Angela Merkel und die Reisediplomatie

Wenig Interesse an Innenpolitik

31.05.2018, Portugal, Lissabon: Bundeskanzlerin Angela Merkel verabschiedet sich von Antonio Costa, Ministerpräsident von Portugal, nach der Pressekonferenz im Palácio Foz. Merkel ist zum ersten Mal seit dem Ende der Eurokrise in Portugal. Foto: Michael Kappeler/dpa | Verwendung weltweit
Zuletzt war Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Besuch bei Ministerpräsident Antonio Costa in Portugal © Foto: Michael Kappeler/dpa
Ralph Bollmann im Gespräch mit Anke Schaefer  · 01.06.2018
Angesichts der Weltlage zeige Bundeskanzlerin Angela Merkel wenig Interesse an innenpolitischen Themen, sagt der Journalist Ralph Bollmann. Die Öffentlichkeit habe zu wenig wahrgenommen, dass Merkel vor der Trump-Wahl eigentlich habe aufhören wollen.
Der Handelsstreit mit den USA um Strafzölle, die neue Euro-skeptische Regierung in Italien und nun die Ablösung des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy in Spanien. Es sind vor allem die außenpolitischen Krisen die Bundeskanzlerin Angela Merkel zu beschäftigen scheinen. Gleichzeitig wächst die Kritik, die Kanzlerin sei in diesen unruhigen Zeiten zu wenig sichtbar, vor allem bei innenpolitischen Fragen.

Amtsmüde Kanzlerin

"Man muss sich immer vor Augen führen, dass sie in diese Situation eigentlich nie kommen wollte", sagte unser Studiogast, der Wirtschaftsjournalist Ralph Bollmann von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagzeitung, im Deutschlandfunk Kultur. "Sie war, glaube ich, im Herbst 2016 viel mehr entschlossen aufzuhören, nicht mehr anzutreten zur nächsten Bundestagswahl als das in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen worden ist."
Wirtschaftsjournalist Ralph Bollmann
Wirtschaftsjournalist Ralph Bollmann© Deutschlandradio / Manfred Hilling
Bollmann verwies auf das neue Buch des Obama-Berater Benjamin J. Rhodes, in dem er schreibe, dass Merkel dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama gesagt habe, dass sie eigentlich aufhören wollte. "Dann kam die Trump-Wahl kurz vor dem CDU-Parteitag, auf dem sie es entscheiden musste und dann ging es nicht mehr anders", sagte Bollmann, der selbst 2013 das Buch "Die Deutsche - Angela Merkel und wir" veröffentlichte und sich intensiv mit der Kanzlerin beschäftigte.

EU zusammenhalten

Rundherum schien alles zusammenbrechen und in Frankreich sei sogar eine Wahl von Marine le Pen zur Präsidentin noch möglich gewesen, erinnerte Bollmann an die Zeitumstände. "In der Situation konnte sie einfach nicht aufhören und jetzt muss sie versuchen, den Laden irgendwie zusammen zu halten – eine Aufgabe, die sie sich gar nicht gewünscht hat."
Angesichts der Weltlage stießen innenpolitische Fragen bei der Kanzlerin nur noch auf begrenztes Interesse. "Ihr geht es darum, wie kommt man jetzt klar in diesem Dreieck Europa, USA, China." Das hätten auch ihre ersten großen Reisen gezeigt. Russland müsse man noch dazu zählen. Wichtig sei auch der EU-Gipfel Ende Juni. Merkel wolle den ganzen Kontinent zusammenhalten, deshalb habe es noch keine Antwort auf Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gegeben. "Das ist das, woran sie gerade arbeitet und da ist sie auch sehr viel unterwegs." (gem)

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Der Wirtschaftjournalist Ralph Bollmann wurde 1969 in Bad Dürkheim geboren. Er studierte Neuere Geschichte, Politikwissenschaft und Öffentliches Recht in Berlin und Bologna. 1997 trat er in die Redaktion der "taz" ein, beschäftigte sich als Chef des Parlamentsbüros vor allem mit der Politik der Kanzlerin. Seit 2011 ist er wirtschaftspolitischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin, seit 2017 zusätzlich stellvertretender Leiter des F.A.S.-Wirtschaftsressorts.

Ralph Bollmann, Die Deutsche - Angela Merkel und wir, Klett Verlag 2013, 17,95 Euro.

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