Angela Merkel und die Frauenpower

Von Peter Frei |
Eine Powerfrau, das ist sie wohl, die Kanzlerkandidatin der Unionsparteien. Sonst hätte es Angela Merkel kaum geschafft, politische Weggefährten wie Schäuble und Merz zu überrunden, die jungen Granden der CDU, wie die Ministerpräsidenten Koch und Wulff, auf der Reservebank zu platzieren und den Ex-Kanzlerkandidaten der Union, den bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber, auszusitzen.
Vorher hatte sie bereits ihren Lehrmeister Helmut Kohl wegen der Parteispendenaffäre Mores gelehrt. Das alles in einer überschaubaren Zeitspanne und als Seiteneinsteigerin nach der Wende.

Ist die Karriere dieser Powerfrau damit gleichzeitig das Ergebnis forcierter Frauenpower? Nein, soweit sind wir noch nicht. Neben eigener Zielstrebigkeit waren es vor allem die Umstände, die diese Kanzlerkandidatur Angela Merkels ermöglichten. In ihre Zeit als Parteichefin fiel, dass die rot-grüne Regierung in Berlin mit ihren Reformansätzen die Wähler verstörte und so bei Landtagswahlen Angela Merkels Partei Triumphe ermöglichte.

Stoiber konnte diesmal nicht noch einmal Angela Merkel zum Frühstück laden, um sich eine erneute Kanzlerkandidatur zu sichern. Und der nach Momentaufnahmen beliebteste CDU-Politiker Wulff, Niedersachsens Ministerpräsident, spart sich wohl für andere Zeiten auf.

Dennoch, ganz ohne die Wirkung von Frauenpower in der Gleichberechtigungsdiskussion der zurückliegenden Jahrzehnte wäre Angela Merkels Sprung nach oben kaum denkbar gewesen. 1961 zog mit Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) die erste Frau in ein Bundeskabinett ein. 1972 wurde Annemarie Renger (SPD) die erste Bundestagspräsidentin. Immerhin können sich heute nach Meinungsumfragen rund 70 Prozent aller Deutschen eine Frau als Kanzlerin vorstellen.

Schon sehen manche in Angela Merkel eine deutsche Margaret Thatcher. Der Vergleich mit der ersten britischen Premierministerin hinkt. Eine Politik des sozialen Kahlschlags a la Thatcher könnte sich Angela Merkel nicht mal in ihrer eigenen Partei leisten. Und erinnern wir uns, die "Eiserne Lady" wurde 1975 in das Spitzenamt der britischen Konservativen mit der Behauptung hochgejubelt, sie sei in der letzten konservativen Regierung unter Edward Heath der einzige Mann gewesen. Das Bild muss die Frauen mit Power schmerzen.

Wären wir in Deutschland mit der Gleichberechtigung noch ein Stück weiter, hätte Angela Merkel bereits vor drei Jahren Kanzlerkandidatin werden können. Vielleicht hätten wir auch schon eine Bundespräsidentin. Wir hatten bereits mehrere Kandidatinnen für das höchste Staatsamt, Zählkandidatinnen, zuletzt Gesine Schwan. Frauen wurden bisher in die Bundesversammlung geschickt, wenn die Wahl eines männlichen Mitbewerbers so gut wie sicher war.

Nach einer Übersicht des Deutschen Bundestages müssten im Parlament, gemessen an den Anteilen männlicher und weiblicher Wähler, nicht nur 198 Frauen als Abgeordnete sitzen, sondern 314.

Nach dieser Untersuchung sind Frauen im Wirtschaftsleben noch schlechter dran. Als die Messlatte angelegt wurde, gab es in den 36 größten Unternehmen keine einzige Frau im Spitzenmanagement. In den höheren Rängen der Gewerkschaften wurden nur 16,4 Prozent Frauen gezählt. Von dem Dutzend öffentlichrechtlicher Rundfunkanstalten wird nur eine von einer Intendantin geleitet. Und nach der Wahlschlappe von Heide Simonis sind die Ministerpräsidenten wieder ein reiner Männerchor.

Eine erst im Mai dieses Jahres vom Weltwirtschaftsforum in Genf veröffentlichte Studie über die Gleichberechtigung der Geschlechter in 58 Staaten setzt Deutschland auf Platz 9. Geradezu erschütternd: In der Unterdisziplin Bildungschancen für Frauen rangiert Deutschland nur auf Platz 34. Übrigens: die Spitzenplätze werden fast immer von skandinavischen Ländern belegt.

Also, die Kandidatur einer Frau für das Kanzleramt in Berlin ist wieder ein Stück realisierter Frauenpower, aber noch nicht die Gleichberechtigung in aller Selbstverständlichkeit. Das wird erst dann der Fall sein, wenn das Wort Quote nicht mehr Kampfbegriff ist und am Stammtisch ein Erfolg Angela Merkels nicht länger mit dem Satz kommentiert wird: "Die Frau steht ihren Mann." Oder ein Misserfolg mit den Worten: "Sie ist eben nur eine Frau."

Peter Frei, Jahrgang 1934, war zunächst Redakteur bei der NRZ. 1962 ging er zum Deutschlandfunk und 1967 nach Baden-Baden zum SWF. Er war zehn Jahre lang Korrespondent in London, danach in Bonn, von 1991 an Chefredakteur des SWF und von 1993 bis 1998 sein Hörfunkdirektor.
Peter Frei
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