Amin Farhang: Karsai ist kein Opportunist

Amin Farhang im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 17.08.2009
Der ehemalige afghanische Industrie- und Handelsminister Amin Farhang hat den amtierenden Präsidenten Hamid Karsai gegen den Vorwurf des Opportunismus in Schutz genommen. Auch gebe es bislang für die Korruptionsvorwürfe keine Beweise.
Birgit Kolkmann: Drei Tage sind es noch bis zu den Wahlen in Afghanistan und drei Kandidaten sind die Favoriten fürs Präsidentenamt, doch nur einer scheint wirklich Chancen zu haben. Es ist Hamid Karzai, der Amtsinhaber. Er ist der Liebling des Westens, im eigenen Land aber schwindet seine Popularität, denn auch er steht mit seinen Beziehungen, seinem Netzwerk der Macht in der Kritik. Es gibt zum Beispiel Korruptionsvorwürfe gegen seine Familie, seinen Bruder, der in den Drogenhandel verwickelt sein soll. – Amin Farhang ist der ehemalige Industrie- und Handelsminister Afghanistans. Ich begrüße ihn in Deutschlandradio Kultur. Herr Farhang, hat das positive Image Karzais in Afghanistan längst Kratzer bekommen?

Amin Farhang: Ich glaube, das ist in jedem Land so, besonders in einem sehr kriegsbeschädigten Land wie Afghanistan. Wenn die ersten Politiker anfangen, da die Erwartungen der Menschen sehr groß sind, und diese Erwartungen nicht sehr schnell erfüllt werden oder befriedigt werden, dann verliert man an Popularität und das ist auch in Afghanistan so. Leider haben wir ein sehr zerstörtes Land als Erbe bekommen und es dauert ziemlich lange, um alles wieder in Ordnung zu bringen.

Kolkmann: Kommen wir noch mal zur Person Hamid Karzais. Was ist er für ein Manager? Ist er tatsächlich das Kameleon, das politisch gesehen schnell Farbe, Ansichten und auch die Seiten wechseln kann?

Farhang: Ich kann nicht sagen, dass Hamid Karzai ein Opportunist ist, der für sein eigenes Interesse arbeitet und deshalb sehr schnell seine Position ändert. Er ist ein Politiker, der die Situation im Lande berücksichtigt und dann mit verschiedenen Kräften erst mal spricht, und wenn da ein Konsens gefunden wird, dann im Rahmen der afghanischen Interessen und im Rahmen der Zusammenarbeit mit den ausländischen Sicherheitskräften. Dann rundet er seinen Plan ab und versucht, den besten Weg zu finden. Das stößt bei vielen Menschen auf Kritik, auch bei den ausländischen Freunden, aber es ist sehr, sehr schwer, in einem Land wie Afghanistan zu regieren, und manchmal sind solche Kurswechsel nicht zu vermeiden.

Kolkmann: Ist es auch immer wieder ganz entscheidend, welche Absprachen es mit den Lokalfürsten gibt? Jetzt wird ja im Vorfeld der Wahl berichtet, dass im Prinzip an seinem Wahlsieg schon gar nichts mehr zu rütteln ist, weil die Lokalfürsten ihn stützen und kein Afghane es wagt, ihr Votum zu widerlegen.

Farhang: Natürlich unterstützen ihn zum Teil die lokalen Fürsten, aber es gibt genauso viele Intellektuelle, sehr viele aufgeklärte Afghanen, die gesehen haben, die den Krieg erlebt haben und die sehr schwierigen Zeiten, und die haben in diesen letzten 7,5 Jahren verhältnismäßig ruhige Zeiten erlebt, keinen Krieg auf den Straßen, keinen Zivilkrieg. Da wir kurz vor der Wahl stehen, fürchten diese Leute, dass es wieder zu solchen Auseinandersetzungen kommt. Deshalb neigen sehr viele zu Karzai, der in diesen 7,5 Jahren über sehr viele Erfahrungen auch verfügt als die Konkurrenten.

Kolkmann: Was ist von den Korruptionsvorwürfen gegen seine Familie zu halten? Nur üble Nachrede, oder auch eine mit einem wahren Kern?

Farhang: Ich bin persönlich gegen jede Art von Korruption, auch wenn Familienmitglieder darin verwickelt sind, das ist noch schlimmer. Darüber redet man viel. Ich persönlich bin jetzt nicht in der aktiven Politik, aber als Afghane warte ich und sehr viele Tausende und Millionen Afghanen warten auf Beweise. Wenn diese Beweise vorgelegt werden, dann bin ich der Meinung, dass man auf keinen Menschen in Afghanistan Rücksicht nehmen darf, auch nicht auf den Präsidenten Karzai. Diese Leute müssen zur Verantwortung gezogen werden. Aber es gibt auch sehr viel Korruption bei den internationalen Organisationen.

Kolkmann: Gehört der Vorwurf von Korruption quasi zum politischen Alltagsgeschäft in Afghanistan? Auch der Herausforderer Ghani, der sich ja als Saubermann präsentiert, hat offenbar damit schon zu kämpfen, ich glaube, Sie selbst persönlich auch schon einmal. Ist das eigentlich typisch für die afghanische Clan-Gesellschaft und auch für die Wirtschaftsauffassungen, die vorherrschen?

Farhang: Es ist in jedem Entwicklungsland so, dass die Politiker sehr schnell unter diesen Verdacht geraten. Bei mir ist so etwas nicht vorgekommen. Ich bin aus anderen Gründen in Kritik beim Parlament geraten. Aber in einem Land wie Afghanistan, wo jeder die Macht für sich beansprucht, ist die leichte Ausrede, dass man den Konkurrenten als korrupt bezeichnet. Alleine die Tatsache, dass 41 Menschen sich für dass Amt des Präsidenten qualifiziert haben, besagt, dass alle diese Leute dann bei Wahlkämpfen gegeneinander sprechen und solche Verdächtigungen vortragen, ohne Beweisstücke oder irgendwelche Dokumente vorlegen zu können.

Kolkmann: Vor diesem Hintergrund, wie viele Chancen hat die Demokratie in Afghanistan? Steht sie derzeit nur auf dem Papier?

Farhang: Ich glaube nicht. Allein die Tatsache, dass in den letzten 7,5 Jahren so viel gemacht worden ist im Wege der Demokratie, die neue Verfassung, die Parlamentswahl, die Präsidentenwahl und sehr viele andere Sachen, Menschenrechte zu berücksichtigen und vor allen Dingen jetzt die zweite Präsidentenwahl, das sind alles Entwicklungen, die wenn nicht ideal sind, aber doch große Schritte im Wege zur Demokratie. Sie wissen, dass die Demokratie in jedem Land, auch in Europa, ein sehr kompliziertes Phänomen ist und in Afghanistan Rechtsgut.

Kolkmann: Das war Amin Farhang, der ehemalige Industrie- und Handelsminister Afghanistans. Ich danke Ihnen für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur.

Farhang: Ja, ich danke Ihnen auch.