An der Grenze zum Gaza-Streifen

Ein Konzert als Zeichen der Annäherung

Zu Fuß gehen Delegationsmitglieder und Journalisten am 01.06.2015 über den Grenzübergang Erez in den Gazastreifen (Palästinensische Gebiete). Fast ein Jahr nach dem jüngsten Krieg mit mehr als 2.200 Toten leidet die Bevölkerung des dicht besiedelten Palästinensergebiets immer noch schwer unter den Folgen.
Übergang zum Gaza-Streifen: Immer wieder eskaliert der israelisch-palästinensische Konflikt © Jens Büttner / dpa
Von Evelyn Bartolmai · 12.06.2015
Von der Trauer zur Hoffnung: Vor einem Jahr eskalierte der israelisch-palästinensische Konflikt, nach dem Gaza-Krieg 2014 waren auf beiden Seiten 2200 Opfer zu beklagen. Deshalb fand in diesen Tagen an der Grenze zum Gaza-Streifen ein Friedenskonzert statt. Und es soll nicht bei einem bleiben.
Das Requiem von Mozart an einem kühlen Frühsommerabend unter freiem Himmel und mit Blick auf die zwei Kilometer entfernte Skyline von Gaza zu hören, hat selbst in Israel, wo gern ungewöhnliche Dinge passieren, eine ganz besondere Note. Die Rechtsanwältin Assnat Bar Tor hatte die Idee zu diesem Konzert, dessen erster Teil von den Laien-Chören Ichud und Kibbutz Artzi und der Solistenvereinigung Tel Aviv unter Leitung von Avner Itai geboten wurde. Nicht in einem Konzertsaal irgendwo in Tel Aviv, sondern genau dort, wo der Grund für die beidseitige Trauer gelegt wurde, sollte auch ein Zeichen der Annäherung und damit der Hoffnung gesetzt werden.
"Denn die gemeinsame Trauer muss unbedingt in einen Dialog münden. Dazu muss ich fähig sein, die Trauer und den Schmerz der anderen Seite mitzuempfinden. Und umgekehrt muss auch die andere Seite meine Trauer und meinen Kummer verstehen. Über diese Schmerzen kann dann eine Verbindung entstehen, die in den Dialog führt."
Ohne Sprache gegenseitige Vorurteile abbauen
Nicht nur, weil Assnat Bar Tor selbst in einem der Chöre mitsingt, hat sie sich für die Musik als Vehikel für diese einfache Botschaft entschieden. Vor allem auch ihre Erfahrung als Rechtsanwältin hat sie gelehrt, dass es leichter ist, mit non-verbalen Aktionen die gegenseitigen Vorurteile abzubauen und eine Gemeinsamkeit herzustellen:
"Es ist sehr schwierig, mit Worten anzufangen, denn wenn man redet, sagt der eine X, der andere Y, und sofort ist klar, wo man nicht übereinstimmt. Bei der Musik gibt es so etwas nicht, man sitzt zusammen und hört gemeinsam zu, jeder lässt sich von der Musik mitreißen und es gibt keine Dissonanzen, außer vielleicht in der Musik selbst. Deshalb glaube ich, dass es eine sehr gute Idee ist, eine Annäherung mit Musik anzufangen."
Auf einer Friedenskundgebung im vergangenen Jahr auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv hat Assnat Bar Tor den Dirigenten Avner Itai kennengelernt und ihn keine zwei Mal bitten brauchen, die musikalische Leitung des Projektes zu übernehmen.
"Das ist meine größte Solidarität mit dem Wunsch, zu einem Kompromiss und zum Frieden mit unseren Nachbarn zu gelangen. Vor allem mit den Arabern in Israel, die ein wichtiger Teil der israelischen Gesellschaft sind, aber natürlich auch mit den Angehörigen ihres Volkes jenseits der Grenzen, in den besetzten Gebieten in Jehuda und Samaria, aber auch im Gazastreifen."
Das bi-nationale Chorprojekt soll zur Annäherung beitragen
Dass für ein Konzert zur israelisch-palästinensischen Annäherung das Werk eines Europäers gewählt wurde, ist indirekt auch dem heute 80-jährigen Avner Itai zu danken. Anfang der 60er Jahre war er als glühender Kibbuznik zum Musikstudium nach Paris gegangen - und als Weltbürger zurückgekehrt. Als Leiter mehrerer Chöre ist es ihm in jahrzehntelanger Arbeit gelungen, die Vorbehalte gegen europäische geistliche und speziell christliche Musik auszuräumen. Denn unter dem Strich, sagt der überzeugte Atheist mit einem Augenzwinkern, ist es doch derselbe Gott, zu dem neben den Christen auch wir Juden und die Moslems beten.
"Für mich ist das ein wichtiges Anliegen, dass wir uns durch die Anteilnahme an der Trauer um die Opfer auf beiden Seiten und mit Sympathie begegnen. Und dieses Statement geben wir nicht mit Gewalt, sondern auf unsere Weise mit Kultur. Ich bin für den Frieden, und für einen Kompromiss will ich alles tun. Auch, damit meine Kinder hier bleiben und nicht nach Berlin oder Paris oder New York ziehen."
Als "keruw lewawot – Annäherung der Herzen" zwischen Israelis und Palästinensern beschreibt der israelische Musiker Idan Toledano seine Motivation, nicht nur selbst ein bi-nationales Chorprojekt zu leiten, sondern auch am Konzert in Kfar Aza teilzunehmen. Auch er ist zutiefst davon überzeugt, dass die Musik helfen kann, den Hass zu überwinden.
"Ja, absolut. Oft sagt man mir, du bist naiv und dumm, wenn du das glaubst, aber ich denke nicht nur, sondern ich sehe, dass es einen Einfluss hat. Wenn ich mit meinem Chor auftrete, da sehe ich manchmal sogar Leute, die weinen. Musik ist wie ein Zauber, der direkt ins Herz geht und etwas bewirkt. Und wenn die Leute danach weggehen, dann ist etwas mit ihnen geschehen, das glaube ich ganz fest."
Nicht nur auf den Stühlen vor der Bühne, sondern auch auf dem Rasen rundherum hatte es sich das Publikum bequem gemacht und mit Begeisterung auch dem zweiten Teil gelauscht, in dem israelische und arabische Künstler vom traditionellen Gesang bis zum "Blues for Peace" Lustiges, aber auch Besinnliches dargeboten haben. Und sie wussten sich einig mit den Besuchern, egal ob jüdisch oder arabisch:
Es könnte ein internationales Sommerfestival der Weltmusik werden
"Wir sind nicht einfach nur für ein Konzert hier, sondern um den Frieden zu begrüßen, das interessiert uns... ja, und wir wollen Leute trösten, die wegen der verfehlten Politik hier gelitten haben. Der Titel und das Ziel dieses Konzertes gefallen mir sehr gut, dass Juden und Araber trotz des Konfliktes zwischen Gaza und Israel hier zusammenkommen und eine neue Zukunft gestalten wollen. Ich glaube daran, dass selbst die ärgsten Feinde doch zusammenkommen können. Ich bin israelischer Araber, ich lebe in Yafo und ich habe mich gefreut, als ich hierher kam und gesehen habe, mit welchem Engagement alles vorbereitet war und wie viele Leute gekommen sind. Für den Frieden braucht es Leute des Friedens, die stark sind. Der Frieden ist noch nicht da, weil die Leute des Krieges die Macht haben. Aber die Lösung kann nur kommen, wenn wir miteinander reden und gemeinsam das Problem lösen. Ein Krieg löst niemals und kein Problem."
Selbstverständlich waren zum Konzert im Kibbutz Kfar Aza auch Gäste aus dem Gaza-Streifen eingeladen. 21 Passierscheine hatte Assnat Bar Tor bei den israelischen Sicherheitsbehörden beantragt und für 7 Personen auch erhalten. Doch im letzten Moment verweigerte die Hamas ihnen die Ausreise nach Israel, so dass die Gäste das Konzert nur über Handys miterleben konnten. In einer kurzen Konferenzschaltung über Skype dankten sie für das israelische Hoffnungszeichen und versicherten, dass es eines Tages doch ein gemeinsames Konzert geben werde. Assnat Bar Tor hat bereits erste Überlegungen angestellt, dass das Konzert keine einmalige Aktion bleibt, sondern vielleicht sogar ein internationales Sommerfestival der Weltmusik werden könnte:
"Ja, alle sollten zur Grenze marschieren und dort sitzen, dann würde es keine Kriege mehr geben! Und ich denke, dass es solche scheinbar verrückten Aktionen braucht, denn wenn es etwas wirklich Verrücktes und Sinnloses gibt, dann sind das Kriege!"
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