Analyse des Nachrichtendienstes

Rezensiert von Wolfgang Sofsky |
Der Autor Eric Gujer berichtet in seinem Buch „Kampf an neuen Fronten – Wie sich der BND dem Terrorismus stellt gründlich und gut informiert über den Nachrichtendienst. Er kennt die Intrigen und Rivalitäten im Amt, die wirklichen Verräter und vermeintlichen Maulwürfe, die Pannen und Skandale, nicht zuletzt die Logik deutscher Dienstarbeit.
Es liegt in der Natur der Sache, dass Bücher über Nachrichtendienste selten mehr als offene Geheimnisse zu berichten wissen. Enthüllt ein Autor interne Verschlusssachen, keimt sofort der Verdacht auf, in der Behörde gäbe es eine undichte Stelle, die der Autor jedoch niemals verraten darf. Eine von Eric Gujers ungenannten Quellen dürfte der „Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland“ sein, ein gemeinnütziger Zirkel altgedienter Geheimdienstler und Journalisten, in dem regelmäßig alte Affären und neue Lagen erörtert werden. Gujer, Deutschlandkorrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“, berichtet gründlich und wohlinformiert. Er kennt die Intrigen und Rivalitäten im Amt, die wirklichen Verräter und vermeintlichen Maulwürfe, die Pannen und Skandale, nicht zuletzt die Logik deutscher Dienstarbeit.

Geheimdienste hüten nicht nur Geheimnisse. Etwa 80 Prozent ihrer Quellen sind jedermann zugänglich, und häufig wissen Einheimische, aufmerksame Zeitungsleser und Internetsurfer ebenso viel wie professionelle Späher. Der Unterschied liegt darin, dass Spionagebehörden die tagtäglichen Informationen mit aktenmäßiger Routine auswerten. Nur wenn die Gegenseite keinesfalls ahnen soll, dass man sich für sie interessiert, behilft man sich mit konspirativen Methoden. Sie sollen verbergen, was man bereits weiß und wie man seine Kenntnisse gewonnen hat.

„Jeder Geheimdienst ist in einer freien Gesellschaft ein Paradox. Er agiert im Geheimen und entzieht sich der Kontrolle. Er benutzt Mittel, die ansonsten verboten sind, Täuschung, Betrug und Diebstahl, und er ignoriert verbriefte Grundrechte wie das Fernmeldegeheimnis.“

Es liegt in der Natur der Sache, dass Bücher über Nachrichtendienste selten mehr als offene Geheimnisse zu berichten wissen. Enthüllt ein Autor interne Verschlusssachen, keimt sofort der Verdacht auf, in der Behörde gäbe es eine undichte Stelle, die der Autor jedoch niemals verraten darf. Eine von Eric Gujers ungenannten Quellen dürfte der „Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland“ sein, ein gemeinnütziger Zirkel altgedienter Geheimdienstler und Journalisten, in dem regelmäßig alte Affären und neue Lagen erörtert werden. Gujer, Deutschlandkorrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“, berichtet gründlich und wohlinformiert. Er kennt die Intrigen und Rivalitäten im Amt, die wirklichen Verräter und vermeintlichen Maulwürfe, die Pannen und Skandale, nicht zuletzt die Logik deutscher Dienstarbeit.

„Spionage bedeutet Wiederholung. Man muss immer wieder dieselben Fragen stellen, um die Schwachpunkte im Bericht des Agenten aufzuspüren. Spione sind Jongleure des Wortes. Sie reden, weil sie Angst haben; weil sie ihre Führungsoffiziere nicht enttäuschen möchten; weil sie ihre Wichtigkeit demonstrieren wollen. Genauso wichtig wie die Information selbst ist es, herauszufinden, warum eine Quelle redet und warum sie schweigt.“

Die Glaubwürdigkeit der Informanten ist das Hauptproblem aller konspirativen Ermittlung. Im Dunkelfeld zählen nur drei Möglichkeiten: Vertrauen, Verdacht oder Verrat. Und wenn der Gegenseite alles zuzutrauen ist, hilft die gezielte Irreführung.

„Gegenspionage ist die Kunst, die Dinge anders aussehen zu lassen als sie in Wirklichkeit sind. Man täuscht den Gegner und kalkuliert ein, dass er die Täuschung durchschaut. Man versucht, den nächsten Schritt des Gegenübers zu erahnen und in seine eigene Strategie zu integrieren.“

Gujer vertraut den Auskünften seiner Informanten. Dies hindert ihn jedoch nicht an der Kritik historischer Versäumnisse. Die deutsche Einheit, die Sicherung der Stasi-Unterlagen, die digitale Revolution, der Übergang von der geruhsamen Abhörtechnik zur Ermittlung vor Ort, die Umstellung vom Kalten Krieg auf heiße Terrorkriege, der Balkan, das Kosovo, Afghanistan – die Bilanz des Bundesnachrichtendienstes fällt alles andere als überzeugend aus. Regelmäßig kam die Großbehörde zu spät. Besser informiert war man nur über Tschetschenien und die leeren Atomarsenale Saddam Husseins. Bürokratische Trägheit verhinderte vielfach die Erfassung akuter Krisen. Für taktische Aufklärung taugt der Auswertungsdienst BND offenbar ebenso wenig wie für die Prognose künftiger Entwicklungen. Entsprechend bescheiden fällt die Aufgabe aus, die Gujer dem Amt zuerkennt:

„Ein verbreiteter Irrtum besteht in der Annahme, Nachrichtendienste seien dazu da, die Zukunft vorherzusagen. Tatsächlich besitzen Geheimdienste keine besseren prognostischen Fähigkeiten als Leute, die bei Pferderennen Wetten abschließen. Die Aufgabe der Dienste besteht zunächst nur darin, den Militärplanern und politisch Verantwortlichen aufzuzeigen, welche Optionen der Gegner besitzt, damit jene nicht unvorbereitet eine Entscheidung fällen müssen.“

Der BND – eine klandestine Serviceagentur deutscher Außen- und Militärpolitik? Über weite Strecken liest sich Gujers Bericht wie ein Extrakt aus den Dossiers einer Behörde, die bekanntes Detailwissen präsentiert und neue Leistungen verspricht, um ihr Ansehen zu retten und sich weiterhin Geld, Technik und Personal zu sichern.

„Der gewaltbereite Islamismus hat so viele Gesichter, dass es längst nicht mehr wie in den Tagen des Kalten Krieges genügt, an einer Stelle einen Top-Agenten zu platzieren. Auch wenn alle Nachrichtendienste weiter mit Mitteln wie Täuschung und Erpressung arbeiten, haben sich ihre Methoden verändert. Die besten Resultate erzielen Dienste, die es verstehen, für ihre Analysen möglichst viele Quellen zu nutzen, und dazu gehören auch die öffentlich zugänglichen Informationen wie die im Internet verbreiteten Botschaften von Osama bin Laden.“

Die Nutzung diverser Quellen sollte für einen auswärtigen Spionagedienst eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Gujer schreibt offenkundig die gemächliche Tradition einer Behörde fort, die stets mehr auf Auswertung als auf Ermittlung, mehr auf Beobachtung denn auf Intervention gesetzt hat. Von den 6000 Bediensteten sind sage und schreibe knapp 300 im Ausland stationiert. Da verwundert es wenig, dass der bürokratische Heimatdienst dringend fremder Hilfe bedarf.

„Der BND erhält wie die anderen europäischen Nachrichtendienste Verhörprotokolle aus den Geheimgefängnissen der CIA... Außerdem arbeiten Europäer und Amerikaner intensiv mit nahöstlichen Geheimdiensten zusammen, die Geständnisse mit Folter zu erpressen pflegen...Die westlichen Gesellschaften sind heute eher bereit, geheimdienstliche Praktiken zu akzeptieren, die sie vor wenigen Jahren als menschenrechtswidrig gebrandmarkt hätten.“

Der BND profitiert von Verschleppung, peinlicher Befragung, illegaler Inhaftierung. Die Europäer sind Komplizen der amerikanischen, ägyptischen oder syrischen Ermittler. Die Erregung über die Missetaten der CIA ist selbstgerecht und obendrein folgenlos. Kein Staat der EU ist bereit, auf die Informationen aus den geheimen Verhörzentren zu verzichten.

„Die Europäer äußerten ihre Kritik in der Erwartung, dass diese keine Wirkung zeigt und sich an der Zusammenarbeit nichts ändert. Bei den Protesten in Washington geht es hauptsächlich darum, den Unmut der Öffentlichkeit zu kanalisieren.“

Der heutige Terrorkrieg findet in einer Grauzone statt, in der weder die Regeln der Abschreckung, des Rechts noch der alten Aufklärung gelten. Der Gegner ist kein Staat, sondern ein lockeres Netz von Zellen, die nichts voneinander wissen und nur durch mobile Kader verknüpft sind. Es gibt kein einheitliches Täterprofil. Al-Kaida konnte seine Kommunikationsstruktur teilweise erhalten, und in Europa haben sich junge Einwanderer dem Terror verschrieben, die sich nirgendwo zuhause fühlen. Die Infiltration der Milieus um die Moscheen oder religiösen Akademien ist nicht unmöglich, aber die Verlässlichkeit der Zuträger ist gering und der Zugang zu den Attentätern nahezu ausgeschlossen. So klingt es wie eine verlegene Ehrenrettung einer Behörde, wenn Gujer mehrfach auf die Bedeutung der Information zurückkommt:

„Im vernetzten Krieg ist Information und nicht Feuerkraft die wichtigste Ressource...Die wirksamste Waffe im Kampf gegen den Terrorismus ist die aufgeklärte Öffentlichkeit. Der Kampf der Meinungen schafft einen gesellschaftlichen Grundkonsens und ermöglicht so die entschlossene Reaktion einer Nation.“

Derlei Diagnosen können nur einem Mangel an historischer Information entspringen. Kriege wurden zwar schon durch Unkenntnis verloren, aber noch niemals durch Wissen allein gewonnen. Solange man sich weigert anzuerkennen, dass der islamistische Terror ein Krieg neuen Typs ist, bleibt es ein gut gehütetes Geheimnis des Autors, wie der geheime Bürodienst deutsche Truppen im Ausland warnen oder jemals ein Kommando entschlossener Attentäter aufhalten will.


Eric Gujer:
Kampf an neuen Fronten –
Wie sich der BND dem Terrorismus stellt

Campus Verlag, Frankfurt/New York, 2006