Amirpur: Islamistische Ausrichtung des Irans war nicht absehbar

Katajun Amirpur im Gespräch mit Holger Hettinger · 02.02.2009
Nach Ansicht der Islamwissenschaftlerin und Journalistin Katajun Amirpur war bei der Rückkehr des Ayatollah Khomeini nach Teheran vor 30 Jahren noch nicht absehbar, dass sich der Iran zu einem islamischen Gottesstaat wandeln würde. Zunächst sei man für Presse- und Meinungsfreiheit sowie für autarke politische Parteien eingetreten. Erst der achtjährige Krieg zwischen dem Iran und dem Irak habe zu einer zur Konsolidierung der Macht der Islamisten geführt.
Holger Hettinger: Das Jahr 1979 war ein Schicksalsjahr für den Iran. Vor 30 Jahren wurde die prowestliche Monarchie unter dem Schah weggeputscht und durch einen Gottesstaat ersetzt, unter der Führung des Ayatollah Khomeini. Gestern vor 30 Jahren, der 1. Februar 1979. Das war ein Schlüsseldatum in der Geschichte der islamischen Revolution im Iran. Damals kehrte der Ayatollah Khomeini aus dem Exil nach Teheran zurück und wurde begeistert von jubelnden Massen empfangen. Wir beleuchten diesen Jahrestag nun mit Katajun Amirpur, sie ist Islamwissenschaftlerin und Journalistin und hat über schiitische Koran-Exegese promoviert. Schönen guten Tag!

Katajun Amirpur: Guten Tag!

Hettinger: Frau Amirpur, wenn man sich die Filme von damals anschaut, die die Rückkehr des Ayatollah Khomeini nach Teheran dokumentieren, dann sieht man da jubelnde Menschenmassen, sehr viele junge Menschen darunter. Was haben die bejubelt, das Ende des Schah-Regimes oder das Herannahen dessen, was man gerne als islamischen Gottesstaat bezeichnet?

Amirpur: Nun, dass der islamische Gottesstaat auf sie zukommen würde, das haben eigentlich die wenigsten geahnt, das hat man bestimmt nicht bejubelt, da gäbe es auch nicht so sehr viel zu bejubeln. Man hat bejubelt, dass der Schah das Land verlassen hatte, das war zwei Wochen vorher geschehen. Man hat bejubelt, dass Ayatollah Khomeini zurückkommt, und die ganze Hoffnung, die sich damit verband, wurde bejubelt. Man ist eingetreten in diese Revolution für Pressefreiheit, für Meinungsfreiheit, für politische Parteien, dafür dass jemand nicht mehr so autark regierte, wie der Schah das getan hat. Es gab zwar ein Parlament im Iran, aber das war eigentlich völlig nutz- und wirkungslos, die Presse hatte nichts zu sagen. All das sollte sich nun ändern, und man war eingetreten für politische Freiheit. Und mit Ayatollah Khomeini, der an diesem Tag zurückkehrte, verband man all dies, denn er hatte sich dafür sehr, sehr eindeutig ausgesprochen.

Hettinger: War die Radikalisierung des politischen Lebens, die Ausrichtung auf den Koran, auf die Religion als einzige Maßgabe des Handels damals schon absehbar?

Amirpur: Nein, das war auf keinen Fall absehbar. Also das hatten wirklich die Intellektuellen oder die Sprachführer dieser Revolution in keinster Art und Weise absehen können. Es war auch in dem Sinne nicht unbedingt von Anfang an eine islamische Revolution. Heute sagt man immer, es war eine islamische Revolution im Iran, aber eigentlich hatte die ganze Revolution angefangen in einem Arbeitermilieu, und es gab auch sehr, sehr viele sozialistische Parolen, die dort damals gerufen wurden. Also dass das Ganze so eine stark islamische Ausrichtung nehmen würde, das hat sich erst später herausgestellt, weil Ayatollah Khomeini es geschafft hat, alle anderen Strömungen auszubooten. Also es haben sich die verschiedenen, die Marxisten, Trotzkisten, Sozialisten, die Bürgerlich-Liberalen, auch die National-Religiösen zwar hinter ihn gestellt und sich hinter ihm vereinigt, weil sie sagten, man braucht eine charismatische Führerperson, die dann wirklich diese Revolution anführt, aber alle haben eigentlich gedacht, dass Ayatollah Khomeini, wenn er dann zurückkommt nach Iran, sich in die Gelehrten-Hauptstadt Qom zurückziehen würde und dort weiterhin das Leben eines bescheidenen islamischen Gelehrten führen würde. Das war auch eigentlich das, was er gesagt hatte. Er hat gesagt, er möchte nicht herrschen, er würde das Regieren den Bürgerlich-Liberalen überlassen und sich wirklich zurückziehen. Und darauf hatte man vertraut. Insofern konnte man das alles nicht absehen, was dann passieren würde.

Hettinger: Was ist geschehen, dass der Ayatollah Khomeini sich eben gelöst hat von dieser Rolle, ja, ich sag jetzt mal geistlichen Beraters und das aktive politische Geschehen derart stark bestimmt hat?

Amirpur: Also man muss sagen, weder die Forschung noch die Leute, die damals dabei waren, die Intellektuellen, die das beobachtet haben, sind sich bis heute darin einig, wie es eigentlich dazu kam. Es gibt sehr viele, die gesagt haben, er hat das von Anfang an geplant, er hat wirklich die Bevölkerung nur belogen, als er damals in Paris saß und gesagt hat, wir wollen Gleichberechtigung der Frau, wir wollen Freiheit der Presse, und hat sich gedacht, ich komme dann erst mal zurück und dann mache ich das, was ich gerne möchte, wenn ich alle anderen ausgeschaltet habe.

Es gibt aber auch Leute, die sagen, das hat sich tatsächlich erst so entwickelt, weil er gesehen hat, wie viel Macht er dann doch an sich reißen kann. Und was natürlich entscheidend war unter anderem, war der iranisch-irakische Krieg, der dann 1980 begann. Also das war, glaube ich, das Ereignis, was am stärksten zur Konsolidierung der Macht der Islamisten geführt hat, denn man konnte mit dem Argument, wir müssen jetzt erst mal alle einig im Krieg sein und alle einig uns des Invasoren Saddam Hussein erwehren, wirklich alle anderen politischen Strömungen ausbooten.

Und die Revolutionäre haben dann natürlich gesagt, jetzt ist erst mal Krieg wichtig, wieso regen sich auf einmal die Frauen darüber auf, dass sie ein Kopftuch tragen müssen. All das wurde völlig niedergedrückt, alles, was an Widerstand kam. Und so konnten sehr, sehr viele Gruppierungen an den Rand gedrängt werden, oder zum Teil gab es dann auch Hinrichtungen von politischen Führern anderer politischer Fraktionen. Und sehr, sehr viele sind ins Ausland gegangen. Also ich denke, dass der Krieg da eine ganz maßgebliche Rolle gespielt hat. Da man sich nach außen verteidigten musste, konnte man im Inneren sehr, sehr viel unterdrücken. Und das hat Khomeini und die engste Clique um ihn getan.

Hettinger: Aber nach dem Krieg war ja das Diktum von Khomeini allgegenwärtig: Wenn du ein guter Moslem sein willst, dann musst du streng nach islamischen Grundsätzen leben. Gab es da nur Flucht, nur Auswanderung, oder auch nennenswerte Stimmen, die sich im Land, im Iran selbst, die sich gegen diesen Kurs gestellt haben?

Amirpur: Nun, der Krieg war 1988 zu Ende, da lag schon eine sehr, sehr lange Phase zwischen. Acht Jahre genügen schon, um sehr, sehr viel mundtot zu machen beziehungsweise dass sehr viel Depression einkehrt, dass die Leute auch erst mal mit was ganz anderem beschäftigt sind, als sich wirklich Gedanken um Meinungsfreiheit zu machen. Also zuerst ging es dann schier ums nackte Überleben und um der Arbeitslosigkeit zu entfliehen beispielsweise. Und dann kam aber nach dem Tod von Khomeinis, das war ein Jahr später, 1989 glaube ich, das war der Moment, wo sich dann der erste größere Widerstand regte oder wo viele Menschen, viele Intellektuelle, viele Leute, die ursprünglich mal zu den Islamisten gezählt haben, aufgestanden sind und sich etwas gelöst haben von dieser Führerpersönlichkeit und gesagt haben, wir wollen zwar einen islamischen Staat, aber nicht einen islamischen Staat, der sich so darstellt. Und aus dieser Clique sind dann sehr, sehr viele Reformer herausgekommen, also sehr viele, die ganz stark dafür eingetreten sind, dass man einen Weg einschlagen muss, der sowohl islamisch als auch demokratisch und offen ist. Da gehört beispielsweise auch jemand wie Mohammad Khatami dazu, der dann später Präsident werden sollte und acht Jahre dann im Iran regiert hat. Es gehören Leute dazu, die inzwischen leider ins Ausland fliehen musste, weil es natürlich auch eine radikale Gegenbewegung gab gegen diese Leute. Aber das war das erste Mal, als sich im Innern Widerstand regte vonseiten von Leuten, die wirklich politisch an der Macht waren. Und dann regte sich natürlich Widerstand von jungen Leuten, der allerdings eher so war, dass sich die Leute ins Private zurückzogen, was aber in einem Land, wo alles politisch ist, dann auch wieder eine politische Aktion ist.

Hettinger: Der Iran heute stellt sich als Land dar, das unter Ahmadinedschad, so scheint es jedenfalls aus westlicher Perspektive, radikalisiert zu sein scheint, also ein Land, das fleißig an der Atombombe bastelt. Wie sieht die heutige Situation im Land aus, gerade was Jugend, was Aufbruch, was Meinungsfreiheit anbetrifft?

Amirpur: Es wird wahrscheinlich deshalb radikalisiert, weil jemand wie Ahmadinedschad so radikalisiert ist, aber das entspricht nicht unbedingt dem Denken des Volkes. Das iranische Volk, die iranische Bevölkerung ist unheimlich jung, 70 Prozent der Iraner sind jünger als 35 Jahre. Und das sind alles Leute, die mit der Revolution so sehr viel nicht mehr verbinden können. Sie haben sie selbst nicht erlebt, sie haben die Zeit vorher nicht erlebt. Also es ist nichts, wofür sie damals gekämpft haben. Und das sind eigentlich junge Leute, die gar nicht so sehr anders sind als junge Leute hier im Westen auch: Die im Wesentlichen einen Job haben wollen, eine Familie gründen möchten, eine einigermaßen sichere Zukunft, und dann aber auch all das haben wollen, was ihnen im Namen des Radikalislamismus verwehrt wird, zum Beispiel einfach mal eine Party machen, ein bisschen Musik hören, dass sie es ein bisschen freier haben, westliches Fernsehen schauen. Also die Leute schauen sehr, sehr stark nach Westen. Zum Teil kann man sagen, ist diese Jugend heute verwestlichter als in den 70er-Jahren, wo man sehr viel Kontakt hatte zum Westen. Heute ist eher durch diese absolute Abschottung, die man versucht hat durchzuführen, die Gegenreaktion entstanden und die Leute sind dem Westen gegenüber extrem aufgeschlossen. Der Kontakt ist auch da, den kann man gar nicht verhindern. Es gibt Satellitenfernsehen, es gibt Internet, im Iran wird unglaublich viel gechattet, ich glaube, Persisch ist nach Englisch die am weitesten verbreitete Sprache im World Wide Web. Und deswegen haben die Leute natürlich Kontakt zu dieser Umwelt, und viele wollen einfach nicht mehr dieses radikal-islamistische Regime, das ihnen in den kleinsten Alltag hineinredet, das sie dauernd gängelt, das ihnen dauernd vorschreibt, wie sie zu leben und nicht zu leben haben. Da haben sich einfach sehr, sehr viele abgewandt.

Hettinger: Wie begegnet diese junge Bevölkerung im Iran der Wahl von Barack Obama zum Präsidenten der USA?

Amirpur: Im Prinzip positiv. Ich glaube, dass sehr viele – nicht nur in der jungen Bevölkerung, auch insgesamt – sich im Iran auch inzwischen darüber im Klaren sind, dass man es sich einfach nicht länger leisten kann, sich nach 30 Jahren immer noch mit der einzig verbliebenen Weltmacht zu befehden. Also die meisten Menschen möchten durchaus eine Öffnung in Richtung Amerika, und sie wissen natürlich auch, dass so was theoretisch mit Barack Obama sehr viel leichter ist als mit Bush. Bush hat seinen Kredit ja sehr früh verspielt. Auch unter Bush ganz am Anfang war man Amerika gegenüber sehr, sehr aufgeschlossen, aber dann hatte man natürlich auch Probleme mit der amerikanischen Politik. Das, was geschehen ist in Guantanamo, der Irakkrieg, Abu Ghraib, das waren alles natürlich Symbole dafür, dass diese amerikanische Politik sich sehr, sehr schwer wird Iran annähern können. Und die Jugend heute verbindet sehr große Hoffnungen damit. Man weiß nur nicht genau, wie sich das tatsächlich wird auswirken können, ob es da zu einer Annäherung kommen kann. Denn zuerst hat beispielsweise Ahmadinedschad gesagt, man fordert Gespräche ohne Vorbedingungen von den Amerikanern. Sobald die Amerikaner jetzt unter Obama bereit sind, keine Bedingungen zu fordern, sagt er, ja, aber erst müsse man sich entschuldigen, also jetzt wollen die Iraner dann wohl die Forderungen stellen. Also es wird schwierig bleiben auch weiterhin. Es ist keineswegs so, als sei, nur weil Obama jetzt dort an der Macht ist, der Kurs wirklich auf Entspannung eingeschwenkt.

Hettinger: 2009 ist Wahljahr im Iran, Präsidentenwahlen und – das hat der Medienberater von Ahmadinedschad angekündigt – Ahmadinedschad wird sich um eine zweite Amtszeit bewerben. Was glauben Sie, warum ist die Chance, wiedergewählt zu werden, für ihn, warum ist der Rückhalt in der Bevölkerung doch so spürbar?

Amirpur: Nun, ob er wirklich so spürbar ist, dass er wiedergewählt werden kann, da habe ich sehr, sehr große Zweifel, es könnte allerdings trotzdem passieren. Er hat für den kleinen Mann auf der Straße durchaus ein bisschen was getan, er ist mit dem Gießkannenprinzip im Land umhergereist und hat Geschenke verteilt an die einfache Bevölkerung, um sich seine Klientel zu erhalten. Das hat er zum Teil gemacht und einige Leute für sich eingenommen dadurch. Andererseits auch wieder nicht, weil er hat die Wirtschaft dermaßen an den Abgrund gefahren in den letzten Jahren, dass diese Geschenke auch alle wieder entwertet worden sind. Also gerade auch wegen der Wirtschaftspolitik wird er sehr, sehr stark kritisiert. Insofern könnte es sehr gut sein, dass seine Chancen so groß gar nicht stehen. Und es wird auch gemunkelt, dass sich Mohammad Khatami wieder zur Wahl stellen wird, der ziert sich ein wenig noch. Unter Mohammad Khatami war es, glaube ich, durchgängig, was die politische Bilanz gerade auch außenpolitisch anbelangt, wesentlich entspannter. Und die Hoffnung ist, dass entweder er gewählt wird oder aber jemand, der so ein bisschen zwischen diesen beiden Extremen steht und der nicht ganz so sehr polarisiert, aber der dann auch ein wenig mehr Entspannungskurs fahren würde.

Hettinger: Schönen Dank für diese Einschätzung. Katajun Amirpur war das, Islamwissenschaftlerin und Journalistin. Vor 30 Jahren, der 1. Februar 1979, ein Schlüsseldatum in der Geschichte der islamischen Revolution im Iran. Damals kehrte der Ayatollah Khomeini aus dem Exil nach Teheran zurück.