Andreas Rosenfelder zur Corona-Berichterstattung

Journalisten sehen sich zu oft als "Anwälte unseres Systems"

09:23 Minuten
Angela Merkel, Bundeskanzlerin, aufgenommen im Rahmen einer Bundespressekonferenz nach der Sitzung des Corona-Kabinetts in Berlin.
Zu große Nähe zur Politik wirft Andreas Rosenfelder den Medien vor, wenn es um die Corona-Berichterstattung geht. © imago / photothek / Florian Gaertner
Andreas Rosenfelder im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 13.01.2021
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Regierungssprecher statt kritische Instanz: Für "Welt"-Feuilletonchef Andreas Rosenfelder verfehlen die Medien in der Coronakrise ihre Rolle. Statt sich kritisch mit den Maßnahmen der Regierung zu befassen, kritisierten sie lieber deren Kritiker.
Viele Journalisten haben in der Coronakrise ihre eigentliche Aufgabe vernachlässigt und sind gewissermaßen zu Regierungssprechern geworden. Das kritisiert Andreas Rosenfelder, Feuilletonchef der "Welt"-Gruppe, in einem Artikel der "Welt" und im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur.
Journalismus sei eine kritische Instanz, um das gesellschaftliche und politische Geschehen zu reflektieren, betont er. Doch in der Coronakrise habe man sich weniger kritisch mit der Regierung und der Notwendigkeit der verhängten Maßnahmen befasst als mit Bürgern, die sich nicht richtig an die Maßnahmen hielten.
"Oder man hat sich kritisch mit den Kritikern befasst, indem man die alle ins Lager der Coronaleugner und Verschwörungstheoretiker eingereiht hat."

Alle Kritiker zu Aluhüten gestempelt

Das hat, so Rosenfelder, auch die Schriftstellerin und brandenburgische Verfassungsrichterin Juli Zeh getroffen, die schon früh verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Maßnahmen angemeldet hatte: "Die wurde dann auch zum Teil in den Medien in einen Topf geworfen mit AfD, Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern, Aluhüten usw. Und das ist, glaube ich, das Problem, dass man da nicht mehr differenziert hat."

Darüber hinaus seien kritische Stimmen in den Medien nur vereinzelt zu Wort gekommen, als "Alibi-Kritiker, die dann auch mal die Gegenposition zur Sprache bringen", sagt der "Welt"-Feuilletonchef.
"Eigentlich müsste doch bei einer so fundamentalen gesellschaftlichen und auch politischen Krise das Verhältnis andersherum sein. Selbst wenn die Maßnahmen alle vernünftig wären, wovon ja, glaube ich, nicht mal die größten Optimisten ausgehen, aber selbst wenn das so wäre, müsste doch der Job von uns Medien sein, immer wieder neu zu überprüfen, sind die wirksam, wie ist die Evidenzgrundlage für einzelne Maßnahmen, ist der Lockdown wirklich eine effektive Strategie zur Bekämpfung einer Pandemie."

Journalisten "gegen den Mob auf der Straße"

Einen Grund dafür, dass Journalisten in der Coronakrise so regierungsfreundlich agierten, sieht Rosenfelder darin, dass diese natürlich Teil der Gesellschaft seien und wie viele andere Menschen auch angesichts der Pandemie Angst empfänden. "Aber dass man nur aus diesem Motive heraus argumentiert, finde ich problematisch."
Hinzukommt, dass Journalisten seit dem Siegeszug des Populismus und dem Einzug der AfD Journalisten ihre Aufgabe zu oft darin sähen, die Regierung gegen die Populisten zu verteidigen, "gewissermaßen gegen den Mob auf der Straße und dabei dann auch ein bisschen ihre Rolle mit der eines Anwalts unseres Systems zu verwechseln".
(uko)

Andreas Rosenfelder ist Ressortleiter des Feuilletons von "Welt" und "Welt am Sonntag". Von 2010 bis 2013 war er stellvertretender Ressortleiter. Davor hat er acht Jahre lang für das Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" geschrieben und war Kulturredakteur bei "Vanity Fair" in Berlin. 2008 erschien sein Buch "Digitale Paradiese".

Die gesamte Sendung "Der Tage mit Andreas Rosenfelder" hier zum Nachhören:
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