Andrej Platonow: "Die glückliche Moskwa"

Harter Weg in eine goldene Zukunft

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Das Cover des Buchs von Andrej Platonow "Die glückliche Moskwa" vor orangem Hintergrund.
Andrej Platonows "Die glückliche Moskwa" ist ein schroffer, oft sarkastischer Roman. © Suhrkamp Verlag / Deutschlandradio
Von Jörg Plath · 07.01.2020
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Ein junge Frau in der Sowjetunion der 1930er-Jahre. Ihre Suche nach dem Richtigen mündet stets in Ernüchterung. "Die glückliche Moskwa" von Andrej Platonow ist ein schroffer Roman – der auch Jahrzehnte nach seinem Entstehen schwere Kost bleibt.
Eine schöne, junge Frau geht durch das Moskau der 1930er-Jahre und findet kein Glück. Viele Männer begehren sie, und Moskwa Tschestnowa ist dem Genuss des Augenblicks nicht abhold. Doch nur mit drei Männern verbringt sie eine gewisse, stets ernüchternde Zeit.
Zwischen die Geschlechter ist die Idee des Kommunismus getreten, und diese Idee zieht die erste sozialistische Generation aus Nähe und Gegenwart in eine lockende Ferne und Zukunft. Andrej Platonows "Die glückliche Moskwa" ist ein schroffer, oft sarkastischer Roman über neue Menschen, deren Haut von Ideen gereizt wird.

Eine Fallschirmspringerin, die den Wind liebt

Die Schöne hat in der Oktoberrevolution Eltern, Erinnerung und ihren Namen verloren. Benannt nach der sowjetischen Kapitale sucht Moskwa, die "Tochter der Revolution", im Sozialismus ihren Weg.
Sie liebt den Wind, wird Fallschirmspringerin und lernt auf einem Komsomolfest junge Wissenschaftler wie den Chirurgen Sambikin und den Ingenieur Sartorius kennen. Keiner der Revolutionäre ist älter als 27, aber "schon berühmt, jeder schämte sich ein wenig seines frühen Ruhms, und das behinderte das Leben."
Moskwa lebt unbedingt: An der festlichen Tafel greift sie zügellos zu, während es den anderen um die teure, von den Kolchosbauern erarbeitete Nahrung leid tut. Denn das Land leidet unter der Hungersnot, ausgelöst von Stalins Zwangskollektivierung der Landwirtschaft.

Liebe verhindert Entstehung des Kommunismus

Sambikin sucht in Leichen ein Depot an Lebenskraft, das die Unsterblichkeit ermöglichen würde, Sartorius berechnet das Dasein, und beide werden von der Lebendigkeit und Unberechenbarkeit Moskwas beinahe aus der Bahn geworfen. Sie suchen ihre Verlockung zu verdrängen, doch nur die junge Frau kann das Ungenügen nach der Liebesnacht mit Sartorius formulieren: "Liebe kann unmöglich Kommunismus sein."
Liebe verhindert sogar, dass der Kommunismus entsteht. Vor der Aporie zwischen individuellem und gesellschaftlichem Glück weicht Moskwa aus und erholt sich in der lieblosen Beziehung mit Komjagin, einem "Außermilitärischen" und Außergesellschaftlichen, der sich dem Militär und allen gesellschaftlichen Zwängen entzieht und dahinvegetiert.

Erst nach Jahrzehnten vollendet

"Die glückliche Moskwa" blieb in den 1930er-Jahren unvollendet und unveröffentlicht wie andere Werke des vielfach kritisierten und zensierten Platonows auch. Erst Anfang der 1990er-Jahre konnte der Roman des 1951 gestorbenen Ingenieurs und Schriftstellers erscheinen.
Die unversöhnliche Härte, mit der er die menschlichen Kosten des Wegs in eine goldene Zukunft festhält, erwächst direkt aus den revolutionären Leidenschaften. Sie imprägnieren die Sprache des Romans: Die Seele befindet sich im Darm zwischen Kot und Unverdautem, der Rationalist wünscht "weltweite Klarheit und Übereinkunft in allen Punkten des Glücks und des Leids", und wer seine Pflichten missachtet, wird zwecks "Liquidierung von Versäumnissen" zur Arbeit beordert.
Das war bereits zu Zeiten Stalins schwere Kost und wird Andrej Platonow auch heute, in einer Zeit, die den Diktator glorifiziert, die Leser nicht in Scharen zutreiben. Die Gewalt aber, die Menschen sich antun, wenn sie nur das Beste füreinander wollen, lässt sich kaum anschaulicher studieren.

Andrej Platonow: "Die glückliche Moskwa"
Aus dem Russischen von Renate Reschke und Lola Debüser. Mit einem Nachwort von Lola Debüser und einem Kommentar von Natalja Kornienko
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
222 Seiten, 24 Euro

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