Ampelkoalition
Die Ampel verfolge eine Gesellschaftspolitik, die immer neue Gruppen von benachteiligten und anspruchsberechtigten Minderheiten definiere, meint Susanne Gaschke. Aber eine arbeitende Mittelschicht kenne sie nicht mehr. © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
So verliert man politisches Vertrauen

Die Enttäuschung über das selbsternannte „Fortschrittsbündnis“ Ampelkoalition ist groß. Nicht nur, weil die Parteien nicht wirklich zusammenpassen, meint Susanne Gaschke. Bei vielen Bürgern wachse der Eindruck, dass ihr Land nicht mehr funktioniert.
SPD, Grüne und FDP kommen in Umfragen zusammen nur noch auf ein Drittel der Stimmen. Dazu passt, dass zwei Drittel der Bevölkerung mit der Arbeit des Bundeskanzlers unzufrieden sind. Das Vertrauen in demokratische Institutionen schwindet.
Für die aktuelle Enttäuschung und Entfremdung gibt es Gründe. Einer ist, dass diese Koalition nicht wirklich zusammenpasst. Die FDP will das Geld zusammenhalten und Steuererhöhungen verhindern, SPD und Grüne wollen es weiter mit vollen Händen ausgeben und dafür zur Not auch die Schuldenbremse aushebeln.
Einseitig auf grünen Klimaschutz fixiert
Das sich selbst so nennende „Fortschrittsbündnis“ ist nach seinem Koalitionsvertrag einseitig auf grüne Klimaschutzvorstellungen fixiert. Die Ampel verfolgt eine Gesellschaftspolitik, die immer neue Gruppen von benachteiligten und anspruchsberechtigten Minderheiten definiert.
Und sie kennt keine arbeitende Mittelschicht mehr. Als Olaf Scholz in seiner jüngsten Regierungserklärung zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Stellung nahm, das die Schuldenakrobatik der Regierung für verfassungswidrig erklärte, versprach er seinen Mitbürgern, dass sich in ihrem Alltag nichts ändern werde.
SPD hat Mitte der Gesellschaft verloren
Die Mitbürger, die dem Kanzler einfielen, und die er in seiner Rede aufzählte, waren allesamt Empfänger staatlicher Leistungen – Bürgergeld, Rente, Wohngeld, BAföG. Arbeitende Menschen, die Steuern zahlen und mit ihrer Tatkraft das Gemeinwesen am Laufen halten, kommen in der rot-grünen Vorstellungswelt immer seltener vor. Die Mitte der Gesellschaft, die ihren Aufstieg zu großen Teilen der Sozialdemokratie verdankt, spielt für die SPD kaum noch eine Rolle. Selbstwirksamkeit und unternehmerischer Geist zählen in der Kanzlerpartei nur noch wenig.
Die FDP stemmt sich gegen den paternalistischen Drang ihrer Koalitionspartner, oder versucht es zumindest – allerdings mit geringem Erfolg. Ihre Anhänger nehmen die liberale Erfolglosigkeit derzeit übel und flüchten sich in die Nichtwahl. Sowohl in den Ländern als auch im Bund sind die Freien Demokraten in ihrer Existenz gefährdet.
Wo ist die Offensive der FDP?
Man vermisst allerdings auch jede Offensive der FDP, die aus dem Begriff „Fortschrittskoalition“ ein Versprechen statt einer Drohung machen könnte. Wo ist der Vorschlag für eine große Bildungsreform, die die Schulen wieder so weit ertüchtigt, dass alle Kinder am Ende der vierten Klasse Lesen, Schreiben und Deutsch sprechen können? Sicher, Bildung ist Ländersache, aber der Anstoß zu einer bedeutenden Reform könnte durchaus von einem Bundesparteitag kommen. Und die jüngsten Pisa-Ergebnisse haben wieder einmal aufgezeigt, wie dramatisch notwendig eine solche Reform wäre.
Beim Thema Forschung und Entwicklung ist die FDP-Bundesbildungsministerin ähnlich fantasielos. Wo bleibt die Kampagne, die die naturwissenschaftlichen Fächer stärkt und junge Menschen in technische Studiengänge lockt, damit sie sich als Profi-Ingenieure und Physiker gegen den Klimawandel stemmen können und nicht nur als Freizeit-Aktivisten?
Defizite in Ära Merkel entstanden
Man muss der Ampel zugutehalten, dass viele Defizite Deutschlands – seine marode Verkehrs- und Gesundheitsinfrastruktur, seine dysfunktionale Bundeswehr, die ungesteuerte Einwanderung – in der Ära Merkel entstanden sind. Merkel ging politische Großprobleme selten systematisch an, sie regierte situativ. Doch die Ampel bekam weder eine realistische Bilanz dieser Zeit noch einen Aufbruch aus ihr hin.
Bei vielen Bürgern wächst der Eindruck, dass ihr Land trotz eines übergroßen öffentlichen Dienstes nicht mehr funktioniert, dass Ämter nicht erreichbar sind, dass Straßen nicht mehr vom Schnee geräumt werden, dass die Bahn eine Art Beförderungslotterie ist. Und dass all dies die politisch Verantwortlichen nur sehr begrenzt interessiert.
Allen drei Ampelparteien würden bei Neuwahlen grausige Ergebnisse bevorstehen, deshalb sind sie geradezu verdammt dazu, an der Macht festzuhalten. Die daraus resultierende Alternativlosigkeit nährt ein Gefühl der latenten Verzweiflung. Und das ist gefährlich.