"Anderen helfen ist eine ganz wichtige Erfahrung"
Mit dem Ende der Wehrpflicht in Deutschland endet am 1. Juli 2011 auch der Zivildienst, der künftig durch den sogenannten Freiwilligendienst ersetzt werden soll. Um die neue Entwicklung zu begleiten, hat die Evangelische Kirche den Oldenburger Bischof Jan Janssen berufen.
Kirsten Dietrich: Wir machen weiter mit kirchlichen oder genauer evangelischen Reaktionen auf grundlegende gesellschaftliche Veränderungen.
Mit der Wehrpflicht endet auch der Zivildienst. Dabei wäre er an diesem Wochenende genau 50 Jahre alt geworden. Der Bundesfreiwilligendienst ist noch nicht installiert, da hat die Evangelische Kirche in Deutschland schon einen Beauftragten für Freiwilligendienste: Vor einer guten Woche ist Jan Janssen in dieses Amt berufen worden, der Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Oldenburg. Das zeigt, wie ernst man in der evangelischen Kirche die Entwicklung nimmt. Das Ende des Zivildienstes, ausgerechnet im 50. Jubiläumsjahr, sehen Sie das mit Trauer?
Jan Janssen: Das ist ein lachendes und ein weinendes Auge, würde ich sagen. Ich habe selber Zivildienst gemacht, das war eine gute Erfahrung in meiner Biografie, da möchte ich keinen Tag missen. Auf der anderen Seite war dieser Dienst natürlich immer mit Pflicht verbunden und hat auch zu mancher Mühe geführt. Ich glaube, da ist es ein Doppeltes – dass es jetzt übergeht in einen Freiwilligendienst, ist eigentlich eine gute Tendenz.
Dietrich: Warum haben Sie Zivildienst gemacht, Sie als Theologe mussten das ja nicht, Sie wären befreit gewesen sowohl vom Wehrdienst als auch vom Zivildienst?
Janssen: Meine Entscheidung stand noch nicht ganz fest, ich glaube, das war eine gute Orientierungszeit, in der Sozialarbeit Erfahrungen zu sammeln, als 19-, 20-Jähriger ein bisschen mehr zu sehen als nur die Schule.
Dietrich: Was vom Zivildienst kann oder sollte in den neuen Bundesfreiwilligendienst übernommen werden, was eher nicht?
Janssen: Der Pflichtcharakter ist mit diesem Jahr auslaufend, das ist etwas Gutes. Was eine gute Erfahrung war, war den Sozialbereich kennenzulernen, ohne sich schon für einen Berufsweg festlegen zu müssen, ein, anderthalb Jahre Erfahrungen zu sammeln in einem Bereich, wo man sich nicht jede Tätigkeit aussuchen kann, nicht völlig frei ist in der Gestaltung des Tages, sondern wirklich dienstbarer Charakter wird. Ein bisschen davon lernt man, glaube ich, im Zivildienst, das kann auch ein Freiwilliges Soziales Jahr leisten, da sind die Verbindungen.
Dietrich: Das heißt, das ist so eine Art Charakterschule.
Janssen: Ja, Lebenserfahrung sammeln in einem relativ frühen Stadium. Für viele junge Menschen in diesen Aufgaben, auch in den Freiwilligendiensten, heißt das da: Orientierung schaffen, wo will ich eigentlich hin, was kann ich erst mal ausprobieren, bevor ich mich für einen langen Berufsweg und Ausbildungsweg festlege.
Dietrich: Zu Ihrem Amtsantritt haben Sie gesagt, die neuen oder die ausgebauten Freiwilligendienste sollen Vitamine für eine stresskranke Gesellschaft sein. Was soll ich mir denn darunter vorstellen?
Janssen: Ich glaube, dass diese Phase guttut in einer weitgehend ökonomisierten Leistungsgesellschaft, wo Freiwilligkeit ein Wert ist, der geübt, gelernt wird und wo auch unsere Gesellschaft lernt, mit freiwilligem Engagement umzugehen und dieses zu würdigen. Darin sehe ich sozusagen eine Vitaminspritze für eine Gesellschaft, die immer mehr auf Leistung und Gegenleistung aufbaut.
Dietrich: Das heißt, dass man überhaupt wieder wertschätzen lernt, dass Menschen freiwillig irgendwas tun?
Janssen: Ja, Zeit hergeben, sich Zeit nehmen, einen Beitrag leisten zur Gestaltung dieser Gesellschaft, gerade im sozialen, im ökologischen, im kulturellen Bereich.
Dietrich: Nun ist die gesellschaftliche Dimension eines Freiwilligendienstes das eine, das andere, vielleicht das Wichtigere auch für diejenigen, die den Dienst tatsächlich tun, ist die persönliche Dimension, also Neues erleben, die Persönlichkeit kennenzulernen, auszuloten, vielleicht auch die eigenen Grenzen. Wie wichtig ist diese persönliche Note?
Janssen: Meine Begegnung mit Freiwilligen – gerade hier im Oldenburger Land haben wir da eine tolle Arbeit, letztes Jahr konnte ich 90 junge Leute da treffen – sagt, dass diese Menschen sozusagen ein Aha-Erlebnis nach der Schule für sich buchen können und diese Phase auch in ihrem Leben nicht so schnell vergessen. Das ist, glaube ich, eine wichtige Station, die sie einnehmen – so ist es für mich selber, so erlebe ich es bei vielen jungen Leuten –, sich in ein Gebiet zu begeben, das ich noch nicht so genau kenne, das noch nicht so abgesteckt ist, aus dem ich dann aber nach einer Phase auch wieder herausfinde, um mich neu auf den Weg zu machen, dann meistens für eine Ausbildung oder ein Studium.
Dietrich: Kann man das gewichten, was da wichtiger ist für diese Freiwilligen? Die eigene Erfahrung oder der Wunsch, Gutes für andere zu tun?
Janssen: Anderen helfen ist, denke ich, eine ganz wichtige Erfahrung in dieser Phase. Man hat in der Schule leistungsorientiert gelernt, für sich etwas getan. Dann den Horizont aufzumachen, anderen Menschen zur Seite zu stehen, bis in die Pflege hinein, oder etwas zur Bewahrung der Schöpfung zu tun, für die Begegnung der Kulturen, das sind, glaube ich, ganz wertvolle Erfahrungen.
Dietrich: Nun gibt es ja auch Kritik an solchen Freiwilligendiensten, vor allen Dingen den Einsätzen im Ausland, dass es heißt: Da steht der Selbsterfahrungsaspekt viel zu sehr im Vordergrund, und den Menschen vor Ort nutzen junge Amateure, die dort ins Ausland gehen, um sich selber kennenzulernen, eigentlich herzlich wenig.
Janssen: Da tun, glaube ich, unsere Trägerorganisationen eine wertvolle Arbeit, indem sie diese jungen Menschen begleiten, sie befähigen für ihre Dienste, ihnen wiederum zur Seite stehen in solchen jungen Jahren. Da bekomme ich gute Rückmeldung von den verschiedenen Trägern, aus der Friedensarbeit genauso wie aus den Missionswerken.
Dietrich: Das heißt, der touristische Aspekt oder der Aspekt, den Lebenslauf ein bisschen aufzuhübschen, steht nicht so im Vordergrund?
Janssen: Ich würde das als gute Begleitmusik für junge Leute sehen, die sich ja auch hergeben mit ihrer Arbeitszeit, da darf das ruhig auch ein positives Erlebnis werden.
Dietrich: Den Freiwilligendienst gibt es ja schon, Sie haben die Friedensarbeit angesprochen, es gibt das Freiwillige Soziale oder Ökologische Jahr. Ein neuer, erweiterter Freiwilligendienst – kann man sich das vorstellen wie diese stehenden Dienste, einfach nur in größerer Zahl angeboten, oder bekommt das auch eine neue Form?
Janssen: Ich denke, es geht zunächst mal darum, zu fördern, was wir bisher an Erfahrung in unserer Gesellschaft haben. Da sind die evangelischen Träger mit die größten, da ist Know-how, was, glaube ich, auch der zukünftige Bundesfreiwilligendienst abrufen kann, da stehen wir bereit, da haben wir uns jetzt auch neu aufgestellt mit EKD-Strukturen, um ein vernünftiges Sprachrohr zu haben, um die Kräfte, die bisher locker verbunden waren, ein bisschen besser aufzustellen. Da sind wir bereit für jedes Gespräch.
Dietrich: Sie haben eben gesagt, der Freiwilligendienst ist vor allen Dingen auch wichtig, um einer leistungsorientierten Gesellschaft den Wert des Freiwilligen zu betonen. Nun hat diese Wertschätzung ja auch eine ganz handfeste wirtschaftliche Dimension. Mit dem Wegfall des Zivildienstes können viele Stellen gerade in niederschwelliger sozialer Arbeit erst mal nicht mehr besetzt werden, und davon sind natürlich auch die Kirchen betroffen. Das sagt zum Beispiel die Diakonie ganz ausdrücklich: Der Freiwilligendienst kann den Ausfall des Zivildienstes nicht kompensieren. Wie stark stehen da – wenn man es mal ehrlich betrachtet – auch wirtschaftliche Interessen hinter diesem großen Engagement jetzt beim Freiwilligendienst?
Janssen: Nun, da gilt es einfach vorsichtig zu sein. Schon zu meiner Zeit gab es die Gefahr, dass Zivildienstleistende verrechnet wurden mit Pflegekräften, da gilt es deutlich aufzupassen und solche Tendenzen zu verhindern. Andererseits muss man natürlich angesichts der Zahlen sagen, das ist ein Faktor, den man nun mal nicht mit dem Umschwenken eines Hebels verändert. Da braucht es sicher Übergangslösungen, die auch der Diakonie ein bisschen helfen. Da tut sich ja auch was in den Gesprächen in Richtung auf den neuen Bundesfreiwilligendienst, die Bedingungen ein bisschen zu verbessern, um auch den Trägern die Einstellung solcher Leute etwas zu erleichtern.
Dietrich: Das müssten Sie noch mal genauer erklären. Was tut sich da konkret? Denn gerade eben Träger wie die Diakonie rechnen ja eben ganz handfest, das ist ja nicht einfach nur so eine theoretische Überlegung.
Janssen: Und doch sind sie darauf angewiesen, dass sich Menschen freiwillig für diese Dienste melden. Da werden wir jetzt die Rahmenbedingungen ja etwas verbessert bekommen, darüber bin ich ganz froh. Ich sehe weiterhin eine große Unterscheidung – das gilt für kirchliche Träger genauso wie für andere – zwischen den Kräften, die eine befristete Phase in ihrer Biografie zur Verfügung stellen, und denen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, das muss man sauber auseinanderhalten.
Dietrich: Der Zivildienst war ja genau für den Übergang zwischen diesen beiden Phasen so eine wichtige Nahtstelle, dass Menschen, oder genauer gesagt, dass Männer einen sozialen Beruf erst mal kennengelernt haben und für sich überhaupt erst als Möglichkeit entdeckt haben – ein Beruf, der eigentlich nicht besonders hoch angesehen ist und der eigentlich eher als Frauenberuf gilt. Wie kann der Freiwilligendienst die Nachwuchswerbung für diese Art von Arbeit übernehmen? Muss er das vielleicht sogar, muss er das auffangen?
Janssen: Zum Teil wird er das können, da gab es immer Grenzbereiche. Allein die Menschen, die diese jungen Leute begleitet haben, haben Erfahrung sowohl mit dem Zivildienst wie mit den FSJ-lern. Ich glaube, da gibt es einen ganz guten Übergang, gerade bei den Trägern, die die Situation junger Leute da gut kennen, die aber auch die Einrichtungen besuchen, die wissen, in welche Situation die Leute kommen. Ich glaube, da tun wir eine ganze Menge seitens der Diakonie, genauso wie seitens der Friedenseinrichtungen.
Dietrich: Verändert sich die Arbeit der Freiwilligen dadurch, dass der Zwangscharakter wegfällt? Also, dass man die Arbeit noch attraktiver, werbender, einladender gestalten muss?
Janssen: Ich glaube, der Zuspruch zu den Freiwilligendiensten ist gut, hat bisher nicht die Konnotation, das ist jetzt eine Art Ersatz-Ersatzdienst, das wird es sicher nicht geben.
Dietrich: Trotzdem ist ja wahrscheinlich der Lockruf des Auslands groß. Wie bringen Sie die Leute dann zum Beispiel in die Altenheime im Oldenburger Land?
Janssen: Nicht nur der Lockruf des Auslands ist groß. Wir machen gute Erfahrungen genauso im Sozialbereich, in vielen Kindertagesstätten sind die Leute eingesetzt, machen da erste Erfahrungen, wenn sie sich für pädagogische Berufe interessieren. Das steht doch sehr unter dem Duktus: Ich stelle mich hier freiwillig zur Verfügung, mache Erfahrungen und werde auf diese Weise auch nicht irgendwie verrechnet in den Häusern.
Dietrich: Was macht Ihre Arbeit als Beauftragter für den Freiwilligendienst aus? Ist das hauptsächlich eine Werbekampagne, damit die evangelische Kirche mithalten kann auf dem Markt, auf dem da um die Bewerber um diese Dienste gekämpft wird?
Janssen: Wir haben bisher auch eine Konferenz evangelischer Freiwilligendienste gehabt, die wird ein wenig gestärkt, hoffe ich, mit dieser Funktion. Da kann ich sicher ein bisschen bündeln, hoffe, Sprachrohr zu sein für diese jungen Menschen, aber auch für die Trägerinstitutionen, die für diese Leute da sind, sie begleiten. Auch den Bildungsaspekt in dieser Phase eines Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahres würde ich noch mal stark machen wollen. Da tun wir eine ganze Menge, da wäre auch ein Ausrufezeichen für den zukünftigen Bundesfreiwilligendienst zu setzen.
Dietrich: Freiwilligendienst oder Zivildienst, was ist Ihre Präferenz?
Janssen: Ich würde sagen, trotz meiner guten Erfahrung im Zivildienst persönlicher Art bin ich froh darüber, dass hier jetzt ein Einschnitt geschieht und dass die Menschen klar unter dem Vorzeichen der Freiwilligkeit sich entscheiden. Ich glaube, das schafft einen weiteren Horizont, für alle Beteiligten.
Dietrich: 50 Jahre Zivildienst und gleichzeitig Ende des Zivildienstes – Beginn eines verstärkten Freiwilligendienstes. Das war Jan Janssen, der Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland für Freiwilligendienste.
Links bei dradio.de:
Campus & Karriere - Bufdi statt Zivi
Regierung macht Werbung für den neuen Bundesfreiwilligendienst
Hintergrund - Das Ende einer Institution
Die Wehrpflicht wird ausgesetzt (DLF)
Thema - Chaos bei den Freiwilligendiensten? - Grüner Jugendpolitiker fordert "Gesamtstrategie"
Mit der Wehrpflicht endet auch der Zivildienst. Dabei wäre er an diesem Wochenende genau 50 Jahre alt geworden. Der Bundesfreiwilligendienst ist noch nicht installiert, da hat die Evangelische Kirche in Deutschland schon einen Beauftragten für Freiwilligendienste: Vor einer guten Woche ist Jan Janssen in dieses Amt berufen worden, der Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Oldenburg. Das zeigt, wie ernst man in der evangelischen Kirche die Entwicklung nimmt. Das Ende des Zivildienstes, ausgerechnet im 50. Jubiläumsjahr, sehen Sie das mit Trauer?
Jan Janssen: Das ist ein lachendes und ein weinendes Auge, würde ich sagen. Ich habe selber Zivildienst gemacht, das war eine gute Erfahrung in meiner Biografie, da möchte ich keinen Tag missen. Auf der anderen Seite war dieser Dienst natürlich immer mit Pflicht verbunden und hat auch zu mancher Mühe geführt. Ich glaube, da ist es ein Doppeltes – dass es jetzt übergeht in einen Freiwilligendienst, ist eigentlich eine gute Tendenz.
Dietrich: Warum haben Sie Zivildienst gemacht, Sie als Theologe mussten das ja nicht, Sie wären befreit gewesen sowohl vom Wehrdienst als auch vom Zivildienst?
Janssen: Meine Entscheidung stand noch nicht ganz fest, ich glaube, das war eine gute Orientierungszeit, in der Sozialarbeit Erfahrungen zu sammeln, als 19-, 20-Jähriger ein bisschen mehr zu sehen als nur die Schule.
Dietrich: Was vom Zivildienst kann oder sollte in den neuen Bundesfreiwilligendienst übernommen werden, was eher nicht?
Janssen: Der Pflichtcharakter ist mit diesem Jahr auslaufend, das ist etwas Gutes. Was eine gute Erfahrung war, war den Sozialbereich kennenzulernen, ohne sich schon für einen Berufsweg festlegen zu müssen, ein, anderthalb Jahre Erfahrungen zu sammeln in einem Bereich, wo man sich nicht jede Tätigkeit aussuchen kann, nicht völlig frei ist in der Gestaltung des Tages, sondern wirklich dienstbarer Charakter wird. Ein bisschen davon lernt man, glaube ich, im Zivildienst, das kann auch ein Freiwilliges Soziales Jahr leisten, da sind die Verbindungen.
Dietrich: Das heißt, das ist so eine Art Charakterschule.
Janssen: Ja, Lebenserfahrung sammeln in einem relativ frühen Stadium. Für viele junge Menschen in diesen Aufgaben, auch in den Freiwilligendiensten, heißt das da: Orientierung schaffen, wo will ich eigentlich hin, was kann ich erst mal ausprobieren, bevor ich mich für einen langen Berufsweg und Ausbildungsweg festlege.
Dietrich: Zu Ihrem Amtsantritt haben Sie gesagt, die neuen oder die ausgebauten Freiwilligendienste sollen Vitamine für eine stresskranke Gesellschaft sein. Was soll ich mir denn darunter vorstellen?
Janssen: Ich glaube, dass diese Phase guttut in einer weitgehend ökonomisierten Leistungsgesellschaft, wo Freiwilligkeit ein Wert ist, der geübt, gelernt wird und wo auch unsere Gesellschaft lernt, mit freiwilligem Engagement umzugehen und dieses zu würdigen. Darin sehe ich sozusagen eine Vitaminspritze für eine Gesellschaft, die immer mehr auf Leistung und Gegenleistung aufbaut.
Dietrich: Das heißt, dass man überhaupt wieder wertschätzen lernt, dass Menschen freiwillig irgendwas tun?
Janssen: Ja, Zeit hergeben, sich Zeit nehmen, einen Beitrag leisten zur Gestaltung dieser Gesellschaft, gerade im sozialen, im ökologischen, im kulturellen Bereich.
Dietrich: Nun ist die gesellschaftliche Dimension eines Freiwilligendienstes das eine, das andere, vielleicht das Wichtigere auch für diejenigen, die den Dienst tatsächlich tun, ist die persönliche Dimension, also Neues erleben, die Persönlichkeit kennenzulernen, auszuloten, vielleicht auch die eigenen Grenzen. Wie wichtig ist diese persönliche Note?
Janssen: Meine Begegnung mit Freiwilligen – gerade hier im Oldenburger Land haben wir da eine tolle Arbeit, letztes Jahr konnte ich 90 junge Leute da treffen – sagt, dass diese Menschen sozusagen ein Aha-Erlebnis nach der Schule für sich buchen können und diese Phase auch in ihrem Leben nicht so schnell vergessen. Das ist, glaube ich, eine wichtige Station, die sie einnehmen – so ist es für mich selber, so erlebe ich es bei vielen jungen Leuten –, sich in ein Gebiet zu begeben, das ich noch nicht so genau kenne, das noch nicht so abgesteckt ist, aus dem ich dann aber nach einer Phase auch wieder herausfinde, um mich neu auf den Weg zu machen, dann meistens für eine Ausbildung oder ein Studium.
Dietrich: Kann man das gewichten, was da wichtiger ist für diese Freiwilligen? Die eigene Erfahrung oder der Wunsch, Gutes für andere zu tun?
Janssen: Anderen helfen ist, denke ich, eine ganz wichtige Erfahrung in dieser Phase. Man hat in der Schule leistungsorientiert gelernt, für sich etwas getan. Dann den Horizont aufzumachen, anderen Menschen zur Seite zu stehen, bis in die Pflege hinein, oder etwas zur Bewahrung der Schöpfung zu tun, für die Begegnung der Kulturen, das sind, glaube ich, ganz wertvolle Erfahrungen.
Dietrich: Nun gibt es ja auch Kritik an solchen Freiwilligendiensten, vor allen Dingen den Einsätzen im Ausland, dass es heißt: Da steht der Selbsterfahrungsaspekt viel zu sehr im Vordergrund, und den Menschen vor Ort nutzen junge Amateure, die dort ins Ausland gehen, um sich selber kennenzulernen, eigentlich herzlich wenig.
Janssen: Da tun, glaube ich, unsere Trägerorganisationen eine wertvolle Arbeit, indem sie diese jungen Menschen begleiten, sie befähigen für ihre Dienste, ihnen wiederum zur Seite stehen in solchen jungen Jahren. Da bekomme ich gute Rückmeldung von den verschiedenen Trägern, aus der Friedensarbeit genauso wie aus den Missionswerken.
Dietrich: Das heißt, der touristische Aspekt oder der Aspekt, den Lebenslauf ein bisschen aufzuhübschen, steht nicht so im Vordergrund?
Janssen: Ich würde das als gute Begleitmusik für junge Leute sehen, die sich ja auch hergeben mit ihrer Arbeitszeit, da darf das ruhig auch ein positives Erlebnis werden.
Dietrich: Den Freiwilligendienst gibt es ja schon, Sie haben die Friedensarbeit angesprochen, es gibt das Freiwillige Soziale oder Ökologische Jahr. Ein neuer, erweiterter Freiwilligendienst – kann man sich das vorstellen wie diese stehenden Dienste, einfach nur in größerer Zahl angeboten, oder bekommt das auch eine neue Form?
Janssen: Ich denke, es geht zunächst mal darum, zu fördern, was wir bisher an Erfahrung in unserer Gesellschaft haben. Da sind die evangelischen Träger mit die größten, da ist Know-how, was, glaube ich, auch der zukünftige Bundesfreiwilligendienst abrufen kann, da stehen wir bereit, da haben wir uns jetzt auch neu aufgestellt mit EKD-Strukturen, um ein vernünftiges Sprachrohr zu haben, um die Kräfte, die bisher locker verbunden waren, ein bisschen besser aufzustellen. Da sind wir bereit für jedes Gespräch.
Dietrich: Sie haben eben gesagt, der Freiwilligendienst ist vor allen Dingen auch wichtig, um einer leistungsorientierten Gesellschaft den Wert des Freiwilligen zu betonen. Nun hat diese Wertschätzung ja auch eine ganz handfeste wirtschaftliche Dimension. Mit dem Wegfall des Zivildienstes können viele Stellen gerade in niederschwelliger sozialer Arbeit erst mal nicht mehr besetzt werden, und davon sind natürlich auch die Kirchen betroffen. Das sagt zum Beispiel die Diakonie ganz ausdrücklich: Der Freiwilligendienst kann den Ausfall des Zivildienstes nicht kompensieren. Wie stark stehen da – wenn man es mal ehrlich betrachtet – auch wirtschaftliche Interessen hinter diesem großen Engagement jetzt beim Freiwilligendienst?
Janssen: Nun, da gilt es einfach vorsichtig zu sein. Schon zu meiner Zeit gab es die Gefahr, dass Zivildienstleistende verrechnet wurden mit Pflegekräften, da gilt es deutlich aufzupassen und solche Tendenzen zu verhindern. Andererseits muss man natürlich angesichts der Zahlen sagen, das ist ein Faktor, den man nun mal nicht mit dem Umschwenken eines Hebels verändert. Da braucht es sicher Übergangslösungen, die auch der Diakonie ein bisschen helfen. Da tut sich ja auch was in den Gesprächen in Richtung auf den neuen Bundesfreiwilligendienst, die Bedingungen ein bisschen zu verbessern, um auch den Trägern die Einstellung solcher Leute etwas zu erleichtern.
Dietrich: Das müssten Sie noch mal genauer erklären. Was tut sich da konkret? Denn gerade eben Träger wie die Diakonie rechnen ja eben ganz handfest, das ist ja nicht einfach nur so eine theoretische Überlegung.
Janssen: Und doch sind sie darauf angewiesen, dass sich Menschen freiwillig für diese Dienste melden. Da werden wir jetzt die Rahmenbedingungen ja etwas verbessert bekommen, darüber bin ich ganz froh. Ich sehe weiterhin eine große Unterscheidung – das gilt für kirchliche Träger genauso wie für andere – zwischen den Kräften, die eine befristete Phase in ihrer Biografie zur Verfügung stellen, und denen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, das muss man sauber auseinanderhalten.
Dietrich: Der Zivildienst war ja genau für den Übergang zwischen diesen beiden Phasen so eine wichtige Nahtstelle, dass Menschen, oder genauer gesagt, dass Männer einen sozialen Beruf erst mal kennengelernt haben und für sich überhaupt erst als Möglichkeit entdeckt haben – ein Beruf, der eigentlich nicht besonders hoch angesehen ist und der eigentlich eher als Frauenberuf gilt. Wie kann der Freiwilligendienst die Nachwuchswerbung für diese Art von Arbeit übernehmen? Muss er das vielleicht sogar, muss er das auffangen?
Janssen: Zum Teil wird er das können, da gab es immer Grenzbereiche. Allein die Menschen, die diese jungen Leute begleitet haben, haben Erfahrung sowohl mit dem Zivildienst wie mit den FSJ-lern. Ich glaube, da gibt es einen ganz guten Übergang, gerade bei den Trägern, die die Situation junger Leute da gut kennen, die aber auch die Einrichtungen besuchen, die wissen, in welche Situation die Leute kommen. Ich glaube, da tun wir eine ganze Menge seitens der Diakonie, genauso wie seitens der Friedenseinrichtungen.
Dietrich: Verändert sich die Arbeit der Freiwilligen dadurch, dass der Zwangscharakter wegfällt? Also, dass man die Arbeit noch attraktiver, werbender, einladender gestalten muss?
Janssen: Ich glaube, der Zuspruch zu den Freiwilligendiensten ist gut, hat bisher nicht die Konnotation, das ist jetzt eine Art Ersatz-Ersatzdienst, das wird es sicher nicht geben.
Dietrich: Trotzdem ist ja wahrscheinlich der Lockruf des Auslands groß. Wie bringen Sie die Leute dann zum Beispiel in die Altenheime im Oldenburger Land?
Janssen: Nicht nur der Lockruf des Auslands ist groß. Wir machen gute Erfahrungen genauso im Sozialbereich, in vielen Kindertagesstätten sind die Leute eingesetzt, machen da erste Erfahrungen, wenn sie sich für pädagogische Berufe interessieren. Das steht doch sehr unter dem Duktus: Ich stelle mich hier freiwillig zur Verfügung, mache Erfahrungen und werde auf diese Weise auch nicht irgendwie verrechnet in den Häusern.
Dietrich: Was macht Ihre Arbeit als Beauftragter für den Freiwilligendienst aus? Ist das hauptsächlich eine Werbekampagne, damit die evangelische Kirche mithalten kann auf dem Markt, auf dem da um die Bewerber um diese Dienste gekämpft wird?
Janssen: Wir haben bisher auch eine Konferenz evangelischer Freiwilligendienste gehabt, die wird ein wenig gestärkt, hoffe ich, mit dieser Funktion. Da kann ich sicher ein bisschen bündeln, hoffe, Sprachrohr zu sein für diese jungen Menschen, aber auch für die Trägerinstitutionen, die für diese Leute da sind, sie begleiten. Auch den Bildungsaspekt in dieser Phase eines Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahres würde ich noch mal stark machen wollen. Da tun wir eine ganze Menge, da wäre auch ein Ausrufezeichen für den zukünftigen Bundesfreiwilligendienst zu setzen.
Dietrich: Freiwilligendienst oder Zivildienst, was ist Ihre Präferenz?
Janssen: Ich würde sagen, trotz meiner guten Erfahrung im Zivildienst persönlicher Art bin ich froh darüber, dass hier jetzt ein Einschnitt geschieht und dass die Menschen klar unter dem Vorzeichen der Freiwilligkeit sich entscheiden. Ich glaube, das schafft einen weiteren Horizont, für alle Beteiligten.
Dietrich: 50 Jahre Zivildienst und gleichzeitig Ende des Zivildienstes – Beginn eines verstärkten Freiwilligendienstes. Das war Jan Janssen, der Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland für Freiwilligendienste.
Links bei dradio.de:
Campus & Karriere - Bufdi statt Zivi
Regierung macht Werbung für den neuen Bundesfreiwilligendienst
Hintergrund - Das Ende einer Institution
Die Wehrpflicht wird ausgesetzt (DLF)
Thema - Chaos bei den Freiwilligendiensten? - Grüner Jugendpolitiker fordert "Gesamtstrategie"