Am Nabel der EU

Von Claus-Stephan Rehfeld |
Ein Dorf ist geographischer Mittelpunkt der erweiterten EU. Das mit dem "Dorf" wollen wir hier nicht weiter kommentieren, wohl aber Schlagzeilen zitieren, da Kleinmaischeid am 01. Mai vergangenen Jahres zu dieser Lage kam: Vom "Nabel Europas" war die Rede, aber auch von "Zentraler Randlage". "Europas Zukunft heißt Kleinmaischeid"(!) wurde uns mitgeteilt. "Halli und Hallo" wurde vermeldet und: "Ringsum sind jetzt alle neidisch". Wir sind es - natürlich- nicht, wohl aber neugierig, also schon auf dem Weg, denn "Kleinmaischeid soll als EU-Mitte aufpoliert werden". Wir sind gespannt.
"Klänmeischd"

Noch mal, bitte.

"Klänmeschd, Klänmeeschd"
Kleenmäschd?

"Nit Kleen …, Klän mit ä, Klänmeeschd. "

Sagten wir das nicht?

"Meschd. Messchd. Kleenmäschd. Klän und Mäschd. "
Ah ja.

"Nicht Kleinmaischeid, nicht Kleinmaischeid!"

Hier muss es irgendwo sein. Es - Kleinmaischeid, er - der geographische Mittelpunkt der EU. Ja. hier. A 3 … ICE … Hier … oder ist er dort? Jedenfalls da muss er sein. Wir sind zuversichtlich zu nennen.

Obwohl - viele, sehr viele fahren am Mittelpunkt der EU vorbei. Kleinmaischeid wirbt damit. Nicht mit den sehr, sehr vielen, die daran vorbeifahren. Ein Schild "Hallo, hallo, hier geht’s zum Mittelpunkt der EU!" haben wir nicht entdeckt. Nein, Kleinmaischeid wirbt mit seiner günstigen Lage - 2 Kilometer von der A 3 entfernt.

Als nun am 22.April 2004 aus Paris die Nachricht von der zentralen geographischen Lage in Kleinmaischeid eintraf, da erreichte sie ein 1300-Seelen-Dorf. Ein Straßendorf, wie uns die Lage auf der Karte belehrt. Und wie uns der Verkehr durch den Ort auf der B 413 behört.

Bundesstraße, wir sagten es schon. Egal, uns interessiert, was aus den Erwartungen von dunnemals geworden ist: "Zentrale Randlage", "Nabel der EU", "ringsum Neid", "aufpolierter Ort" und so.

Und natürlich wollen wir uns auf den geographischen Mittelpunkt stellen. Aber das haben wir daheim natürlich nicht gesagt, als wir unseren Dienstreise-Antrag ehrfurchtsvoll einreichten. Natürlich geht es um gewichtigeres! Um den geographischen Mittelpunkt der EU seit dem 1.Mai 2004!

"So, wenn ich ihnen sage, hier ist et oder da is et … hier so muss et sein. Det kann man sich natürlich uf fünf Meter … "

Vor einem Jahr sagte Herr Kern noch: der Baum da ist es!

"Papier is, kenn se, Papier is im Gegensatz zu den Beamten, Papier arbeitet. Also der Maßstab … so genau kommt det nicht. So, hier müsste et sein. "

Ah ja!

"Habe mir hier die zwei Bäume so als Zeichen angenommen. "

Herr Kern war vor drei Jahren der Dienst- und der an Lebensjahren älteste im Katasteramt von Neuwied. Das hat er uns schon berichtet und ein paar Sachen, die wir hier lieber nicht erzählen. Aber das er den Weg nur für uns unternommen, dies sollten Sie daheim am Lautsprecher schon noch wissen!

"Nö, sonst komm ich hier nicht hin. "

Naja, ist ja auch nicht weiter wichtig. Und die Großmaischeider, wie haben die das damals aufgenommen, dass K-l-e-i-n-maischeid … na, Sie wissen schon. Herr Kern holt sehr, sehr tief Luft.

"Ich habe schon mit Leute in Großmaischeid gesprochen, die waren bitterbös, dass das nicht in Großmaischeid war. Ich habe gesagt, da kann doch keiner was für. "

Ups!?

"War ne Sache, wie gesagt, ist reiner Zufall. Gibt so ein Sprichwort: Den Seinen schenkts der Herr im Schlaf. Und weil wir oft in die Kirche gehen, hat er uns das geschenkt. "

Trotzdem sagt Herr Kern zu anderen, sie seien "Randeuropäer", weil:

"Wir sind die richtigen Europäer. Mittelpunkt. Mitteleuropäer. "

Und als Mitteleuropäer habe er die letzten Wochen keine Touristen mehr am Mittelpunkt gesehen. Und noch vor Jahr und Tag sei die Weltpresse hier gewesen. Und er habe früher zum Katasteramt immer "Katastrophenamt" gesagt. Und … woher wir übrigens kämen?

"Berlin? Hätte ich ihnen eine Landkarte mitgebracht - aus Spanien. Da gibt’s zwei Orte drauf, dat is Berlin und Kleinmaischeid. Ich hole sie ihnen. "

Nun, die "Landkarte" von Herrn Kern war ein Zeitungsartikel aus Spanien. Das fanden wir bei einem Schoppen Wein heraus. Und noch manch anderes.

Wir kommen übrigens gerade vom Landesamt für Vermessung und Geobasisinformation Rheinland-Pfalz in Koblenz. Tätige Mithilfe ward uns dort beschieden. Wir hatten um einen genauen Ausdruck des geographischen Mittelpunktes der EU nachgesucht, prompt hielten wir ihn in der Hand!

7 Grad 35 Minuten 50 Sekunden östlicher Länge und 50 Grad 31 Minuten 31 Sekunden nördlicher Breite. Das sind die Koordinaten und das hier ist der Ausdruck. Schauen Sie? Hier, die Luftbildaufnahme. Und dort ist der Mittelpunkt eingezeichnet! Da, das Kreuz. Im Wald! Sehen Sie es?

Allerdings nicht gerade "mitten im Wald", wie uns die Welt- und Lokalpresse seinerzeit mitteilte. Herr Kern brauchte mit seinem Auto nicht mal 5 Minuten bis dahin! Allerdings ist das Kreuz mit einem kleinen, nennen wir es mal "Makel" behaftet. Es liegt nicht auf Kleinmaischeider Terrain, sondern gehört zu …. Egal, der nächstliegende Ort zählt, basta!

Und die Nörgeleien notorischer Quängler nahmen wir zwar zur Kenntnis, aber nicht weiter ernst. Wir nicken da nur mit dem Kopf, wenn Herr Kern statt Großmaischeid "Neidhausen" schreibt. Und entrüstet einen Artikel der hiesigen "Rhein-Zeitung" hochhält. Dort fragte ein Schreiber, ob denn - wir zitieren - "Großmaischeid nicht schon längst der Mittelpunkt der Vereinten Nationen ist". Er werde dies nachmessen! Nun, Herr Kern riet dem Herrn vom Kauf eines Zollstocks ab … wegen der "geistigen Lage".

"Jetzt befinden wir uns am errechneten geographischen Mittelpunkt der Europäischen Union. So vom Geographischen Institut in Paris ist das errechnet worden. (Pause) Sumpfgebiet! "

Der Koch aus unserem Hotel hatte sich angeboten, uns zum Mittelpunkt zu führen.

"
Ähm, das ist irgendwann mal veröffentlicht worden, mehr oder weniger, dass es hier sein soll. Gibt auch kein Zeichen, keinen Punkt, keinen offensichtlichen. "

Dies scheint uns ein Problem zu sein. Herr Kern jedenfalls führte uns weiter in den Wald hinein.

"Ähm, das habe ich erfahren vom Bürgermeister erfahren. Der hat das mal gesagt und halt der zuständige Revierbeamte. "

Kein fester Grund wie bei Herrn Kern, sondern sumpfiges Gelände am Weiher.

" Da irgendwo im Wasser müsste er sein. "

Wir fassen es nicht. Die Formulierung "mitten im Wald gelegen" - ein bauernschlaues Ablenkungsmanöver? Ja, ein beschaulicher Flecken, nur ein paar Meter vom Ortsrand gelegen. Am Wanderweg gelegen!

Wir haben uns in die Wirtschaft unseres Hotels zurückgezogen, suchen innere Sammlung. Die holländische Reisegruppe im Hintergrund ist nicht - wie manche im Ort vermuten - wegen des Mittelpunktes im "Maischeider Hof" eingekehrt. Der hungrige Magen lenkte - und die Wirtsleute lockten - sie direkt hierher.

Die Betreiber der Wirtschaft kann man Pioniere nennen. Sie kreierten vor Jahresfrist einen "Mittelpunkt-Wein". Der Rebensaft kommt zwar aus …, aber das interessiert die Käufer wohl eh nicht. Eine Mittelpunkt-Postkarte wurde layoutet, zwei Mittelpunkt-Aufkleber entworfen. Pioniergeist, aber das sagten wir ja schon.

Ja, der Mittelpunkt brachte noch andere auf Trapp … außerhalb des Ortes. So behauptete Siegen, dass Siegen der Sieger sei. Eine schöne Formulierung, finden wir und klopfen uns auf die Schulter. Auch meldete eine "Märkische Allgemeine", das kleine brandenburgische Dorf Golzow könnte eine Mittelpunkt-Rechnung vorlegen.

Die Aufrechnung haben wir nicht gefunden, wohl aber die Abrechnung diverser Kritiker. Hier: Dem Landesvermessungsamt von Nordrhein-Westfalen kamen wie, Zitat, "vielen aufrechten Europäern Zweifel". Ja, "zwar mathematisch korrekt", "aber die beteiligten Staatsflächen geben zu denken". Man denke nur an Martinique, das "Eingang in das Kalkül" vom Institut Géographique National in Paris fand. Die Bonner Vermesser favorisieren das Knüllgebirge.

Nun, wir bleiben gelassen, haben höchste Nachricht aus Brüssel! Vom Europäischen Statistischen Amt. Da, schwarz auf weiß. Geographie-Unterricht par excellence, für Kritiker zum Mitschreiben:
Martinique und andere überseeische Besitzungen sind, und nun im Zitat und mit Ausrufezeichen weiter, sind "ebenso Teil der EU wie z.B. Bayern!" Das sitzt!

Und außerdem: Wäre man dreidimensional, also korrekt, dann läge der Schwerpunkt "aller Voraussicht nach innerhalb der Erdkugel". Die Kritik an Kleinmaischeid erscheint uns daher denn doch eher eindimensional. Vom Knüllgebirge ganz zu schweigen.

Er: "Hier, links, 50? "
Sie: "Hier ruffe, hier ruffe. "
Er: " 50 Meter hier im Gestrüpp? "
Sie: " Hier im Gestrüpp. "

Hier im Gestrüpp!
Herr und Frau Rings sind zwar aus Kleinmaischeid, waren aber noch nie am Mittelpunkt der EU.

Sie: "Nun bin ich aber gespannt! Nun bin ich aber gespannt! Müsste irgendwo wat gekennzeichnet sein, finden sie nicht och? "

Wir nicken und notieren: dritter Gang, dritte Mittelpunkt-Stelle. Herr und Frau Rings hatten extra den Bürgermeister angerufen und nach der Stelle im Wald gefragt.

Sie: "Ich denke immer, man müsste irgendwo wat finden, ne? Über de Bach, hat er gesagt, ja, ja. (Er) Uff dem Weg oder wo? "
Sie: "Das hat er mir ja nicht gesagt! Im Gebüsch! Gebüsch ist da, Gebüsch ist da. "
Er: "Wald. "
Sie: " Ja, Wald. Gebüsch. "

Stimmt!

Er: "Inge, du rennst zu weit! Hat keinen Zweck, da weiter zu rennen. Du wirst nirgendwo was sehen oder finden, ne. "

Nun ja, Herr Rings wird Recht behalten. Leider.

Er: "Inge! Komm, hat kein Sinn, du findest nichts! "

Wir haben uns am visuellen Mittelpunkt-Denkmal eingefunden. Es ist zwar nicht der echte, wohl aber der öffentliche Mittelpunkt. Und als solcher natürlich ein Denkmal. Wir verzichten auf eine Beschreibung, die Jugend hat uns viel zu erzählen. Nur so viel: Ministerpräsident Beck weihte es am 10. Oktober 2004 ein. Schließlich war er schon immer der Meinung, dass Rheinland-Pfalz im Herzen Europas liegt.

Die Jugend also. Sie kommt her, um sich Zigaretten aus dem Automaten zu ziehen, um die Clique zu treffen, um eine Sause nach Selters zu starten. Oder um kurz vor dem Schulbus schnell noch Hausaufgaben zu erledigen. Wie jetzt gerade. Jedenfalls wegen des Denkmals kommt keiner her, nicht mehr. Früher, vor einem Jahr also, da schon. Aber jetzt? Kein Thema mehr, wird uns kurz und bündig beschieden.

Dafür erfahren wir, dass ein Vater Malpakas hält, "so ähnlich wie Lamas, sind die Vorfahren davon." Ein Sportplatz wurde gebaut, "hatten ja früher nichts". Die Holländer würden nicht mehr kommen, weil jetzt Kleinmaischeid Mittelpunkt der EU sei, aber "vielleicht haben sie auch keine Lust mehr." Und das vor Jahresfrist Mittelpunkt-Schilder plötzlich verschwanden. Wahrscheinlich Großmaischeider Neider.

Irgendwie skeptische Töne hören wir bei der reiferen Dorfjugend heraus. Nicht wegen des Mittelpunkt-Denkmals, obwohl, irgendwie schon. Das Bushäuschen stand nämlich genau dort, an der Haltestelle. Da, wo jetzt das Denkmal steht. Es war überdacht, hören wir, und "ist total blöd", eine neue Überdachung gebe es ja nicht. Oder? Nein.

Er: "Sie sagte gerade, also für die Touristen reicht ja das Denkmal im Dorf, am Bürgerhaus. "
Sie: "Aber ja, die Einwohner müssten doch wissen, dass hier … also wir werden da eine Flagge anbringen. Ganz diskret. "

Wir sind am echten Mittelpunkt der EU, jedenfalls dort, wo wir ihn vermuten. Laut Landesvermessungsamt. Und mit richtigen Franzosen! Wir haben sie hergelotst.

Er: "Wäre ja auch eine gute Gelegenheit, hier einen Spaziergang zu machen, statt also nur im Restaurant zu sitzen. "
Sie: "Keinen Parkplatz! Keinen Parkplatz! "

D-a-s klingt nun wieder irgendwie unfranzösisch.

Sie: "Man sollte es ab da ausschildern. Oh, da gibt es aber Betrieb im Gässchen"

Das "Gässchen" ist ein Wanderweg und Herr und Frau Greff kennen sich hier aus. Sie wohnen im Ort. Und auf ihrer Visitenkarte steht unüberlesbar: "D-56271 Kleinmaischeid / Zentrum Europas seit 1.5.2004" - daneben die Europa-Fahne.

Er: "Das würde sogar eine Konkurrenz zum Limes werden. Der kommt ja hier ungefähr 10 Kilometer weiter vorbei. "

Für die old Frends in Amerika war es ein Knaller. Nicht der Limes, sondern dass beide am, im Mittelpunkt der EU wohnen. Und für eine echte Franzose sei es sehr, sehr schwierig, Kleinmaischeid auszusprechen. Ja, so sieht die Mitte von der Mitte aus!

Sie: "Es ist etwas feucht heute, ne. "

Wir nähern uns dem Ende der Sendung, also unseres Aufenthaltes am geographischen Mittelpunkt der erweiterten Europäischen Union, notieren mit Blick auf die Uhr also im Telegramm-Stil:

Kleinmaischeid +++ Westerwald +++ katholisch im Glauben, sozialdemokratisch regiert +++ MP der EU der 25 seit 1. Mai 2004 +++

Stimmung im Ort vor einem Jahr etwa wie auf Hochzeit jetzt +++ russische Spätaussiedler +++ Feier 20 Meter vom virtuellen Mittelpunkt-Denkmal entfernt +++

Kür zum Mittelpunkt bedeutsamstes Ereignis seit Blitzschlag vor 300 Jahren +++ Pastor mit 2 Messdienern getroffen +++ mäusetot +++ waren auf dem Weg von Klein- nach Großmaischeid +++

Drei Gänge mit Hiesigen zum Mittelpunkt, drei verschiedene Stellen gesehen +++ Unwissen, da echter MP nicht ausgeschildert +++

örtlicher Imbiss verkauft nicht - wie mal angekündigt - Mittelpunkt-Wurst +++ örtlicher Kaufmann mit europäischen Lebensmitteln +++ Besitzer klagt über Boykott-Aufrufe im Ort +++

Gemeinde im europäischen Trend: Landwirtschaft spielt kaum noch Rolle +++ verkehrsgünstig gelegen +++ Klein- und Mittelstand stark vertreten +++

Kleinmaischeid international +++ Hausmeister im Hotel ist Finne, Reisebüro in japanischer Hand +++ insgesamt 50 Ausländer im Ort +++

K-l-e-i-n-m-a-i-s-c-h-e-i-d +++ geographischer MP der EU +++ oft das Wort "Zufall" gehört +++ auffällig oft Hinweis, dass nicht mehr lange MP der EU +++ Osterweiterung in zwei Jahren +++ Punkt.

"Da können sie sich 10 Meter links und 20 Meter rechts stellen und da stelle ich sie morgen an eine andere Stelle, da meinen sie, das wäre dieselbe. "

Hallo! Hiiiier! Bürgermeister Rasbach hat gut lachen. Nicht, weil er noch zwei Jahre - wir erlauben uns ein Wortspiel - sozusagen Europa-Meister ist. Nein, die Gemeinde steht gut da: s-c-h-u-l-d-e-n-f-r-e-i! Auch ohne Touris. Da staunen Sie daheim, was?! Wir auch!
Ach, was haben wir gelacht. Der trinkende Dorfpolizist, der dazumalen seinen Schäferhund fragte "Wie ist das beim Hitler?", woraufhin der Hund seine rechte Pfote hob und jaulte. Oder die 50 bis 60jährige Damen im quicklebendigen "Katastrophenballett" … … ja, ja …