Amirpur: Es gibt noch genügend Iraner, die auf die Straße gehen

Katajun Amirpur im Gespräch mit Britta Bürger · 11.02.2010
Zwei Drittel der iranischen Bevölkerung haben den Wunsch nach Wandel, nach Reformen, nach mehr Demokratie und Menschenrechten, sagt die Publizistin Katajun Amirpur. Die Zahl der Unzufriedenen sei seit den Protesten 2009 noch gestiegen - gerade auch wegen den brutalen Reaktionen des Staates.
Britta Bürger: In Teheran haben heute Hunderttausende Menschen an der offiziellen Kundgebung zum 31. Jahrestag der iranischen Revolution teilgenommen. Und es kam wie befürchtet zu Zwischenfällen. Mehrere Hundert Anhänger der Oppositionsbewegung hatten sich unter die Teilnehmer des Festzuges gemischt, woraufhin die staatlichen Einsatzkräfte wohl umgehend mit Festnahmen und Gewalt reagiert haben. Die Publizistin Katajun Amirpur hat das Ganze soweit möglich von Deutschland aus verfolgt. Guten Tag, Frau Amirpur!

Katajun Amirpur: Guten Tag!

Bürger: Was sind Ihre ganz aktuellen Informationen aus dem Iran?

Amirpur: Nun, es ist relativ schwierig, an Informationen zu kommen, denn eine unabhängige ausländische Berichterstattung ist ja nicht möglich. Was man machen kann, ist, das Ganze verfolgen über die Homepages, Webseiten der Opposition. Die sagen, dass massiv vorgegangen wurde gegen die Oppositionellen, die dort versucht haben zu demonstrieren. Es ist der Bruder des ehemaligen Staatspräsidenten, Mohammed-Resa Chatami ist verhaftet worden, dessen Frau ebenfalls, was insofern recht pikant ist, als sie die Enkelin von Staatsgründer Ayatollah Khomeini ist. Sie soll inzwischen aber wieder freigelassen worden sein. Dann soll das Auto von Karoubi attackiert worden sein von einem der Oppositionellen. Also man hat schon sehr stark versucht, gegen die Demonstranten vorzugehen. Aber wie stark die Zahl der Demonstranten wirklich war, das ist im Moment, glaube ich, noch nicht abzusehen. Zum einen ist der Tag ja noch relativ jung, und außerdem kann man noch nicht wirklich überblicken, wie es in den anderen Städten Irans aussah.

Bürger: Es hat heute Vormittag begonnen in Teheran, es ist zweieinhalb Stunden als in Deutschland, aber es kann sich natürlich bis in den Abend und die Nacht noch hinausziehen. Konzentrieren sich die Proteste nur auf Teheran oder gibt es landesweit Aktionen?

Amirpur: Nein, es ist landesweit aufgerufen worden zu Protesten, also schon im Vorfelde des heutigen Tages wurde von den beiden Oppositionsführern eben dazu aufgerufen, in allen Städten Irans zu demonstrieren. Und wenn man sich die Homepages anguckt, es gibt da eben auch Aufrufe für Isfahan, es gibt Aufrufe für Kermanschah, also für die verschiedensten Städte in Iran, dass die Leute auf die Straße gehen sollen. Und da wird natürlich auch einiges, denke ich mal, noch im Schutze der Dunkelheit dann passieren. Also man kann das längst noch nicht absehen, ob dieser Tag nun das bringt, was sich viele vonseiten der Opposition erhofft haben, nämlich dass es doch ein großer Schritt für die grüne Bewegung weiterhin in Richtung Demokratie wird.

Bürger: Das Regime in Teheran hat im Vorfeld umfangreich versucht, die Massen für die offiziellen Feiern zu mobilisieren, und gleichzeitig wurde eben alles unternommen, um Protestaktionen im Keim zu ersticken. Wie ist die Gemengelage im Moment, lässt sich die Opposition davon einschüchtern, was ist Ihr Eindruck?

Amirpur: Nun, es gibt sicherlich viele, die sich sagen, wir können jetzt nicht mehr auf die Straßen gehen, weil wer auf die Straße geht, der riskiert sein Leben. Das ist nun das, was die Menschen in den letzten Monaten wirklich gesehen und erlebt haben. Es gab Schauprozesse in Teheran, es gab öffentliche Hinrichtungen von angeblichen Rädelsführern, es gab Todesurteile und Folter und Hinrichtungen, also die Leute sind massiv eingeschüchtert natürlich und haben einfach Angst, auf die Straße zu gehen und ihr Leben dort zu riskieren. Es gibt aber offensichtlich auch immer noch genug, die das tun und die sagen, wir werden uns nicht einschüchtern lassen, wir wollen den Wandel, wir wollen, dass hier etwas passiert, und wir werden uns nicht durch bloßen Terror davon abbringen lassen, für unser legitimes Recht zu demonstrieren. Also ich habe das Gefühl, dass es schon immer noch ein großes Potenzial an Leuten gibt, die auf die Straße gehen, und es gibt natürlich ein ganz immens großes Potenzial an Leuten, die diesem Regime nicht mehr freundlich gegenüber gestellt sind. Also das hat sich eher noch ganz massiv verstärkt in den letzten acht Monaten. In den letzten acht Monaten, gerade durch die Art und Weise, wie man umgegangen ist mit seinen Kritikern, wie man gegen die Demonstranten und Oppositionellen vorgegangen ist, hat das Regime sehr massiv an Legitimität verloren, auch unter Teilen der Bevölkerung, die vielleicht ursprünglich mal gar nicht zu den Oppositionellen gehört haben. Aber auch die sagen inzwischen, wenn man so mit seinen Kritikern umgeht, dann kann das schon keine legitime Regierung unseres Volkes sein.

Bürger: Heute war zu hören, dass der Iran offenbar den Zugang zum E-Mail-Programm von Google einschränken lassen will. Als Erster hatten ja wahrscheinlich die Mullahs selbst das Internet für sich entdeckt, nun ist es auch das Medium der Regimekritiker. Haben die neuen Kommunikationstechniken grundsätzlich was verändert im Kontakt des Irans mit der Weltöffentlichkeit, also erfahren wir tatsächlich mehr?

Amirpur: Auf jeden Fall. Wir erfahren zum Teil natürlich verlangsamt davon. Was man immer gemacht hat in den letzten Monaten, wann immer Proteste und Demonstrationen anstanden, hat man das Internet gekappt zum Teil oder verlangsamt, ganz stark verlangsamt, oder man hat das Handynetz gekappt, sodass es alles ein bisschen länger gedauert hat, aber trotzdem haben wir dann mit einigen Stunden Verspätung oder von mir auch aus Tagen Verspätung ja immer noch sehr, sehr viel erfahren. Und wenn es früher so war, dass das Regime alle möglichen Verbrechen begehen konnte, ohne dass jemand was davon mitbekommen hat, dann sieht man heute davon Filme im Internet bei YouTube. Es gab einen ganz berühmten Fall im Dezember, da ist ein Polizeiwagen über jemanden drübergefahren, über einen Demonstranten. Das konnte man natürlich nur dadurch beweisen, dass es einen Film gab, den irgendein Demonstrierender aufgenommen hat und den dann ins Netz gestellt hat. Also insofern glaube ich, sind wir, gerade auch was im Ausland, bekommen wir viel, viel stärker mit, was dort in Iran passiert, und die Menschen in Iran natürlich auch. Auch da, es wird gestört und es wird verhindert und es gibt ständig irgendwelche Filter, die da eingesetzt werden, aber die Leute bekommen einfach sehr, sehr viel mehr mit von dem, was da tatsächlich in Iran geschieht, als das noch früher der Fall war.

Bürger: Was konnten Sie heute ganz konkret im Internet finden, in Blogs lesen oder auch in Filmen sehen?

Amirpur: Man sieht auch jetzt schon, die ersten Filme sind durchaus schon ins Internet gestellt worden. Was dort zum Beispiel in Isfahan passiert ist, dort sieht man die Leute demonstrieren auf den Straßen, auch in kleineren Nebenstraßen beispielsweise, da steht schon einiges von im Netz. Und in den Blogs konnte man in den vorhergehenden Tagen immer diese ganzen Aufrufe lesen, die ganzen Parolen, die gegen die Staatsführung abgegeben wurden, und das fängt jetzt so gerade an, dass die ersten Berichte darüber laufen, was geschehen ist, wo die Leute sich versammelt haben und wie dagegen vorgegangen wurde. Aber vor allem Filme – ich glaube, wenn man das schon bei YouTube nur eingibt – Iran, 22. Bahman, das ist nach der iranischen Zeitrechnung der heutige Tag –, dann kommt schon einiges an Filmen, was man sich anschauen kann.

Bürger: Am heutigen Jahrestag der iranischen Revolution mischt sich die Opposition mit Protestaktionen unter die offizielle Kundgebung. Das ist das Thema unseres Gesprächs hier im Deutschlandradio Kultur mit der Publizistin Katajun Amirpur. Können Sie das überblicken, Frau Amirpur, hinter wem die breite Bevölkerung derzeit steht? Also ist der Iran so etwas wie eine gespaltene Nation? Wie viele Menschen unterstützen Ahmadinedschad und wie groß ist die Gruppe der Gegner?

Amirpur: Das kann man wirklich relativ schwer sagen, weil es natürlich keine unabhängigen Meinungsumfragen und all das gibt. Aber wenn man sich mal alte Zahlen vergegenwärtigt: Es gab ja im Jahre 1997 beispielsweise eine Wahl, die mehr oder weniger frei war, und damals schon wurde der Mann, der für Reformen, für Zivilgesellschaft, für Frauenrechte, für Menschenrechte stand, damals wurde der Mann mit 70 Prozent der Stimmen gewählt. Also schon damals hat man sich für einen Reformer entschieden und hat den radikalen islamistischen Kurs abgewählt. Und das ist 13 Jahre her. Inzwischen glaube ich, ist dieser Wunsch nach Reform, nach einem Wandel, nach mehr Demokratie, nach mehr Menschenrechten eher noch stärker geworden, also insofern ist es durchaus nachvollziehbar, was die Opposition behauptet, nämlich dass im Sommer letzten Jahres Ahmadinedschad wirklich abgewählt worden ist und eine ähnlich hohe Zahl wie 1997 jetzt für Mussawi, der ein bisschen in die Fußstapfen von Chatami getreten ist, gestimmt hat. Also insofern ist diese Zahl durchaus nachvollziehbar, dass wir da so eine Zwei-Drittel-ein-Drittel-Konstellation haben. Es gibt nach wie vor natürlich auch Anhänger dieses Regimes, das bestreitet ja keiner. Das Regime hat alle möglichen Pfründe, es verteilt an seine Klientel von diesen Pfründen, also es gibt bestimmt immer noch eine gute Anzahl, einen hohen Prozentsatz von Menschen, die dieses Regime unterstützen, einfach weil sie von dem Regime sehr stark profitieren. Aber man kann wahrscheinlich in solchen Zwei-Drittel-Kategorien denken, dass eben zwei Drittel der Bevölkerung für einen sehr grundlegenden Wandel dieses Staates sind.

Bürger: Wir reden hier im Westen immer nur von den Oppositionellen, dabei sind das ja auch viele verschiedene Gruppen: Anhänger der Monarchie, westlich orientierte Demokraten, linke, religiöse Gruppen. Ist diese Heterogenität der Opposition eine Chance oder doch auch ein unsicherer Kandidat, ein Unsicherheitsfaktor?

Amirpur: Ich glaube, es gibt in der Tat sehr viele verschiedene Gruppen, aber das, was sich jetzt zusammengeschlossen hat und was sich selber als die grüne Bewegung Irans bezeichnet, das sind zumindest die Leute oder ist die Bewegung, die entstanden ist seit dem letzten Sommer und die sich jetzt erst mal auf einen Minimalkonsens geeinigt haben. Das sind eigentlich Leute, die hat ihre beiden oder zwei, drei Führer in Iran, und sehr viele Intellektuelle, die inzwischen hier im Ausland sind, die das Ganze unterstützen. Dazu gehört beispielsweise die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, dazu gehört Mohsen Kadivar in den USA und viele andere wichtige iranische Intellektuelle. Und die haben sich, glaube ich, auf einen Minimalkonsens inzwischen geeinigt. Im Detail haben die vielleicht andere Vorstellungen, wohin das längerfristig mal führen könnte, aber sie sagen, jetzt im Moment müssen wir überlegen, was kann dort, was ist umsetzbar. Und umsetzbar ist, dass im Rahmen der jetzigen bestehenden Verfassung Neuwahlen durchgeführt werden, dass die zur Rechenschaft gezogen werden, die für die Verbrechen der letzten Monate verantwortlich sind, und dass man dann eventuell Neuwahlen durchführt und verschiedene Kader auswechselt. Und dann, sagen diese Leute, muss man eben gucken, wohin sich das entwickelt. Ob es ein sehr säkulares System wird und ob es eines wird, in dem dann doch noch die Religion eine sehr große Rolle spielt. Das ist so ein bisschen noch offen, aber zu dem Minimalkonsens, glaube ich, haben relativ viele inzwischen gefunden, und zwar sowohl in Iran als auch außerhalb von den Leuten, die das hier im Westen oder im Ausland pushen.

Bürger: Auch der Westen steckt ja in einem Dilemma – einerseits müssen wir uns einen Regimewechsel auch wünschen für den Iran, andererseits wird ein stabiler Iran gebraucht mit Blick auf den Kampf gegen die Taliban, den internationalen Terrorismus. Wen sollte der Westen also konkret im Iran unterstützen?

Amirpur: Na ja, man muss natürlich mit denen reden, die im Moment an der Macht sind, das kann man ja auch gerade in Bezug auf den Atomkonflikt kaum vermeiden, aber längerfristig muss dem Westen nun doch massiv daran gelegen sein, dass eine demokratische Regierung in Iran an die Macht kommt. Und ich glaube, wir haben ein bisschen was dabei zu verlieren, wenn wir jetzt zu weit uns abwenden von dieser Demokratiebewegung beziehungsweise die nicht unterstützen. So wird es zumindest in Iran jetzt schon wahrgenommen. In Iran gab es schon vor Wochen auf den Straßen die Parole: Obama, was ist denn nun, bist du mit uns oder bist du gegen uns? Hast du dich schon auf die Seite dieser Regierung gestellt oder bist du der, als der du angetreten bist, nämlich jemand, der für Demokratie ist und der für Menschenrechte ist? Und dann muss man natürlich versuchen, diese Demokratiebewegung zu unterstützen. Wobei unterstützen nicht heißt, dass man irgendwelche Gelder an sie gibt oder Ähnliches, sondern es ist, glaube ich, eine rein moralische Unterstützung, dass man als derjenige, der dort überlegt, auf die Straße zu gehen, sein Leben zu riskieren, das Gefühl hat, dass man im Westen moralisch unterstützt wird. Also es ist keinerlei Rede von irgendwelchen Geldern oder was auch immer, man möchte da wirklich ganz unabhängig agieren und überhaupt nicht in den Ruch geraten, dass man vom Westen gesteuert sei oder Ähnliches. Also das ist ausgesprochen gefährlich, das darf es nicht sein, und das muss schon etwas sein, was ganz iranisch und von den Leuten selber aus kommt und von denen aus passiert.

Bürger: Die Publizistin Katajun Amirpur über die heutigen Demonstrationen im Iran. Wie befürchtet gab es Zwischenfälle bei der Kundgebung zum 31. Jahrestag der iranischen Revolution. Ich danke Ihnen, Frau Amirpur, für das Gespräch!

Amirpur: Danke!