen, aber die Kinder in diesem Film, da geht es nicht darum, dass sie sich verstellen, sondern dass sie bestimmte Dinge tun und bestimmte Dinge sehen, auf bestimmte Dinge reagieren. Und im Grunde ist meine Vorstellung der Erwachsenen, die in dem Film zu sehen sind, und so habe ich sie auch ausgesucht, so habe ich sie gesucht, dass sie das behalten. Sie sind keine Kinder mehr, aber mein Wunsch war, Darsteller zu finden, die sehr nahe an diesem Kind sein sind im Sinne der Unschuld und der Unverstelltheit.
Wellinski: Sie haben ja wieder mit Ihrem Stammkameramann zusammengearbeitet. Wie haben Sie am visuellen Konzept dieses Films gearbeitet, oder anders gefragt, wie wollten Sie, dass "Der traumhafte Weg" aussieht?
Schanelec: Wir haben den Film ganz anders fotografiert als die Filme davor. Es war klar, dass wir in diesem Film nicht mit Plansequenzen arbeiten werden, sondern dass die Szenen aufgelöst sind. Auf jeden Fall ist die Tatsache, dass eine Einstellung zu ihrer Wirkung erst kommt in dem Moment, in dem die nächste Einstellung folgt, in der Deutlichkeit in den anderen Filmen, die wir gemacht haben, nicht da, weil es einfach Plansequenzen sind, in denen sich die Szene innerhalb eines Bildes entwickelt. Und diesmal haben wir das anders gemacht. Was damit zu tun hat, dass ich näher sein wollte mit der Kamera an den Körpern, ganz einfach.
Wellinski: Eine Frage zum Titel, den ich sehr interessant fand, oder manchmal steht er auch für sich, und – aber was ist denn das Traumhafte an dem Weg von Kenneth und Therese? Denn darum geht es ja letztendlich.

"Traumhaft nicht im Sinne von wundervoll"

Schanelec: Also erst mal ist für mich in dem Wort "traumhaft" auch immer die sehr wörtliche, der wörtliche Sinn, also das Traum-hafte, das Traum-Gleiche – traumhaft nicht im Sinne von wundervoll. Das ist das eine. Und das andere ist, eine Sache oder eine Seite an Träumen, die interessant ist, ist, dass man sie nicht verändern kann. Sie passieren unabänderlich, sie laufen unabänderlich ab. Im Grunde gucken wir unseren eigenen Träumen zu und können nicht eingreifen. Und so ist die Geschichte auch erzählt, und das ist der Zusammenhang zu diesem Titel. Weil ich das Gefühl habe, ja, sie passiert den Figuren, sie passiert, ohne dass sie etwas dagegen tun können.
Wellinski: Frau Schanelec, vielen Dank für das Gespräch, und viel Erfolg mit diesem Film! Danke!
Schanelec: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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