America the Beautiful

Von Michael Kleff |
Die Vereinigten Staaten von Amerika - "Land of the free, home of the brave" - sind nicht mehr, was sie einmal waren. Hinter der Fassade unerschöpflicher Kraft sind Ermüdungserscheinungen und Orientierungslosigkeit zu entdecken. Wirklich ist nur noch die militärische Macht.
Nach dem Sieg der Konservativen bei den letzten Präsidentschaftswahlen sehen viele Intellektuelle in den USA den Kulturkampf für den Liberalismus der sechziger Jahre als verloren an. Mit knapper Mehrheit haben sich die Wähler für Nationalismus, für Krieg, für die Kluft zwischen Arm und Reich und gegen Freiheitsrechte und Minderheiten entschieden.

Die Vereinigten Staaten sind zu einem Land geworden, wo nur noch Geld und wirtschaftlicher Erfolg zu zählen scheinen. Amerikas Kultur wird beherrscht von Coca-Cola und McDonalds, Mickey Mouse und Matrix, einer "Wüste voller Müll, in der man auf ein paar geistige Oasen stößt", wie es Kurt Vonnegut beschreibt, einer der bedeutenden zeitgenössischen amerikanischen Schriftsteller. Eine Lange Nacht über die widersprüchliche Identität einer zwischen Hypermacht und Ohnmacht stehenden Nation.

Stephanie Faul
Xenophobe's Guide To The Americans.
1999 GB

Stephanie Faul aus "Der Amerikaner pauschal":
Die Amerikaner sehen jeder Mahlzeit mit Furcht und Entsetzen entgegen. Sie haben Angst, das Essen könnte ihnen vom Teller entgegen springen und sie umbringen, oder, was noch schlimmer wäre, dick machen. Die Nahrungsaufnahme könnte womöglich Krankheiten zur Folge haben, speziell Herzkrankheiten, und man weiß ja nie, welcher Bissen am Ende fatale Folgen hat. In dem unermüdlichen Kampf der Amerikaner um ewige Jugend, strahlende Gesundheit und eine gute Figur ist besonders die Nahrung unter Beschuss geraten, und der Geschmack des Essens ist dabei das erste Opfer.

Stephanie Faul
Die Amerikaner pauschal
Fischer Taschenbuch
Frankfurt (März 2002)
"Ticky Tock" - Titelstück einer CD, die der Berliner Sänger, Komponist, Schauspieler und Regisseur Hans-Eckardt Wenzel (www.sansibarkult.de) vor zwei Jahren veröffentlicht hat - mit von ihm vertonten Texten des amerikanischen Folkmusikers Woody Guthrie.

Hans-Eckardt Wenzel: "Dieses Land lebt natürlich von der Phrase der Freiheit und zwar einem Freiheitsbegriff, der sich als Gegenbegriff zu den europäischen Unfreiheiten definiert hat. Also die Exilanten im 19. Jahrhundert haben sich vom Feudalismus befreit. Sie sind hierher und sind in ein Land gekommen, wo sie sozusagen frei waren von diesem Frohn einer Adelsclique. Dieser Begriff hat sich auf eine ganz interessante Weise gehalten. Und zwar als eine Phrase, als eine Art demagogische Konstruktion, in der dieses Land lebt. Die Regulative, in denen man sozusagen hier im Alltag lebt, die greifen vielmehr in die Freiheit des Einzelnen ein. Da ist die Prüderie zu nennen, die es hier gibt, also der Umgang mit Körperlichkeit, das ist was ganz, ganz eigenartiges. Als ob es eine Schande ist, körperlich zu existieren. Es ist anders herum dieses übertriebene Reinlichkeitsempfinden, was ich immer in Amerika empfunden habe. Obwohl es recht schmuddelig ist an vielen Punkten. Es ist übertriebene Furcht vor Bakterien und vor allem, was eine gewisse Virulenz hat, also was lebt. Eine gewisse Furcht vor Naturgewalten bringt meiner Meinung nach die Leute hier dazu, auf bestimmte Freiheiten zu verzichten. Die Feuerwehr ist quasi ein Heiligtum in diesem Land. Das sieht man an den Maschinen, an den Häusern, wie die Leute aufgefasst werden. Die Polizei ist ein gewisses Heiligtum. Da ist überhaupt keine Möglichkeit einer demokratischen Diskussion. Und das sind Punkte, wo man eigentlich, um die Phrase der Freiheit aufrecht zu erhalten, gewisse Freiheiten einschränkt. Und das funktioniert in diesem Land, weil sich ja keiner darüber erregt. Also muss es ein Mechanismus sein, der in einem gewissen Sinn zu dieser unmittelbaren Fetischisierung des Augenblicks dazu gehört. "

Dirk Wittenborn wurde 1952 in New Haven, Connecticut, geboren, studierte an der Universität von Pennsylvania und lebt heute mit seiner deutschen Frau und seiner Tochter in New York. 1977 veröffentlichte er seinen ersten Roman, er schrieb Sketche für die bekannte amerikanische Fernsehshow "Saturday Night Live" und arbeitet als Drehbuchautor für Hollywood. 1983 erschien sein zweiter Roman, danach folgte eine längere schriftstellerische Pause. 2002 erschien sein bejubelter Roman "Unter Wilden", dessen Verfilmung in den USA in Vorbereitung ist.

Dirk Wittenborn "Unter Wilden":

Der junge Finn Earl lebt in New York, zusammen mit seiner dreiunddreißigjährigen Mutter mit ihrer Vorliebe für Kokain und sexuelle Abwechslung. Seinen Vater im fernen Amazonasgebiet, der die Welt der Wilden erforscht, hat er nie kennen gelernt - nur Briefe an ihn verfasst, voller Träume.
Finn, ein liebenswerter Lügner und sympathischer Loser erzählt uns sein Leben: Als er mit seiner Mutter Liz New York fluchtartig verlassen muss finden sie Schutz unter den Fittichen eines Massageklienten, dem greisen Millionär Osborne.
Vlyvalle ist eine Insel der weißen amerikanischen Ostküstenaristokratie, ein goldener Spielplatz für die Superreichen: Hier lernt Finn ein Volk kennen, das fremder, wilder und geheimnisvoller ist als irgendein exotischer Stamm am Amazonas. Finn entdeckt ein neues Leben unter neuen Freunden, findet Zugang zu den Familienclans in Osbornes Reich - und verliebt sich leidenschaftlich in Osbornes Enkelin Maya. Der amerikanische Traum scheint wahr zu werden - bis Finn auf die Verlogenheiten, die Lügen und Laster hinter den Fassaden stößt. Eine dramatische Liebesgeschichte voller Crime lässt Finn Earl schneller erwachsen werden als ihm lieb ist. Bei der Vertreibung aus dem falschen Paradies nimmt er eine Erkenntnis mit: Wahrhaftigkeit ist wichtiger als Geld.


So heißt es im Klappentext zu dem Roman "Unter Wilden", in dem es um eine Welt geht, die irgendwo hinter goldenen Türen liegt, abgeschirmt und geschützt. Autor Dirk Wittenborn weiß jedoch, worüber er schreibt. Seine Schwester ist verheiratet mit einem sehr reichen Mann, einem Erben der Firma Johnson&Johnson. Die meisten von uns Normalsterblichen haben alles, was sie über superreiche Menschen wissen, in Fernsehserien wie "Dallas" oder "Denver" gesehen, von Leuten gemacht, die nie mitbekommen haben, wie die Reichen wirklich leben. Dabei geht es nicht nur um einen Lebensstil. Superreichtum ist auch eine Gefahr für die Demokratie. Die Umverteilung von unten nach oben, die in den USA seit fast drei Jahrzehnten im Gange ist, hindert immer mehr Bürgerinnen und Bürger an der Wahrnehmung ihrer politischen Rechte. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Dirk Wittenborn erzählt, welche Rolle Geld in der amerikanischen Gesellschaft spielt.
Dirk Wittenborn: "Geld ist die glaubensrechtliche Grundlage unserer Religion. Das, was in Amerika einem nationalen Glaubensbekenntnis am nächsten kommt, ist Einkaufen, Shopping. Unsere Kathedralen sind Einkaufszentren. Die erste Frage, die dir hier gestellt wird, lautet: was machst du? Dein Stellenwert hängt von deinem Beruf ab und davon, wie viel Geld du verdienst. Das Geld ist auch Gradmesser für deine Freiheit. Wenn du reich bist, kann man in diesem Land sehr gut leben. Du hast viele Freiheiten. Das geht so weit, dass du dir sogar Verbrechen leisten kannst. Auch wenn es makaber klingt, positiv an dem Verfahren gegen O.J. Simpson ist, dass Geld im großen und ganzen farbenblind ist. So wie sich reiche Weiße einen Mord leisten können, wenn sie nur genug Geld haben, um ein entsprechendes Anwaltsteam anzuheuern, so kann das auch ein Schwarzer."
Dirk Wittenborn
Unter Wilden
Roman.
Dtsch. v. Hans Wolf
2005 btb bei Goldmann

"The Appentrice" ist eine von vielen Reality-TV-Serien, mit denen in den USA die privaten Fernsehsender um Einschaltquoten kämpfen - und dabei ihren Zuschauern eine Welt vorgaukeln, bei denen die Grenzen von Realität und Fiktion verschwimmen.
Die Autorin Francine Prose, Mitglied im Vorstand der US-Sektion vom Schriftstellerverband PEN, hat für einen Artikel in der Zeitschrift Harper´s Magazine mehrere Monate lang verschiedene Reality-TV-Serien angesehen und ihre Inhalte analysiert. Ich habe sie gefragt, ob sie dabei eine für alle Filme gültige Aussage gefunden hat.
Francine Prose: "Das ist Darwinismus in Reinkultur. Jeder frisst jeden. Keiner gewinnt, ohne dass jemand verliert. Zusammenarbeit ist schlecht. Wettbewerb ist gut. Kontrolle ist gut. Das ist die Moral, die diese Shows verkünden - wenn man überhaupt von Moral sprechen kann. Bei meinen Nachforschungen fand ich heraus, dass einer der Produzenten der Serie "Survivor" Mark Burnett ist. Er gehörte den englischen Fallschirmtruppen in Nordirland und auf den Falkland Inseln an. Anfang der Achtziger wollte er Militärberater in Südamerika werden - für die rechten Todesschwadrone. Wer sonst bekam Berater der englischen Armee? Er war auf dem Weg dorthin, als er es sich bei einem Zwischenstopp seines Flugzeugs in Los Angeles anders überlegte. Er stieg aus dem Flugzeug aus und wurde Fernsehproduzent. Die Botschaft, die jetzt in Sendungen wie "Survivor" verbreitet wird, entspricht genau dem, was ein Auszubildender in so einem Terroristencamp gelernt hätte."
Schauen wir uns mal ein paar andere Shows an. Wie zum Beispiel "Average Joe" oder "Who wants to marry a millionaire". Da geht es ja mehr um die familiären Beziehungen, um die Beziehungen zwischen Mann und Frau. Aber auch dort werden ja bestimmte Werte vermittelt.

Francine Prose: "Familie und Partnerschaft werden dort als Konsumentenaktivität dargestellt; es geht um Shopping. Den Junggesellen werden 25 Einkaufsmöglichkeiten geboten - er beziehungsweise sie müssen die Schnäppchen herausfinden. Eine romantische Entscheidung wird hier reduziert auf Geschäft und Konsum."
Francine Prose, geboren 1947, lebt in New York. Sie ist Redakteurin von Harper's Magazine, schreibt regelmäßig für Zeitungen und Zeitschriften und unterrichtet creative writing u.a. an der John Hopkins Universität. Bisher veröffentlichte sie mehrere Romane und Kurzgeschichten. Francine Prose wurde mit verschiedenen Preisen und Stipendien ausgezeichnet.
Francine Prose
Das Leben der Musen
Von Lou Andreas-Salome bis Yoko Ono.
Aus d. Engl. v. Brigitte Jakobeit u. Susanne Höbel
2004 Nagel & Kimche
Bei ihrer ersten Begegnung drückte die Fluxus-Künstlerin Yoko Ono John Lennon eine Karte in die Hand, auf der stand: "Atme"; von diesem Augenblick an war er ihr verfallen. Keine Anekdote könnte besser die Macht ins Bild setzen, mit der die moderne Muse über ihr männliches Genie gebietet: Yoko Ono gilt noch heute als die Frau, die nicht nur Lennon beherrschte, sondern die Beatles zerstörte. Tatsächlich schrieb sie indirekt einen wichtigen Teil moderner Musikgeschichte. Die Musen und ihre Genies: Haster Thrale/Samuel Johnson, Alice Liddell/Lewis Carroll, Elizabeth Siddall/Dante Gabriel Rossetti, Lou Andreas Salome/Nietzsche, Rilke, Freud, Gala Eluard/Salvador Dalí, Lee Miller/Man Ray, Charis Weston/Edward Weston, Suzanne Farrell/George Balanchine und Yoko Ono/John Lennon.Aber auch Lou-Andreas Salome, Gala Dalí oder Lee Miller waren keine Objekte der Anschauung, die den Männern zur Initiation ihrer Kunst dienten, sondern selbstbewusste Agentinnen des Erfolgs - nicht zuletzt ihres eigenen. Amüsant und mit vielen interessanten Details bietet Francine Prose eine Sammlung von Porträts, intellektuell engagiert, aber ohne Scheu vor dem Vergnügen, in die Intimität der Schlafzimmer hineinzuleuchten.

Francine Prose
Durchtrieben
Roman.
Aus d. Engl. v. Karin Kersten.
2001 Nagel & Kimche

Paul Watzlawick aus "Gebrauchsanweisung für Amerika":
"Mit Ihrer Ankunft in den Staaten sind Sie unversehens in ein Informationsvakuum eingetreten. Der Amerikaner hat freiwillig und spontan einen Grad der Informationsverarmung und Meinungssteuerung erreicht, den jede um die Milch der frommen Denkungsart ihrer bockigen Untertanen besorgte volksdemokratische Regierung nur mit grünem Neid zur Kenntnis nehmen kann. Die viel gerühmte und viel propagierte Meinungs- und Pressefreiheit Amerikas besteht - darüber gibt es keinen Zweifel. Jedermann kann die Obrigkeit nach Herzenslust kritisieren oder vermeintliche Missstände anprangern und auch den Präsidenten in einer Weise abkanzeln, die unsere zartbesaiteten europäischen Politiker mit "Ehren"-Beleidigungsklagen zum Kadi laufen ließe. Niemand schreibt dem Staatsbürger vor, was er denken, glauben und fühlen muss. Aber der Amerikaner hat diese Freiheit entweder für das Linsengericht der wohligen Gleichschaltung verkauft, oder er hat von ihr überhaupt nie Gebrauch gemacht. Das Resultat ist im einen wie im anderen Falle dasselbe: Man kann sich in den USA nicht einmal in dem Grade über das Weltgeschehen informieren, wie einem das jedes europäische Provinzblatt wenigstens in großen Zügen ermöglicht.
"

So beschreibt der im vergangenen März in Kalifornien gestorbene österreichische Philosoph Paul Watzlawick die amerikanischen Medien in seinem Buch "Gebrauchsanweisung für Amerika”. Zwar haben sich die meisten Medien inzwischen von ihrem "Hurra-Patriotismus" verabschiedet, mit denen sie den vom Weißen Haus proklamierten Kampf gegen den Terror und den Krieg im Irak begleitet haben. Dennoch gibt es immer wieder Vorfälle, die die Glaubwürdigkeit der Presse und die Unabhängigkeit der amerikanischen Medien in Frage stellen. So wurde im Frühjahr 2005 ein falscher Journalist mit falschem Namen und halbseidener Vergangenheit als bezahlter Stichwortgeber bei den Pressekonferenzen von George W. Bush enttarnt. Unter Anführung der Republikaner versuchen konservative Politiker seit langem, mit Kürzungen der ohnehin knappen Mittel PBS und NPR, dem quasi öffentlichen Fernsehen und Rundfunk, den Garaus zu machen. Und die New York Times brachte im März ans Tageslicht, dass die Bush-Regierung den privaten Medien im Land als Nachrichtenbeiträge getarnte Propagandasendungen für ihre Politik zur Verfügung stellte. Im Sommer 2005 wurde die New York Times-Journalisten Judith Miller - mit angelegten Hand- und Fußfesseln - in Beugehaft genommen, weil sie sich weigerte, die Quellen für einen Bericht zu nennen, der die Regierung im Zusammenhang mit dem Irakkrieg in ein schlechtes Licht gerückt hatte.
Paul Watzlawick, geboren 1921 in Villach/Kärnten, studierte Philosophie und Sprachen. Ausbildung in Psychotherapie am C. G. Jung-Institut in Zürich. 1957 bis 1960 war er Professor für Psychotherapie in El Salvador; seit 1960 ist er Forschungsbeauftragter am Mental Research Institute in Palo Alto/Kalifornien. Außerdem lehrte er an der Stanford University. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter der Millionenbestseller "Anleitung zum Unglücklichsein".

Paul Watzlawick
Gebrauchsanweisung für Amerika
Serie Piper Bd.7516 Überarb. Neuausg.
2002 Piper
Paul Watzlawick ist ein ebenso geistreicher wie origineller Denker. Sein Dauerseller "Anleitung zum Unglücklichsein" verhalf bereits 1,5 Millionen Menschen zu einem mehr oder weniger glücklichen Sein. Seine höchst amüsante "Gebrauchsanweisung für Amerika" ist das erfolgreichste Buch dieser Reihe und begibt sich mit Wonne in die Merkwürdigkeiten der Neuen Welt mit ihrer täuschend einfachen Sprache, den unvermuteten Tücken der Uhrzeit und des Datums - und dem Begründer all dieser faszinierenden Gewohnheiten: dem "homo americanus".

Thomas Nehls war fünf Jahr lang - von 1998 bis 2003 - als ARD-Hörfunkkorrespondent in New York. Mit ihm hat der Autor sich über Journalismus und Medienvielfalt in den USA unterhalten.:

"Medienvielfalt - die gibt es nicht mehr. Die ist arg zurückgegangen diese Medienvielfalt. Was ja nicht heißt, dass es nicht mediale Angebote zuhauf gäbe. Die gibt es im digitalen Zeitalter natürlich in die Hunderte gehend. Aber, das sind Spartenprogramme, das sind unpolitische Publikationen, die da auf die Menschen herabregnen, herabrieseln. Da ist die Auswahl unendlich geradezu. Aber was die Auseinandersetzung mit der Tages- oder auch der weiterreichenden Politik angeht, da ist doch so manches Defizit zu beklagen. Denn auch die Sendungen im Fernsehen und im Radio sind unpolitischer geworden und dort, wo sie wenigstens die Fakten noch mitteilen, da werden diese Fakten immer in kürzere Formate gepresst, so dass ein Gesamtüberblick nicht mehr möglich ist. Und weil Sie den Westen, nicht nur den Wilden, sondern auch den sanften angesprochen haben, da sind es ja in erster Linie Anzeigenblätter, die auf einen eindringen und geradezu einpeitschen. Da muss man ja im wahrsten Wortsinn nach den politischen Artikeln, nach den Nachrichten suchen zwischen den Anzeigen."

Tim Robbins. Der Hollywood-Star und - gemeinsam mit seiner Frau Susan Sarandon - das linke Gewissen der amerikanischen Schauspielerinnung, präsentierte vor einem Jahr im "Public Theater" in New York vor begeistertem Publikum seine Politisatire "Embedded" über den Irakkrieg. Darin geht es um naive Soldaten, unkritische Kriegsreporter und kriegstreiberische Washingtoner Politiker. Seitdem ist eine wahre Flut politischer Theaterstücke über Amerikas Bühnen geschwappt. Die Themen reichen vom Gefangenenlager Guantanamo und den skandalösen Vorfällen im Gefängnis von Abu Ghraib bis zu einer deftigen Farce mit dem anzüglichen Titel "Laura´s Bush".

Tim Robbins will mit seinem Stück unterhalten und provozieren, damit die Menschen Fragen stellen. Wie bewertet er die politische Lage und die Situation der Bürgerrechte in seinem Land?

Tim Robbins: "Wir marschieren rückwärts in diesem Land. Aus reiner Furcht. Natürlich verstehe ich, warum Menschen Angst haben. Ich bin jedoch enttäuscht davon, dass wir nicht mehr Rückgrat in diesem Land zeigen. Was am 11. September 2001 passiert ist, war sicher schrecklich. Ich hatte jedoch gehofft, dass wir dem nicht Bürgerrechte und fundamentale Menschenrechte opfern würden - Rechte, die uns heilig waren. Dem Moderator Howard Stern ging es an den Kragen, nachdem er begonnen hatte, Bush zu kritisieren. Unter dem Vorwurf, Obszönität verbreitet zu haben, hat man ihm einen Maulkorb verpasst. Selbst wenn es um obszöne Reden gegangen wäre, damit können wir doch umgehen. Sie geben vor, uns beschützen zu wollen und behandeln uns als Kinder. Wobei die Kinder, die ich kenne, solche Wörter hören können, ohne dass ihre Gefühlswelt zerstört oder pervertiert wird. Das ist lächerlich. Wir leben derzeit wirklich in schwierigen Zeiten in Amerika. Wir haben eine dünne Haut und zeigen uns nur wenig tolerant gegenüber andersartigen Gedanken und Ideen. Das beste, was wir jetzt tun können, ist hart zu kämpfen. Wenn du dich versteckst, wirst du nichts verändern. Du musst dich vielmehr noch stärker wehren. Die gute Nachricht lautet: Dies ist Amerika und noch gibt es hier die freie Meinungsäußerung. Noch werden amerikanische Bürger, die ihren Mund aufmachen, nicht in einen Gulag gesteckt. Und solange es den nicht gibt, sollten wir oft und laut unsere Stimme gegen den Missbrauch unserer verfassungsmäßigen Rechte erheben. "

Studs Terkel. Der Journalist spielte 45 Jahre lang in seiner Radiosendung die Musik, die er liebt - Jazz, Blues und Folk - und unterhielt sich dabei mit bekannten und unbekannten Menschen über deren Leben. Über ein Dutzend Bücher sind aus diesen Gesprächen entstanden. Sein aktuelles Werk heißt "Die Hoffnung stirbt zuletzt. Politisches Engagement in schwieriger Zeit". Behandelten seine früheren Werke Themen wie Depression, Krieg, Arbeit, Rasse sowie in seinem letzten Buch Alter und Tod, so geht es bei den jetzt vorliegenden 39 Interviews darum, Menschen vorzustellen, die als Aktivisten gegen eine Übermacht, vor allem die des Staates, kämpfen.

Studs Terkel: "Meine Arbeit hat damit zu tun, was die Menschen denken, was sie fühlen. Und vor allem wie ihr Arbeitsalltag aussieht. Ich versetze mich immer in die Rolle der anderen Person. Wie ist es, dieser Mensch in einem bestimmten Moment zu sein. Wie sieht der Tag eines Lehrers aus? Eines Ladenbesitzers? Einer Hausfrau? Wie sieht deren Tag aus? Wie überlebt man in einer wirtschaftlichen Depression? Oder Rasse. Wie ist es, schwarz zu sein? Wie ist es, weiß zu sein? Wie ist es, immer älter zu werden, wo die Lebenserwartung doch immer größer wird? Und man dann mit 50 für einen Jüngeren fallen gelassen wird, weil der billiger ist und länger arbeiten kann. Darum geht es mir. "

Mit seinem Buch "Die Hoffnung stirbt zuletzt" hält Studs Terkels der amerikanischen Gesellschaft erneut einen Spiegel vor.

Studs Terkel
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Politisches Engagement in schwieriger Zeit.
2004 Kunstmann
"Ich spüre, dass sich etwas ändern wird, aber wir müssen es verwirklichen, nicht die Regierung. Bei uns sagt man: La esperanza muere última - die Hoffnung stirbt zuletzt. Man darf nie zu hoffen aufhören. Wer die Hoffnung verliert, gibt sich selbst verloren." Die ehemalige Landarbeiterin Jessie de la Cruz bringt das persönliche Credo Terkels auf den Punkt: Hoffnung ist nicht passive Schicksalergebenheit, sondern die Schwester des Handelns, des persönlichen und politischen Engagements. Wer für sich selbst etwas bewegt, setzt auch bei anderen etwas in Gang. In seinem neuen Buch befragt der legendäre amerikanische Interviewer Menschen unterschiedlichster Herkunft, die nach ihren Überzeugungen zu leben versuchten, auch wenn es gerade am wenigsten opportun erschien. Hoffnung als Antrieb, meint Terkel, steigt in einer Gesellschaft immer von unten hoch, oder, wie es ein Obdachlosenanwalt formuliert: "Hoffnungslosigkeit ist ein Luxus, den sich nur die Reichen leisten können."

Stetson Kennedy lebt in einem Vorort von Jacksonville, Florida - in einem Haus versteckt im Wald an einem kleinen See. Schon als Jugendlicher war er ein Kämpfer gegen den Rassismus in den USA. Er hat mehrere Werke über Politik und Gesellschaft im Süden der USA geschrieben. Sein erstes wurde in Europa von Jean Paul Satre in Frankreich veröffentlicht. In seinem Buch "Ich ritt mit dem Ku Klux Klan", das 1954 auch in Deutschland erschien, vermittelte Kennedy als erster überhaupt einen Eindruck davon, wie sehr der Klan in allen gesellschaftlichen Bereichen verankert war. Unter einem Decknamen schloss sich Kennedy in den 40er Jahren dem Ku Klux Klan an. Er wollte dem Terrorismus im eigenen Land die Maske vom Gesicht reißen. Kein einfaches Unterfangen. Waren im Süden der USA doch selbst Angehörige von Polizei und Strafverfolgungsbehörden sowie Politiker Mitglieder des Klans. Sogar ein US-Präsident gehörte ihm an. In seinem Buch beschreibt Kennedy, wie Warren G. Harding, der von März 1921 bis zu seinem Tod zweieinhalb Jahre später Präsident war, im Weißen Haus in einer feierlichen Zeremonie in den Ku Klux Klan aufgenommen wurde.

Stetson Kennedy in: "Ich ritt mit dem Ku-Klux-Klan"
"Wir waren alle ganz hübsch nervös, so nervös, dass wir gar nicht an Bibel und Schwert dachten und beides in unserem Auto vergaßen. Aber Präsident Harding ließ eine Bibel und ein Schwert des Weißen Hauses bringen und die Zeremonie ging vonstatten."
"In Kittel und Maske?" fragte ich ungläubig und versuchte mir die Szene vorzustellen.
"Natürlich! Als Reichsoffiziere trugen wir unsere farbigen Seidenroben. Vor Beginn der Zeremonie ließ Dr. Evans durch die Dienerschaft alles, bis auf einen Teppich, aus dem Gesellschaftszimmer herausräumen. Teppiche, Bilder, alles wurde hinausbefohlen. Der Klan liebt es, die Mächtigen zu erniedrigen! Ja, so war das eben. Wir nahmen dann die Vereidigung vor. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika schwor auf den Knien, allen Edikten des Magiers des Unsichtbaren Reiches ohne irgendeine Frage Folge zu leisten."
"Beschwor Harding den vollen Eid - immer für die weiße Vorherrschaft zu kämpfen und all das andere?"
"Wort für Wort, genau wie jeder andere Klansmann!"

In dem 1988 veröffentlichten Film "Mississippi Burning" mit Gene Hackman geht es um das Schicksal von drei Bürgerrechtsaktivisten, die im Juni 1964 ermordert wurden. Erst 41 Jahre später, im vergangenen Juni, verurteilte ein Gericht in Philadelphia einen Mann dafür wegen Totschlags. Der Täter war damals Mitglied des Ku Klux Klan. Stetson Kennedy sieht trotz später Gerechtigkeit in diesem Fall wenig Grund zum Feiern. Für ihn ist der Geist des 1866 gegründeten weißen Geheimbundes, der auch mit Gewalt die Vorherrschaft der Weißen sichern will, noch immer lebendig. Auch wenn die Vertreter des Gesetzes heute nicht mehr direkt dem Klan angehören wie in den Jahren seiner eigenen Undercover-Mitgliedschaft.
Stetson Kennedy:
"Die Polizei- und Sheriff-Uniformen schauten unter den Klanroben hervor. Ihnen konnte ich mich nicht anvertrauen. Sie gehörten dazu. Darunter auch Richter und Staatsanwälte."

Homepage: Stetson Kennedy

Harold Leventhal: "Es ist die schlimmste politische Situation in meinem Leben bislang. Wir haben eine Regierung, die am Rande des Neofaschismus steht. Das ist eine Katastrophe. Das heißt nicht, dass ich mich nicht weiterhin für gute und progressive Zwecke einsetzen werde. Davon gibt es genug. Du musst tun, was du kannst. Du darfst nicht aufgeben. "

Ein eindeutiger Kommentar zur aktuellen politischen Lage in den USA. Von einem Mann, der dabei war als Irving Berlin "White Christmas" schrieb, der mit Nehru und Gandhi befreundet war, der die Weavers und Pete Seeger durch die Jahre der Kommunisten- und Intellektuellenverfügung unter McCarthy brachte, der Bob Dylan zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung in den Süden schickte, der als einer der ersten mit Jacques Brel, Miriam Makeba und Nana Mouskouri auch internationale Künstler in die USA holte und noch heute - mit 86 Jahren - als Produzent am Broadway aktiv ist.
Wenige Wochen vor seinem Tod hatte ich den politischen Broadway-Veteran gefragt, ob es im Rückblick auf seine über 60 Jahre lange Karriere Momente gibt, die ihm besonders wichtig sind.

Harold Leventhal: "Alles war mir wichtig. Zumindest habe ich mich allen Aufgaben mit demselben Verantwortungsgefühl gewidmet. Ich glaube, alles, was ich getan habe, hatte eine Bedeutung. Es war zum Vorteil für die beteiligten Menschen und für die Anliegen, um die ich mich gekümmert habe."

Nun kann man an den Namen der Künstler, mit denen Sie gearbeitet haben, schon sehen, dass es immer eine Verbindung gab zwischen Musik und Politik. Wie ist diese Verbindung entstanden?
Harold Leventhal: "Das begann, als ich die Weavers managte. Es war eine Band, die sehr politisch – und sehr populär im Land war. Die Musiker kamen auf die schwarze Liste. Für mich stellte sich die Frage war: stehe ich zu ihnen oder trenne ich mich von ihnen. Natürlich bin ich bei ihnen geblieben. Die schwarze Liste und die damit verbundenen politischen Probleme und Kämpfe waren mir wichtig – als Manager und als Mensch. Du kannst einer Sache nicht den Rücken zukehren, nur weil du unter Druck kommst. Du bleibst deinen Prinzipien treu und kämpfst. Letztendlich haben wir diesen Kampf ja auch gewonnen."

Homepage: Harold Leventhal

Harold Leventhal: "Zeiten kommen und gehen. Ich habe die McCarthy-Ära überlebt. Ich habe nicht direkt unter ihr gelitten. Ich habe aber Angst vor dem, was kommt. Das macht mir mehr Sorgen als das, was wir hatten. "