Am nächsten Grab links abbiegen, bitte!

Von Peter Kaiser |
Wissenschaftler, Hoteliers, Künstler, Unternehmer: Auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin Weißensee sind etliche namhafte Persönlichkeiten begraben. Doch die Orientierung auf dem riesigen Areal fällt vielen Besuchern schwer. Das soll sich nun ändern - mit einem Navi für das Smartphone.
"Für das neue Leitsystem benötigen Sie auf jeden Fall ein Smartphone."

Ein windiger Novembervormittag. Regenschlieren liegen auf der Informationstafel am Eingang des Jüdischen Friedhofs in Berlin-Weißensee. Mit fast 116.000 Gräbern und dem Wegenetz von über 15 Kilometern ist der Friedhof der flächenmäßig größte in Europa. Weil das so ist, brauchen die Besucher oft Orientierungshilfen, wenn sie das Grab der Angehörigen oder eines Prominenten suchen. Halfen sonst Prospekte mit dem Lageplan, kann man sich jetzt per Navigationssystem mit einem Smartphone über den Friedhof führen lassen. Hilel Goldmann, Leiter des Friedhofs, sagt, dass das neue System leicht zu handhaben ist.

"Bei allen drei Friedhöfen, die an diesem System dran sind, befindet sich im Eingangsbereich an den Informationstafeln ein QR-Test. Und mit diesem QR-Code können Sie also dementsprechend das anklicken. Und Sie können einmal die Sprache zuweisen, und für den jeweiligen Friedhof, auf dem Sie sich gerade befinden, alle Informationen abrufen."

Regina Borgmann, die sowohl Buchautorin als auch die treibende Kraft zum neuen Navigationssystem für den Friedhof ist, meint, man solle mal die Probe aufs Exempel machen.

"Jetzt gehen wir zur Grabstätte von Herrn Jandorf. Herr Jandorf hat das Kadewe gegründet, das Kaufhaus des Westens. Wir müssen an der Mauer lang, genau wie der Rundgang hier beschrieben ist. Also Herr Jandorf liegt in der Abteilung T2 , im Smartphone dann mit der Nummer 63…"

Von Kurt Tucholsky, alias Theobald Tiger, gibt es das 1925 geschriebene Gedicht "In Weißensee". Darin nimmt "Tucho" den alten Friedhofs-Wegeplan etwas aufs Korn.

... wird einer frisch dort eingeplanzt
nach frommen Brauch,
dann kommen viele angetanzt -
das muss man auch.
Harmonium singt Adagio
- Feld O -
das Auto wartet – Taxe drei
- Feld Ei -
Ein Geistlicher kann seins nicht lesen,
und was für ein Herz gewesen,
hört stolz im Sarge der Bankier,
in Weißensee,
in Weißensee.


Welches Smartphone man hat, sagt Hilel Goldmann, ist egal. Man kann mit jedem Typ an den QR-Code der Informationstafeln der drei jüdischen Friedhöfe in Berlin herangehen, das Navigationssystem blitzschnell herunterladen, und jeden Friedhofsrundgang direkt aufrufen.

"Dieser beinhaltet auf jeden Fall eine allgemeine Information über den jeweiligen Friedhof und besondere Hinweise über die Ehrengräber, über die Grabstätten, die Steinmetze, die die Grabstellen gebaut haben. Diese Informationen lassen sich alle abrufen. Über den größten jüdischen Friedhof zum Beispiel in Weißensee dauert dieser Rundgang cirka vier Stunden. Auf dem Friedhof Schönhauser Allee cirka zwei Stunden."

Borgmann: "Wir sind angekommen bei Adolf Jandorf. Jandorf ist als junger Mann nach Amerika gegangen und hat dort eine moderne Verkaufsform studiert. Das Neue an seinen Kaufhäusern war, dass man viele kleine Fachgeschäfte in einem Objekt hatte. Das Kadewe hatte Kassen mit einer Zentralkasse, elektrisches Licht, was zu dieser Zeit, 1870, noch nicht überall möglich war."

Das ist jetzt auf dem Smartphone noch einmal welcher Punkt?

"63, wenn Sie jetzt gucken. Das ist hier die Grabstätte der Eltern von Kurt Tucholsky, wobei nur der Vater hier begraben ist. Die Mutter ist noch im Alter von 73 Jahren nach Theresienstadt gekommen."
Und was für ein Punkt ist das im Smartphone?

"Gar keiner. Und zwar haben wir hier nur die prominenten oder historisch bedeutsamen Sachen, die hier auch beigesetzt sind. Da Kurt Tucholsky hier nicht beigesetzt ist, ist er nicht dabei. Denn wir hatten Grenzen mit der Broschüre und dem Smartphone."

Ein Jahr lang hat Regina Borgmann mit sechs Mitarbeitern Fotos, Geschichten und viele Informationen gesammelt und damit das digitale Navigationssystem auf Deutsch und Englisch bestückt. Wie notwendig die Arbeit war, zeigt sich, als uns eine Frau mit ihrem Kind an der Hand nach dem Weg zu einem Grab fragt.

"Da sind Schilder dran, da steht Q 4 drauf. Immer gerade aus, und ein Stück rein."
Wen suchen Sie?

Französische Mutter: "Meinen Vater. Konrad Sprey."

Wie haben Sie sich jetzt orientiert?

"Ich hatte keine Methode, wirklich."

Es gibt für Smartphones ein Navigationssystem, finden Sie das gut?

"Ja, das ist eine gute Idee."

Hilel Goldmann sagt, dass das neue System nicht nur Berlinern zu Gute kommt.

"Wir haben sehr viele Touristen in Berlin, die diese Friedhöfe besuchen, die
kulturhistorisch wichtig sind, und man spart sich die Hefte. Die
Leute können sich wirklich gezielt die besten Grabstätten raussuchen, um nicht über den Friedhof zu irren."

Auf dem Weg zum Ausgang erzählt Regina Borgmann, wie der Alltag hier zum neuen Navigationssystem führte.

"Ich bin jetzt 22 Jahre hier und musste immer Führungen machen. Manchmal bin ich am Tag 20 Kilometer gelaufen. Und nach der Wende kamen sehr viele Leute aus Israel und Amerika, die ihre Gräber wieder besuchen wollten. Da haben wir noch sonntags gearbeitet. Und da habe ich das, was ich erzählt habe und wusste, aufgeschrieben. Daraus haben wir dann so einen Spaziergang über den Friedhof gemacht. Und das wurde immer mehr. So ist letzten Endes die letzte Arbeit, die Sache mit dem Smartphone und mit den Printmedien entstanden."

Es tickt die Uhr. Dein Grab hat Zeit, drei Meter lang, ein Meter breit.
Du siehst noch drei, vier fremde Städte,
du siehst noch eine nackte Grete,
noch zwanzig-, dreißigmal den Schnee –
Und dann:
Feld P – in Weißensee –
in Weißensee.
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