Amnesty International fordert klare Regeln für Waffenhandel

Wolfgang Grenz im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 02.07.2012
Weltweit gibt es fast 900 Millionen Handfeuerwaffen, jeder achte Mensch hat im Schnitt ein Gewehr oder eine Pistole. Wolfgang Grenz von Amnesty International hält daher einen Waffenkontrollvertrag für absolut notwendig. Derzeit gebe es "eine historische Chance zu einer solchen Einigung".
Jan-Christoph Kitzler: Wenn man über Massenvernichtungswaffen spricht, dann ist man schnell bei Atombomben, bei Streumunition oder bei Landminen. Dass der internationale Waffenhandel aber noch eine ganz andere Dimension hat, belegt folgende Zahl: Fast 900 Millionen Handfeuerwaffen gibt es auf der Welt. Jeder achte Mensch hat also im Schnitt ein Gewehr oder eine Pistole, Kinder mitgerechnet. Jeden Tag kommen hunderte Menschen weltweit durch eine Kugel ums Leben.

Das zeigt auch: Die Verbreitung von Waffen ist außer Kontrolle geraten, und dieses Problem haben im Prinzip die Vereinten Nationen erkannt. Ab heute beginnen in New York Verhandlungen darüber, wie man den Waffenhandel international begrenzen kann. Das ist ein Prozess, der über vier Wochen dauert, und die Frage ist schon, ob am Ende etwas Vernünftiges dabei herauskommt. Denn immerhin, der Waffenhandel ist ein riesiges Geschäft. Bei mir im Studio ist Wolfgang Grenz, er ist Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Deutschland. Schönen guten Tag!

Wolfgang Grenz: Ja, guten Tag.

Kitzler: Welche Chancen sehen Sie denn, dass sich die UN-Konferenz auf verbindliche Regeln für eine Kontrolle des internationalen Waffenhandels einigt?

Grenz: Ja, es gibt eine historische Chance zu einer solchen Einigung. Die Nichtregierungsorganisationen haben ja seit neun Jahren einen solchen Vertrag gefordert, und seit 2009 hat auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen einen effektiven Waffenhandelsvertrag gefordert. Es hat vier Vorbereitungskonferenzen gegeben. Wichtige Staaten wie auch die Bundesrepublik Deutschland unterstützen ein effektives Abkommen. Also, von daher gibt es jetzt eine Chance.

Kitzler: Wie müssten denn die Regeln aussehen, Ihrer Meinung nach?

Grenz: Ja, entscheidend ist für uns einmal die sogenannte goldene Regel, das heißt, es dürfen keine Waffen oder Rüstungsgüter in Gebiete geschickt werden, geliefert werden, bei denen ein ernsthaftes Risiko besteht, dass diese Rüstungsgüter dann zu Menschenrechtsverletzungen oder Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht führen würden.

Kitzler: Das heißt, die goldene Regel, also Waffen nur an Leute, die keine Menschenrechtsverletzungen damit machen. Kann man das immer so eindeutig auseinanderhalten? Ist das nicht ziemlich schwer zu bestimmen?

Grenz: Na ja, das wird nicht immer auseinander zu halten sein, aber in vielen Fällen doch. Das heißt ja nicht, das jetzt nicht ein Staat Waffen liefern kann in andere Staaten. Wenn das dort zur normalen Verteidigung gebraucht wird. Sondern es geht darum, was wird mit den Waffen gemacht? Also, werden zum Beispiel, wenn ich jetzt an den Arabischen Frühling denke, an die Länder: Werden die Waffen benutzt, um die Aufbruchbewegung sozusagen niederzuschlagen? Unsere Kritik zum Beispiel an Saudi-Arabien im letzten Jahr war, als die Diskussion um Waffen dort begann, werden diese Waffen dann benutzt, um den Aufbruch, den Aufstand, die Protestbewegung in Bahrein niederzuschlagen. Und so kann man das in vielen Fällen dann doch unterscheiden.

Kitzler: Aber die Großwetterlage, die politische, kann sich natürlich auch schnell ändern, das zeigt das Beispiel Ägypten. Mubarak war lange ein Partner, jetzt ist das Regime sozusagen überlaufen worden von dem demokratischen Neuanfang. Sind das dann nicht am Ende Waffen in den falschen Händen?

Grenz: Ja, wenn sich solcher Wandel ereignet, dann natürlich ja. Aber es gilt ja, zunächst mal, grundsätzlich Regelungen zu schaffen. Wir haben ja zu allem möglichen Regelungen. Ich sage immer, wir haben Regelungen zum Handel von Bananen weltweit, aber zum Handel von Waffen haben wir nicht. Und da muss ein erster, wichtiger Schritt getan werden. Und das würde ein solcher Waffenkontrollvertrag sein.

Kitzler: Ist denn dieser regulierte, legale, sag ich mal, Waffenmarkt überhaupt das größte Problem oder ist das nicht viel mehr der Schmuggel mit Waffen, der illegale?

Grenz: Beides, würde ich sagen. Denn zunächst mal, der legale Waffenhandel – sehen Sie jetzt, Russland unterstützt das syrische Regime. Das ist legaler Waffenhandel. Wenn die goldene Regel greifen würde, dass die Waffen nicht dorthin exportiert werden, wo sie zu Verstößen gegen die Menschenrechte gebraucht werden, dann würde dieses auch gestoppt werden können. Und dann gibt es natürlich Beispiele, wie dass Klein- und Leichtwaffen nach Kongo geschickt werden, und dann haben wir festgestellt, dass die in vielen Fällen an Rebellen dann weiterverkauft werden, weil sie nicht registriert waren.

Also das ist erst mal etwas Legales gewesen, dass dann ins Illegale überschwappt. Und da ist es eben wichtig auch, dass man eben den Weg der Waffen auch weiterverfolgt. Es kann nicht sein, dass man sagt, wir liefern Waffen legal in ein Land, und was nachher passiert, interessiert uns nicht. Beispiel auch, Deutschland hat Waffen nach Ägypten geliefert, und dann hat man festgestellt, dass die im libyschen Bürgerkrieg aufgetaucht sind, von Gaddafi benutzt worden sind. Also die Frage der Endverbrauchskontrolle. Das ist ganz, ganz wichtig. Also, was geschieht mit den Waffen?

Kitzler: Jetzt reden wir noch einmal kurz über den Vertrag, der da am Ende möglicherweise herauskommt nach der Konferenz. Welche Chancen hat denn so ein Vertrag überhaupt, durchschlagkräftig zu sein, wenn möglicherweise große Waffenproduzenten wie Russland, wie China, wie die USA gar nicht dabei sind. Das gar nicht ratifizieren.

Grenz: Wichtig ist schon, dass von den großen Waffenlieferanten einige mitmachen. Oder am wünschenswertesten wäre es natürlich, wenn alle mitmachen. Also, wir meinen, es ist ganz wichtig, dass die USA mitmacht, Russland und China, das wäre natürlich auch wünschenswert, aber man ist natürlich auch Realist. Und wenn man – nach den jetzigen Diskussionen können wir uns vorstellen, dass Russland und China vielleicht nicht mitmachen. Aber dann werden schon Maßstäbe gesetzt durch ein solches Abkommen. Und natürlich gehört es dazu, dass die USA dabei ist, Deutschland sowieso. Die USA hat auch geäußert, dass sie ein solches Abkommen haben will. Dann ist natürlich die Frage, wie weit wird das dann abgeschwächt? Und für uns kommt es ganz entscheidend darauf an, die goldene Regel, die muss bestehen. Die muss da drin sein, sonst ist der Vertrag nicht viel wert.

Kitzler: Kommen wir noch einmal kurz zur deutschen Rolle. Deutschland ist auch einer der großen Verdiener im internationalen Waffengeschäft, gehört zu den ersten drei Nationen im Waffenexport. Welche Rolle spielt denn Deutschland in dieser Frage, Eindämmung des großen Geschäftes?

Grenz: Politisch spielt Deutschland im Moment eine sehr positive Rolle. Und wir hoffen, dass die Bundesrepublik Deutschland diese Position auch durchhält und dass sie den Druck oder den Einfluss auf die USA und die anderen aufrechterhält. In der Praxis sieht es allerdings auch etwas anders aus. Die Diskussion um Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien zeigt ja, dass da zumindest Zweifel bestehen, ob man das in der Praxis dann auch so ernst meint. Und da fordern wir auch, dass mehr Transparenz reinkommt. Es kann nicht sein, dass der Bundessicherheitsrat praktisch geheim entscheidet. Die Frage der Menschenrechte muss eine ganz entscheidende Rolle spielen.

Es kann natürlich auch sein, dass ein Staat sagt, ja, wir liefern Waffen hin aus anderen Gründen, aus geostrategischen Überlegungen und so weiter. Aber dann muss das abgewogen werden mit der Menschenrechtssituation. Und das muss dann auch klar sein, welche Rolle dann die Menschenrechte bei dieser Entscheidung spielen.

Kitzler: Das heißt, auf dem Papier gehört Deutschland zu den Guten, weil die Regeln für die Ausfuhr von Waffen relativ streng sind, aber es gibt noch viele Grauzonen, verstehe ich Sie richtig?

Grenz: Ja. Es gibt Grauzonen auch in der innerdeutschen Politik. Also, dieses Entscheidungsverfahren ist nicht transparent. Und es gehört dazu, dass es transparent gemacht wird, dass auch in diesen Fragen deutlich wird, warum sich die Bundesrepublik Deutschland dazu entschieden hat, Waffen in ein bestimmtes Gebiet zu schicken.

Kitzler: Heute beginnt in New York die Konferenz der Vereinten Nationen zur Begrenzung des internationalen Waffenhandels. Das war Wolfgang Grenz, der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland. Vielen Dank, und schön, dass Sie hier im Studio waren.

Grenz: Ja. Dankeschön auch.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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