"Amerika muss sich selber bändigen"

Moderation: Dieter Kassel |
Nach Ansicht des Publizisten Josef Joffe fehlt seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion den Vereinigten Staaten das notwendige Korrektiv. Ohne ebenbürtigen Gegenpart muss sich die USA selber bändigen, so Joffe. Die einzig verbliebene Weltmacht solle zur Außenpolitik der 60er Jahre zurückkehren, als sie in internationale Institutionen eingebunden war.
Kassel: Als Weihnachten 1991 in Moskau die Sowjetflagge eingezogen und die russische Flagge gehisst wurde, da begann ein neues Zeitalter, und zwar für die USA. Seit ungefähr 15 Jahren sind sie die einzige verbliebene Weltmacht. Wie sie damit umgehen und wie sie damit umgehen sollten, diesem Thema widmet sich der Journalist Josef Joffe, der zum Herausgeber-Konsortium der "ZEIT" gehört und schon seit seiner Schulzeit immer wieder in den USA gelebt und gearbeitet hat, in seinem neuen Buch "Die Hypermacht. Warum die USA die Welt beherrschen". Schönen guten Tag, Herr Joffe.

Joffe: Schönen guten Tag. "Herausgeber-Konsortium" finde ich ja einen richtig tollen Begriff.

Kassel: Das steht so im offiziellen, weltberühmten Munzinger-Archiv.

Joffe: Ha, verstehe.

Kassel: ... muss ich an dieser Stelle sagen. Ich wollte am Schluss unseres Gesprächs auch sagen: "Er ist einer der Herausgeber". Ich wollte ein bisschen abwechseln. Herr Joffe, die Anschläge vom 11. September 2001, finde ich, spielen in Ihrem Buch eine erstaunlich geringe Rolle. Heißt das, dass jetzt zurückblickend diese Anschläge eine Hypermacht, wie Sie sie ja nennen, wie die USA nun doch nicht verunsichern konnten?

Joffe: Ich habe ein anderes Buch geschrieben. Ich wollte eigentlich erklären, warum… den Wandel der amerikanischen Außenpolitik im Gefolge der Selbstauflösung der Sowjetunion. Die hat die amerikanische Macht befreit, Amerika war nun Nummer eins und das Verhalten dieser Macht wurde dementsprechend durch diesen Wandel im internationalen System geprägt. Das heißt, sie konnten plötzlich auch in Afghanistan eingreifen, das früher viel zu dicht an der Sowjetunion war, um dort einen Krieg anzuzetteln. Oder Irak. Und aus diesem Blickwinkel habe ich die amerikanische Außenpolitik analysiert, nicht um ein Buch zu schreiben, das fünf Jahre nach 9/11 rauskommt.

Kassel: So, wie Sie es jetzt gerade noch mal gesagt haben und wie es auch in dem Buch steht, sagen Sie zum einen, die amerikanische Außenpolitik ist befreit worden durch den Wegfall der Sowjetunion und ihrer Vasallen. Das ist einsichtig. Aber gerade, wenn Sie diese Beispiele bringen, Afghanistan, Irak - ich lasse jetzt mal weg, dass das ja auch Folge von 9/11 war, diese Einmärsche dort -, aber das ist im Grunde genommen doch eine geografische Verlagerung. Ist das wirklich eine Veränderung der amerikanischen Außenpolitik?

Joffe: Das stimmt sozusagen im großen Rahmen nicht ganz. Ich meine, Amerika hat nach dem Zweiten Weltkrieg überall gekämpft. Fangen wir an mit Korea, gehen wir weiter mit Vietnam, Somalia, et cetera, et cetera. Also das ist schon eine Weltmacht, die - und eine Weltmacht wird definiert durch weltweite Interessen und weltweite Mittel, um diese Interessen auch zu verfolgen.

Kassel: Nun heißt die amerikanische Originalausgabe Ihres Buches, die in den USA im Juni, glaube ich, schon rausgegeben ist, so schön eine Mischung aus Deutsch und Englisch: "Superpower", auf Deutsch heißt das Ganze "Hypermacht". Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer "Superpower" und einer "Hypermacht" und einer "Weltmacht"?

Joffe: Also ich, das Buch heißt ja in Amerika "Überpower", eine Mischung aus Deutsch und Englisch. Dazu muss man wissen, dass das Wort "über" seit etwa zehn, 20 Jahren in die amerikanische Sprache eingeflossen ist - wie andere deutsche Wörter: wie "Gemütlichkeit" oder so. Aber alles ist das Gleiche: "super" ist lateinisch, "hyper" ist griechisch und "über" ist deutsch für eine besonders große Macht.

Kassel: Ja gut. Aber "super", "hyper", "über" ist alles das Gleiche, aber was ist der Unterschied zwischen "Super-", "Über-", "Hyper-" und "Weltmacht"?

Joffe: Eine Weltmacht hatten wir früher - also wenn wir jetzt mal diplomatiegeschichtlich antworten -, war früher England, war, das wilhelminische Deutschland wollte eine Weltmacht sein, Russland war eine Weltmacht. Also eine Weltmacht ist - es könnte mehrere Weltmächte geben, aber es gibt in diesem Sinne nur eine Übermacht.

Kassel: Was ich interessant finde, ist ein anderer Aspekt dieser Übermacht. Da ist auch Ihre eigene Biografie, die ich da mal ganz kurz erwähnen möchte, wichtig. Sie haben Ihr Leben überwiegend in Berlin-West, wie es damals hieß, verbracht, aber immer auch viel in den USA, und schreiben zu Recht - auch mir ist das schon aufgefallen -, dass eben vor, sagen wir mal, 1990, 1991 es eben nicht so war, dass die USA überall, gerade auch kulturell, allgegenwärtig war in Deutschland, und dass diese Übermacht der amerikanischen Populärkultur, aber ja in gewissen Bereichen sogar der Hochkultur auch noch mal zugenommen hat. Da fehlt mir - ich beobachte das auch -, aber da fehlt mir eine Erklärung. Denn man kann doch nicht sagen, dass die Sowjetunion da harte Konkurrenz, was Popmusik, Filme und Literatur angeht, gebracht hat.

Joffe: Nein, nein. Die Sowjetunion war, wie mein "Konsortiums"-Kollege Helmut Schmidt immer früher zu sagen pflegte, "Obervolta mit Atombomben". Das heißt, sie beherrschten, sie hatten auf dem Spieltisch nur eine Art von Chips, nämlich die militärischen. Die Amerikaner haben eine Reihe von mehr Chips. Und dazu gehört unter anderem auch diese kulturelle Macht, die - wie Sie zu Recht sagen - ja nicht nur Pop und McDonald ist, sondern auch was die Universitäten betrifft, was den Output an Büchern betrifft und so weiter. Denken Sie daran, wie hier letztes Jahr eine Million Leute in Berlin die Ausstellung der MoMA besucht haben - und laut einer Berliner Tageszeitung insgesamt 446 Jahre in einer Schlange gestanden haben.

Warum die Amerikaner das sind? Die beste Antwort hat komischerweise ein Konkurrent, also der damalige französische Außenminister Védrine gegeben, als er etwa so sinngemäß sagte: Die Amerikaner haben ein besonderes Talent, die Träume und Vorstellungen im Rest der Welt mit zu prägen - mit einigem Neid, aber weil ja Frankreich diese Rolle mal gespielt hat, im 18. Jahrhundert und im 19. Jahrhundert. Warum die Amerikaner das können? Wahrscheinlich, weil sie so eine Art universelle Nation sind, die zusammengesetzt ist aus allen anderen Nationen, und dann vielleicht besser Produkte, Ideen, Images produzieren können, die im Rest der Welt gut ankommen.

Kassel: Sogar im Zusammenhang mit der MoMA-Ausstellung in Berlin, in der Neuen Nationalgalerie, hat man - nicht ganz vorurteilsfrei - Kritik an den USA gehört. In dem Fall natürlich an der Art und Weise, wie da Kunst gesammelt und vorgestellt wird. Und dann sind wir beim Thema - dem widmen Sie auch ganz viel Platz in Ihrem Buch -, dem Thema Antiamerikanismus. Ich finde, da muss man schon Antiamerikanismen ja regelrecht unterscheiden. Also das, was aus zum Beispiel vielen Ländern der arabischen Welt da kommt, ist vielleicht noch mal was ganz anderes als das, was ich interessant finde, nämlich dieser gesellschaftlich akzeptierte Antiamerikanismus in Westeuropa. Würden Sie da sagen, das ist etwas, das kommt halt mit so einer Situation? Das ist eine spezielle Form von Neid bloß?

Joffe: Ich weiß nicht, ob man es so auf Neid reduzieren kann. Ich glaube, dass… wir wollen erst man unterscheiden zwischen Kritik an amerikanischer Politik - das ist nicht Antiamerikanismus. Das ist legitim und richtig und so weiter. Antiamerikanismus ist ja etwas anderes. Das ist so eine Grundhaltung, wo man Amerika als sozial, ökonomisch, moralisch, politisch als minderwertig empfindet und ihnen unterstellt, dass sie noch nicht auf demselben Niveau der Moral und der Sozialpolitik sind, die wir in Deutschland haben. Oder in Europa haben.

Ich denke schon, dass - es gibt mindestens zwei Gründe, weshalb das in den 90ern und Anfang dieses Jahrtausends entstanden ist. Einmal befindet sich Europa ja in dieser Art - seit 90er Jahren -, so eine Art ökonomischen schleichenden Krise und leidet unter einem rückgestauten Modernisierungsschub. Und da möchte man dann gerne die Dinge, die wir haben, ebenfalls als wertvoll darstellen. Das ist dieser Diskurs, den wir hier gehabt haben über amerikanische Verhältnisse, die wir nicht mögen.

Der zweite Grund hat, glaube ich, mit Macht zu tun, mit schierer Macht. Ich glaube, dass dieser entfesselte Gulliver, der da plötzlich auf der ganzen Welt militärisch eingriff, natürlich auch den Europäern eine gewisse Angst gemacht haben. Sie waren ja gewöhnt, dass dieser Gulliver in Fesseln lag. Die Fesseln wurden hergestellt durch die andere Supermacht. Und plötzlich war die weg. Und plötzlich benimmt sich dieser Gulliver nicht so, wie wir es gerne hätten.

Kassel: Sind denn die USA, ist die Politik aus Washington unschuldig am Antiamerikanismus?

Joffe: Nein, das habe ich ja gerade gesagt. Es ist dieser entfesselte Gulliver, wenn wir an diese alte Geschichte von Jonathan Swift denken, der den Leuten Angst macht. Und deshalb glaube ich, dass die bestehenden antiamerikanischen Themen - die gibt es ja seit Beginn Amerikas, seit dem 18. Jahrhundert - dadurch verschärft worden sind.

Kassel: Gucken wir doch mal in die Zukunft, Herr Joffe. Das ist ja nun die große Frage: Wie soll es weitergehen? Sie sagen ja, dass die USA diese Hypermacht oder sagen wir ganz simpel: diese einzige echte Weltmacht eine ganze Weile bleiben werden. Stellen wir mal fest, so groß die wirtschaftlichen Mächte sind, die da auch immer wachsen - China, Indien und und und, und EU -, das ist alles, das wird eine ganze Weile nicht vergleichbar sein. Was sollten denn die USA machen, damit nicht die größte Macht dieser Erde auch die Macht mit den meisten Feinden dieser Erde wird?

Joffe: Dem habe ich ja das ganze letzte und längste Kapitel gewidmet.

Kassel: Versuchen Sie es jetzt in 30 Sekunden. Das sind ungefähr 200 Seiten, ich weiß, aber versuchen Sie es in 30 jetzt.

Joffe: Genau. Ich versuche es in 30 Sekunden: Ich glaube, Amerika muss sich selber bändigen. Da es zurzeit niemanden gibt, der diese Macht konterkarieren oder ausbalancieren kann, sollte Amerika dieses zum Teil selber tun und auch zurückkehren in was ich das "goldene Zeitalter der amerikanischen Diplomatie" nenne, also 50er, 60er Jahre, wo sie internationale Institutionen gebaut haben, von der NATO bis zur UN bis zum Weltwährungsfonds und so weiter, die die amerikanische Macht eingebunden hat - nicht konterkariert hat, aber eingebunden hat. Und sie hatten damals, diese Außenpolitik war so genial, weil sie eine Interessenpolitik betrieben haben, die gleichzeitig die Interessen aller anderen mitbedient hat. Das, meine ich, ist das richtige Rezept für die ein und einzige Super-, Hyper-, Übermacht.

Kassel: Herzlichen Dank. Josef Joffe war das - und jetzt haben Sie mich provoziert, jetzt sage ich es noch mal: USA-Kenner und Teil des Herausgeber-Konsortiums der Wochenzeitung "DIE ZEIT" im Gespräch im Deutschlandradio Kultur. "Die Übermacht" hieß das Buch in den USA, heißt es immer noch. Auf Deutsch wird es erst erscheinen am Ende dieser Woche, am Samstag, im Carl Hanser Verlag und auf Deutsch heißt es "Die Hypermacht. Warum die USA die Welt beherrschen". Herr Joffe, vielen Dank.

Joffe: Vielen Dank. Tschüss.