Andere Regeln als beim Denken

Rezensiert von Matthias Eckoldt |
Wenn man kommuniziert, herrschen völlig andere Regeln als beim Denken. In der Kommunikation ist man auf Wörter, Höflichkeitsrituale, Floskeln angewiesen, die alle anderen auch benutzen. Das Denken dagegen ist hochgradig individuell. Dirk Baeckers Buch "Form und Formen der Kommunikation" erläutert diese Zusammenhänge und eröffnet ein Verständnis von Kommunikation.
Menschen - so belehrte der Soziologe Niklas Luhmann einst die staunende Wissenschaftlergemeinde - Menschen können überhaupt nicht kommunizieren, sondern nur die Kommunikation kann kommunizieren. Der Luhmann-Schüler Dirk Baecker nimmt nun den provokanten Ausspruch seines Lehrers zum Ausgangspunkt seiner Kommunikationstheorie, die er in dem Buch "Form und Formen der Kommunikation" im Suhrkamp Verlag vorgelegt hat.

Baecker: "Wenn man den Satz von Luhmann hört "nur Kommunikation kann kommunizieren", dann denkt man zuweilen, das sei so eine Art Selbstlauf, was er nicht so meinte und was ich auch nicht so meinen würde. Sondern man meint damit hauptsächlich, dass die Kommunikation eine eigene Dynamik hat, die aber als solche nur dann läuft, wenn Individuen mitspielen. (...) Die Beobachtung dahinter ist eine ganz schlichte, nämlich die dass wir - wir mögen uns denken, was wir wollen - nicht aus unserem Kopf heraus denken können."
Wenn man zu sprechen beginnt, merkt man bereits, dass die Formulierungen nicht das transportieren, was man sich eigentlich gedacht hatte. Wenn man kommuniziert, herrschen völlig andere Gesetzmäßigkeiten als wenn man denkt. In Kommunikation ist man auf Höflichkeitsrituale, Floskeln und Wörter angewiesen, die alle anderen auch benutzen. Das Denken hingegen ist hochgradig individuell. Damit wir trotzdem miteinander kommunizieren können, muss etwas Drittes hinzutreten.
Baecker: "Wenn wir in eine Kirche hineinkommen, merken wir, wie uns eine bestimmte Haltung plötzlich überfällt, (...) wie wir unsere Stimme dämpfen, nicht weil uns irgendjemand gegenübersteht, der uns sagt: Nun benimm dich mal, sondern weil wir uns von einem Dritten beobachtet und an die Hand genommen fühlen, der uns jetzt sagt, nun mach mal dieses und jenes. Das ist die Art, wie man sich in diesem Zusammenhang unterhält."

Mit diesem Dritten meint Dirk Baecker nicht Gott, sondern das Regelwerk, das Kommunikation ermöglicht und ihr zugleich eine spezifische Form gibt. Wie das geschieht, untersucht Dirk Baecker auf knapp dreihundert Seiten in seinem unnachahmlichen Stilmix aus theoretischer Virtuosität und alltagsnaher Beobachtung. Als die zentrale Form der Kommunikation identifiziert er schließlich das Spiel mit Erwartungen.

"Eine Erwartung ist eine Struktur auf dem Sprung, aber immerhin eine Struktur. Sie bestimmt sich selbst im Unterschied zu ihrer möglichen Enttäuschung, nutzt jedoch die Enttäuschung nicht etwa dazu, gar nicht mehr zu erwarten, sondern dazu, etwas anderes zu erwarten."

Besonders erhellend an Baeckers Analyse ist, dass sich diese Kommunikationsspiele selbst steuern und deshalb nicht vom Menschen zu kontrollieren sind.

Baecker: "Wir bekommen das innere Kribbeln, wenn wir merken, hier hat man es nicht mit Kausalität zu tun, hier läuft kein technischer Prozess, hier gibt's keinerlei Verlässlichkeit, was als nächstes passiert, sondern nur Unzuverlässigkeit und ein extremes Raffinement der Verhältnisse, mit dieser Unzuverlässigkeit umzugehen. (...) Und dieses nicht nur als Leiden unter der Unkalkulierbarkeit der Verhältnisse wahrzunehmen, sondern als Konfrontation mit Freiheitsspielen, die den eigentlichen Spaß und die Subtilität am Umgang mit Kommunikation ausmachen, das ist das Ziel, das dieses Buch verfolgt."

"Form und Formen der Kommunikation" ist ganz sicher keine leichte Kost. Man weiß es ja – die süßen Trauben hängen hoch. Wer sich jedoch den Herausforderungen des hohen Abstraktionsniveaus in Baeckers Buch stellt, wird reichlich belohnt. Denn Baecker eröffnet ein völlig neues Verständnis von Kommunikation, das es schließlich sogar im privaten, beruflichen und öffentlichen Umgang ermöglicht, die Chancen der Kommunikation durch die Kenntnis ihrer Regeln zu erhöhen.

Dirk Baecker: Form und Formen der Kommunikation
Suhrkamp 2005, EUR 22,80