Amanda Palmer: "There Will Be No Intermisson"

"Meine Waffe als Künstlerin ist die Wahrheit"

09:49 Minuten
Bei einem Konzert in Berlin sitzt Amanda Palmer am Flügel und singt.
Amanda Palmer bei einem Konzert in Berlin: Auch an Trauer gewöhnt man sich. © imago / Martin Müller
Amanda Palmer im Gespräch mit Christoph Reimann · 08.03.2019
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"Dass ich eine Frau bin, ist eher Zufall", sagt die Sängerin Amanda Palmer. Auf ihrem neuen Album sind Songs versammelt, die teils dramatische Geschichten aus ihrem (Privat-)Leben erzählen - die sie aber durchaus auch politisch meint.
Christoph Reimann: Auf dem Cover sind Sie nackt zu sehen, von vorn, das Album erscheint am Weltfrauentag. Ist "There will be no intermisson" als feministisches Statement zu verstehen?
Amanda Palmer: Wenn Sie wollen, können Sie das so lesen. Aber ich denke, es ist in erster Linie ein sehr menschliches und persönliches Album. Dass ich eine Frau bin, ist dabei eher Zufall. Und in vielen Songs geht es auch gar nicht um frauenspezifische Themen. In einem Song singe ich zum Beispiel davon, wie mein bester Freund an Krebs gestorben ist.

"Ich wollte abbilden, was in meinem Leben passiert ist"

Reimann: Ist das der letzte Song "Dead Thing"?
Palmer: In "Dead Thing" geht es darum, dass man sich irgendwann mit der Trauer abfindet. Dass man gewissermaßen gut darin wird, zu trauern, und dass das auch etwas Befremdliches hat.
In den vergangenen sieben Jahren sind viele Dinge passiert, die tatsächlich nur Frauen passieren können: Abtreibungen, die Geburt eines Kindes, eine Fehlgeburt – all das kommt auf dem Album vor. Aber ich hatte eben kein großes feministisches Statement im Hinterkopf. Ich wollte einfach nur abbilden, was in meinem Leben passiert ist.
Und das – eben das Abbilden – gelingt mir seit ein paar Jahren viel besser als zuvor, ich bin weniger ängstlich. Ich führe es darauf zurück, dass es jetzt all die anderen Frauen um mich herum gibt, die ohne Scheu von ihren Erfahrungen erzählen. Ich meine die Frauen, die sich an der MeToo-Bewegung beteiligen über die Komikern Hannah Gadsby bis hin zu männlichen Künstlern wie Nick Cave.
Ich habe beobachtet, wie aufrichtig diese Künstlerinnen und Künstler ihre Geschichten erzählen und dachte mir: Das mache ich auch. Das ist die gefährlichste politischen Waffe, die ich habe – wenn der Faschismus kommt, wenn die Rechten erstarken – meine Waffe als Künstlerin ist die Wahrheit.

"Das Persönliche ist immer politisch"

Reimann: Fühlen Sie sich denn als Teil der MeToo-Bewegung oder eher als Einzelkämpferin? Denn die Songs sind ja sehr persönlich, wenn Sie darüber singen, wie schwer es ist, Mutter zu sein, oder über Abtreibungen.
Palmer: Gute Frage, das Persönliche ist immer politisch. Besonders dann, wenn es um so etwas wie eine Abtreibung geht. Aber ich bin nicht diejenige, die entscheidet, ob das politisch ist. In Amerika wird das Recht auf Abtreibung zurzeit immer stärker eingeschränkt. Im ganzen Land schließen Abtreibungskliniken, das alles geschieht nahezu unbemerkt.
In dieser Situation ist ein Song über eine Abtreibung, aber natürlich auch einer über eine Fehlgeburt, politisch. Da muss man nur mal in die Geschichtsbücher gucken: Wenn Faschismus und rechte Kräfte erstarken, das erste, was abgeschafft wird, sind die Rechte schwangerer Frauen.

Mut zur Verletztlichkeit

Reimann: Der Song, über den wir sprechen, heißt "Voicemail für Jill". Sie rufen darin eine Frau namens Jill auf der Mailbox an, die vorhat, eine Schwangerschaft abzubrechen. Auf Ihrem Blog schreiben Sie, dass Sie über dieses Thema seit Ihrem 17. Lebensjahr singen wollten, seitdem Sie selbst eine Schwangerschaft abgebrochen haben. Warum waren Sie jetzt, mit Anfang 40, schließlich in der Lage, diesen Song zu schreiben?
Palmer: Ich konnte jetzt endlich genug Mut aufbringen, um so einen Song zu schreiben, der nicht sarkastisch ist. Denn ich habe ja schon mal über Abtreibungen geschrieben, als ich Mitte 20 war, als ich in den Dresden Dolls war, aber auch auf meinem ersten Soloalbum. Aber die Songs sind immer sehr ironisch.
Und der neue Song ist ironiefrei. Weil ich den jetzt den Mut aufbringen konnte, mit meiner ganzen Verletzlichkeit über dieses Thema zu schreiben, ohne Angst.
Reimann: Der Song wurde schon vor dem Album veröffentlicht. Was für Reaktionen haben Sie bekommen?
Palmer: Ungefähr die, die ich auch erwartet habe. Meine Community ist sehr liberal und steht politisch links. Die Reaktionen, die ich von meinen Hörerinnen und Hörern bekommen habe, waren allesamt sehr positiv.
Die besten Reaktionen, die ich mir vorstellen kann und die ich bekomme, sind Kommentare auf Youtube, Facebook, meinen Blog oder Twitter. Kommentare, in denen es heißt: "Ich habe nie wirklich über meine Abtreibung gesprochen, aber jetzt ändere ich das. Du hast mich inspiriert, ich hatte über 20 Jahre lang ein Geheimnis, das ich jetzt verdammt noch mal lüfte."
Und das sind die Momente, in denen ich mir denke: Ja, es funktioniert. Und wir haben es in den vergangenen paar Jahren erlebt: Unsere größte Waffe ist die Wahrheit.

Bilder von Föten auf Twitter

Reimann: Aber die Wahrheit, das erleben wir ja auch gerade, ist – vorsichtig formuliert – veränderbar. Manche Aussagen von Trump sind offensichtlich falsch, in den Augen vieler Menschen spricht er dennoch die Wahrheit.
Palmer: Ja, selbst die Fake News sind wahr, wenn man die falschen Internetseiten besucht. Aber diese Erfahrungen – eine Frau, die sich auf den Weg macht in eine Abtreibungsklinik, die abtreiben lässt – oder ein professioneller Abtreibungshelfer, der für sein Engagement eine Kugel in die Brust bekommt – solche Beispiele lassen sich nicht leugnen. Die sind passiert, und die passieren jeden Tag in den USA.
Die Reaktion von Rechts auf diesen Song waren vorhersehbar, und sie sind typisch. Ich werde als teuflischer Dämon bezeichnet. Es gibt Leute, die für meine Seele beten. Sie hoffen, dass Gott mir vergeben wird. Allein dafür, dass ich über diese Themen singe.
Es fühlt sich nicht gut an, morgens im Internet diese Dinge zu lesen, Bilder von Föten anzugucken, die mir die Leute auf Twitter schicken. Leute, die mir schreiben, dass ich in der Hölle landen werde.
Aber das gehört eben zu meinem Job. Ich muss mir das angucken, ich muss irgendwie Mitgefühl für diese Menschen aufbringen. Ich habe es mir ja selbst so ausgesucht, also darf ich auch meine Augen nicht davor verschließen.
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