Am Runden Tisch von DLF Kultur

Wie viel Widerstand braucht eine Demokratie?

54:56 Minuten
Auf einer Bühne sitzen fünf Gesprächsteilnehmerinnen. Im Vordergrund ist Publikum zu sehen.
Der Runde Tisch am Tag der offenen Tür am 5. Mai 2019 mit (v.l.) Ingo Schulze, Thea Dorn, Moderator Korbinian Frenzel, Elke Schmitter und Marc Jongen. © Anke Beims
Moderation: Korbinian Frenzel · 06.05.2019
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Wie viel Protest darf in einer Demokratie sein? Wie viel braucht sie vielleicht sogar? Welche Form darf Protest annehmen? Und darf man dafür die Schule schwänzen? Darüber diskutieren Thea Dorn, Elke Schmitter, Ingo Schulze und Marc Jongen.
Natürlich herrscht in Deutschland Demonstrationsfreiheit. Aber darf man beim Protestieren gegen Regeln verstoßen, zum Beispiel die Schule schwänzen? Darüber wird angesichts der Fridays-for-Future-Proteste derzeit kontrovers diskutiert, auch am Runden Tisch von DLF Kultur zum Thema: Wie viel Widerstand und Protest braucht Demokratie?
Der Schriftsteller Ingo Schulze blickt "sehr positiv" auf die Schülerproteste und findet auch die damit einhergehende Regelverletzung wichtig. "Ich habe ein Kind, das hingeht, und eines, das nicht hingeht", sagt er. "Ich möchte dann immer gern was sagen und noch raten, weil ich denke, die haben ja auch mit Nachteilen zu rechnen. Plötzlich ist man versetzungsgefährdet, weil Geografie nur am Freitag stattfindet."

Marc Jongen: Greta Thunberg wird instrumentalisiert

Der AfD-Politiker und Philosoph Marc Jongen hingegen zeigt sich weder mit Inhalt noch Form des Protestes einverstanden. Aber er könne die Sympathien für die Proteste sehr gut nachvollziehen:
"Dass es eigentlich im Grunde etwas sehr Positives und Herzerfrischendes ist sozusagen, wenn die junge Generation eben nicht nur konsumistisch irgendwo in die Disko läuft oder sonstwas für ihr Ego tut, sondern sich für allgemeine Ziele und dann auch noch für etwas so Großes einsetzt."
Gleichzeitig sieht Jongen die Schüler als Opfer einer Instrumentalisierung: Es sei unmöglich, dass ein 16-jähriges Mädchen wie Greta Thunberg "aus eigenem Antrieb oder tiefen Erkenntnissen über den Klimawandel nun in so eine Stellung gerät", meint er. "Sondern sie wird in diese Stellung gebracht von politischen Akteuren, die ganz bestimmte Ziele verfolgen."
"Was wir sehen, sind hunderttausende junge Menschen, und zwar fast weltweit inzwischen, die auf die Straße gehen, weil sie für die Einhaltung der Klimaziele demonstrieren", widerspricht Elke Schmitter. Mit Blick auf die Äußerungen Marc Jongens kritisiert sie:
"Das ist eine Art, mit Protest umzugehen, die ist kontraproduktiv, die ist illegitim, weil man die Zeit mit einem Nebenschauplatz verbringt. Und wenn überhaupt eine Verschwörungstheorie angemessen wäre, dann wäre es auf diese Figur hin: Wer hat denn was davon, wenn wir nicht darüber reden, über die Ziele dieses Protests?"

Thea Dorn: "Unglaublich hoher alarmistischer Ton"

Auch die Philosophin Thea Dorn hält Greta Thunberg für "hoch authentisch". Aber in ihrer "Figurenhaftigkeit" wirke sie teilweise so, als hätte sie sich ein "verdammt guter" Drehbuchschreiber ausgedacht. "Sie hat natürlich diesen unglaublich hohen alarmistischen Ton, der ist medial auch sehr verwertbar", sagt Dorn. "So wie unsere medialen Öffentlichkeiten verfasst sind, haben natürlich diese sehr lauten, sehr klaren Botschaften eine Durchschlagskraft und ein differenzierterer, stillerer, leiserer Protest hat es einfach schwer." Sie stelle sich angesichts der Diskussion die Frage, was es auf Dauer mit uns mache, wenn nur solche lauten Maximalpositionen gehört würden.
"Wie sollen sie es denn anders machen?", wendet der Schriftsteller Ingo Schulze ein. "Ich glaube, das ist die Sprache der ganz jungen Leute, und man muss einfach auch mal sehen, was da passiert. Ich hoffe einfach, sie halten durch."
(uko)

Mit dem Format "Der Runde Tisch" bringt Deutschlandfunk Kultur Akteure der Zivilgesellschaft mit Politikern zusammen, um die Diskurse zu führen, die in der Gesellschaft präsent sind. Immer mit dabei sind die Schriftstellerin und Literaturkritikerin Thea Dorn und der Autor Ingo Schulze. Das Gesprächsformat findet in unregelmäßigen Abständen im Programm von Deutschlandfunk Kultur statt.

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