Analphabetismus

Leben mit einem Schamgefühl

Eine weibliche Hand mit Kugelschreiber schreibt in der Volkshochschule Rostock bei einem Analphabten-Grundkurs in ein Heft.
Lesen und Schreiben ist für viele Menschen eine alltägliche Qual © picture alliance / Bernd Wüstneck
Tim-Thilo Fellmer im Gespräch mit Dieter Kassel  · 07.09.2018
Der Kinderbuchautor Tim-Thilo Fellmer fordert mehr Zeit für den Umgang mit Kindern in den Schulen. Individuelle Betreuung in kleinen Klassen und gute Lehrer mit einer Methodenvielfalt seien das beste Mittel gegen Analphabetismus.
Rund 12 Prozent der Berufstätigen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben. Aber die wenigsten geben das offen zu, denn Analphabetismus ist ein Tabu. Tim-Thilo Fellmer ist heute erfolgreicher Kinderbuchautor, aber erinnert sich selbst noch gut an schwere Zeiten, in denen er als funktionaler Analphabet aus der Hauptschule kam. Heute engagiert er sich gegen den verbreiteten Analphabetismus, in dem er offen von den eigenen schmerzlichen Erfahrungen erzählt.
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Der Kinderbuchautor Tim-Thilo Fellmer, früher Analphabet, schreibt heute Kinderbücher und veröfffentlicht sie im Selbstverlag.© picture alliance/dpa/Marius Becker
Wie die meisten der Betroffenen sei er Profi darin gewesen, seine Schreib- und Leseschwäche zu verstecken, sagte Fellmer im Deutschlandfunk Kultur. Er habe alles dafür getan, dieses große Problem für sich zu behalten. "Das ging einher mit einem großen Schamgefühl." In der Schule habe sich das Gefühl des Versagens auf alle Fächer erstreckt. Die Diktate seien rot markiert gewesen, er habe mal abgeschrieben und das Schulleben sei von negativen Gefühlen gegenüber dem Lernen geprägt gewesen. Fellmer sagte, sein Leben habe sich nach einer Lebenskrise und mit Hilfe eines Volkshochschulkurses erst sehr viel später grundlegend verändert.

Mehr Unterstützung in der Schule

Der Autor erinnerte daran, dass es jedes Jahr 50.000 Schulabgänger ohne Abschluss gebe. Es müsse in den Schulen deshalb viel mehr Zeit für die einzelnen Kinder da sein, um mit ihnen viel individueller zu arbeiten. "Jeder Mensch ist nun mal anders und wir haben verschiedene Lerntypen", sagte Fellmer. Er forderte noch besser ausgebildete Lehrer mit einer größeren Methodenvielfalt. Dann werde man in der Schule weniger Kinder verlieren. Oft könne zu Hause nicht ausreichend geholfen werden, vor allem in Fällen, in denen auch unter den Eltern jemand ein Analphabet ist. "Das sollte die Schule dann frühzeitig mitbekommen." (gem)
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