Amnesty International: Druck auf Regime in Teheran erhöhen

Ruth Jüttner im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Die Menschenrechte im Iran werden derzeit massiv verletzt, findet Ruth Jüttner von Amnesty International. Deshalb sei die internationale Kritik am Vorgehen der Sicherheitskräfte keine Einmischung in innere Angelegenheiten. Sie forderte, den Druck beizubehalten, auch wenn der Iran nicht mehr im Zentrum medialer Aufmerksamkeit stünde.
Jörg Degenhardt: Ein Video im Internet sorgt seit dem letzten Wochenende weltweit für Aufsehen. Es zeigt den Tod einer jungen Frau am Rande einer Demonstration in Teheran. Ob das Video echt ist oder nicht, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Ganz eindeutig aber ist, dass das Regime in Teheran nach der umstrittenen Präsidentenwahl mit großer Härte gegen seine Kritiker vorgeht, Tote und Verletzte in Kauf nimmt. Dazu hat es zahllose Verhaftungen gegeben von Politikern, Journalisten, Akademikern und Menschenrechtsaktivisten. Ruth Jüttner ist jetzt meine Gesprächspartnerin. Sie ist die Iran-Expertin von Amnesty International. Guten Morgen, Frau Jüttner!

Ruth Jüttner: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Welches Ausmaß haben die Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Protesten inzwischen erreicht?

Jüttner: Die iranische Führung versucht mit allen Mitteln, wie Sie schon sagen, die Berichte über das schockierende Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten zu verhindern, und trotzdem erreichen uns immer wieder Bilder über einen brutalen Einsatz der Milizen oder auch der Polizei und Sicherheitskräfte gegen Menschen, die auf die Straße gehen, die friedlich gegen den Ausgang der Wahlen protestieren, und das Vorgehen hat sicherlich auch an Schärfe zugenommen seit der Predigt von Ayatollah Chameini, wo er gesagt hat, dass diese Proteste aufhören müssen.

Die Polizei geht mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor, und es werden eben auch Schusswaffen eingesetzt. Wie Sie schon gesagt haben, es kommt zu Todesopfern. Allein von offizieller Seite wurde bestätigt, dass mindestens 21 Menschen getötet worden sind und 450 festgenommen worden sind, aber wir gehen davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen noch sehr viel höher sind.

Degenhardt: Woher beziehen Sie Ihre Informationen und wie verlässlich sind diese?

Jüttner: Die Informationen, die Amnesty bekommt, beruhen auf Quellen und Informanten, mit denen wir schon seit vielen Jahren zusammenarbeiten. Natürlich ist es schwieriger geworden: Es gibt eine strenge Zensur, ausländische Journalisten dürfen nicht mehr berichten, aber wir haben Kontakte zu Menschenrechtsaktivisten, zu Anwälten, zu Leuten, die uns immer wieder mit Informationen versorgen, und dadurch entsteht dann für uns auch ein Bild, und so erfahren wir dann eben auch von ganz konkreten Festnahmen.

Degenhardt: Und was können Sie tun, um beispielsweise den Inhaftierten zu helfen?

Jüttner: Ein ganz wichtiger Punkt ist natürlich die Öffentlichkeit, dass also die Ereignisse im Iran sehr genau beobachtet werden, dass Druck gemacht wird, das machen ja auch europäische Regierungen. Wir versuchen, ganz konkret einzelne Fälle zu veröffentlichen über Menschenrechtsanwälte, die in ihren Büros verhaftet werden wie zum Beispiel Herr Soltani, oder auch die Namen von politischen Führern der großen Oppositionsparteien, die festgenommen worden sind auch gar nicht im Zusammenhang mit den Demonstrationen, sondern in ihren Häusern, die Computer werden beschlagnahmt. Und wir fordern die Bevölkerung auf, auch hier in Deutschland Solidarität zu zeigen und sich für die Freilassung dieser Leute direkt gegenüber der iranischen Regierung einzusetzen.

Degenhardt: Das heißt, Sie fühlen sich also nicht machtlos gegenüber dem, was da passiert, wenn ich zum Beispiel auch an das brutale Vorgehen der regimenahen Milizen denke?

Jüttner: Wir müssen natürlich als Menschenrechtsorganisation immer wieder versuchen, die Menschen zu mobilisieren, um gegen solche schweren Menschenrechtsverletzungen aufzustehen, und wir fordern auch die iranische Regierung ganz konkret auf, das brutale Vorgehen sofort einzustellen. Zum Beispiel diese Milizen, die mit extremer Gewalt gegen die Menschen vorgehen, müssen von den Straßen zurückgezogen werden, und alle Fälle von exzessiver Gewalt oder auch von Tötungen von Demonstranten müssen aufgeklärt werden. Und diese Forderungen müssen natürlich in großer Zahl und eben vor allen Dingen auch von vielen Bürgerinnen und Bürgern hier aus der ganzen Welt und auch aus Deutschland immer wieder direkt an die iranische Regierung herangetragen werden.

Degenhardt: Hat der Westen bisher laut genug seine Stimme erhoben gegen die von Ihnen auch beklagten Menschenrechtsverletzungen? Was meinen Sie?

Jüttner: Natürlich. Wir sehen jetzt im Moment, dass viele Politiker europäischer Regierungen, auch die Bundesregierung ihre Kritik äußert, die Verletzungen der Menschenrechte beklagt, fordert, dass die Presse- und Meinungsfreiheit gewährt werden muss. Was wir natürlich befürchten ist, dass wenn der Iran nicht mehr im Brennpunkt der Aufmerksamkeit ist, dass dann auch sozusagen die Intervention und der Druck nachlässt. Und wir fordern, dass hier mit langem Atem gegenüber der iranischen Regierung auch dann noch auf die Einhaltung der Menschenrechte und auch auf die Freilassung der Menschen, die jetzt inhaftiert worden sind, gedrungen wird, wenn der Iran nicht mehr im Mittelpunkt des Medieninteresses steht.

Degenhardt: Hat das was mit Einmischen zu tun, wenn der Westen seine Stimme gegen Menschenrechtsverletzungen erhebt? Darüber führt ja die Regierung in Teheran Klage.

Jüttner: Also, Amnesty International, und auch international ist es längst Konsens, dass die fundamentalen Menschenrechte eine universelle Angelegenheit sind. Und wenn sie so eklatant verletzt werden wie das im Iran im Moment der Fall ist, dann ist das gar keine Einmischung in innere Angelegenheiten, und das ist gut, dass die internationale Gemeinschaft sich hier einmischt. Was wir eher schwierig finden, ist, dass häufig mit zweierlei Maß gemessen wird, und bei befreundeten Staaten oder auch, wenn man in der Region sich einfach nur anschaut, Staaten wie Saudi-Arabien oder auch Israel: Die Menschenrechtsverletzungen, die dort passieren, eben nicht mit so viel Deutlichkeit auch in der Öffentlichkeit kritisiert werden, und dadurch verliert natürlich auch so eine Einmischung oder ein Einsatz für die Menschenrechte an Glaubwürdigkeit.