Analyse einer Männerfreundschaft

Mit subtilem Einfühlungsvermögen schildert Hansjörg Schertenleib die Verwirrungen zweier Jugendlicher auf ihren Wegen in die Erwachsenenwelt im Sommer 1974. Trotz aller Probleme ist „Cowboysommer“ kein schwermütiger Roman sondern voller Lebenslust und Energie.
„Freundschaft kann man genauso wenig erklären wie Liebe; doch was wären wir, wenn wir es nicht versuchten?“, lässt Hansjörg Schertenleib die Hauptfigur seines neuen Romans „Cowboysommer“ seufzen. Hanspeter, der Erzähler, blickt im Winter 2010 zurück auf die wichtigste Freundschaft in seinem Leben. Es ist die Freundschaft zu Boyroth, den Hanspeter kennenlernte, als beide 17 Jahre alt waren. Das war im Sommer 1974. Boyroth ist anders als die übrigen 17-Jährigen: Er fährt Motorrad und weiß, was er will. Er ist jemand, zu dessen Fußballkünsten alle aufblicken, den die Mädchen anhimmeln und der stets die richtige Musik hört.

Der in sich gekehrte Hanspeter ist begeistert von Boyroth und er liebt dessen Schwester Yolanda. Außerdem möchte er hinaus aus der Züricher Enge der Siebziger Jahre. Eines Tages verkracht er sich mit seinem Vater und verlässt die Schweiz. Nach Wochen kehrt er zurück und erfährt, dass es in seinem Heimatort einen tragischen Unfall gegeben hat: Yolanda ist ums Leben gekommen, und ihr Tod wirft einen langen Schatten auf Hanspeters Leben. Boyroth dagegen wirft dieser Unfall vollends aus der Bahn.

Während die äußere Handlung von Hansjörg Schertenleibs neuem Roman schnell erzählt ist, lässt einen die Gefühlswelt auch lange nach der Lektüre von „Cowboysommer“ nicht so schnell wieder los. Mit subtilem Einfühlungsvermögen schildert der Autor die Verwirrungen zweier Jugendlicher auf ihren Wegen in die Welt der Erwachsenen. Das Buch ist eine Hommage an den besten Jugendfreund und zeichnet einfühlsam nach, wie unterschiedlich sich der Unglücksfall auf beide auswirkt: Während der eine daran wächst, zerbricht der andere daran.

Schertenleib versteht es meisterhaft, die zahlreichen Töne zwischen diesen beiden Extremen in Worte zu fassen; Sprache und Aufbau des Buchs folgen diesem Anspruch. Einer Rückblende vom Winter 2010 in den Sommer 1974 folgt ein Sprung ins Frühjahr 2010. Erst dann haben Hanspeter und Boyroth Yolandas Tod in letzter Konsequenz bewältigt.

Trotz der geschilderten Problematik hat Hansjörg Schertenleib keinen schwermütigen Roman verfasst, der Titel leitet also nicht in die Irre: „Cowboysommer“ ist ein Buch voller Lebenslust und zupackender, jugendlicher Energie, ein Buch, das viele Rückschlüsse auf Vorlieben des Autors zulässt: auf Orte, die er kennt, Bücher, die er gelesen hat und Musik. Vom ersten bis zum letzten Kapitel begleitet sie den Leser durch das Buch. Texte von Musikern wie Leonard Cohen oder Frank Zappa beschreiben die Stimmung, und auch Schriftsteller, die – wie zum Beispiel Hermann Hesse – in den Siebziger Jahren auf Jugendliche wirkten, zitiert Hansjörg Schertenleib auf eine originelle Art und Weise: Druckerlehrling Hanspeter hat stets Bleisatz-Buchstaben dabei. Poetische Zeilen, die ihn bewegen, legt er in schöner Regelmäßigkeit an verschiedene Orte, in der Hoffnung, eine andere Person würde die Mitteilung in Spiegelschrift entziffern können. Einmal hat Hanspeter Theodor Storms Gedicht „Weiße Rosen“ im Sinn. „Der Weg ist gar so einsam, es reist ja niemand mit, die Wolken nur am ... „. Dann gehen ihm die Buchstaben aus.

Besprochen von Roland Krüger

Hansjörg Schertenleib: Cowboysommer
Roman, Aufbau-Verlag, Berlin 2010
244 Seiten,19,95 Euro
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