"Am Ende nehmen alle Schaden"

Herbert Mai im Gespräch mit Hanns Ostermann |
Herbert Mai, Arbeitsdirektor des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport AG und ehemaliger Vorsitzender der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), hält die Zersplitterung der Gewerkschaftsorganisationen für eine gefährliche Entwicklung in Deutschland und fordert Gegenmaßnahmen von der Politik.
Herbert Mai: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Hanns Ostermann: Die Lufthansa fühlt sich als Opfer eines Gewerkschaftspluralismus, zu Recht?

Mai: Ich denke, zu Recht, denn es kann nicht sein, dass einzelne Berufsgruppen sich gegeneinander hochschaukeln in Tarifrunden. Es kann nicht sein, dass für ganz wenige praktisch Forderungen versucht werden durchzusetzen. Und dies ist eine Entwicklung, die ich mit Sorge schon in den letzten Jahren beobachte.

Ostermann: Andererseits, als Sie noch ÖTV-Chef waren, auch da gab es ja zwischen den Gewerkschaften Streit, wurden die jeweiligen Tarifverträge zwischen ÖTV und DAG nicht anerkannt. Was hat sich verändert?

Mai: Na, das kann man nicht vergleichen. ÖTV und DAG waren sogenannte Einheitsgewerkschaften. Wir haben alle Berufsgruppen vereint, auf die Branche bezogen, Tarifverhandlungen geführt. Wir haben mit der DAG auch vor den Kooperationsvereinbarungen Absprachen getroffen, mit welchen Forderungen wir in die Tarifauseinandersetzungen gehen. Es wurde zunächst getrennt verhandelt. Das ist richtig. Aber am Ende gab es einen gemeinsamen Abschluss, der von allen dann getragen wurde. Und dies hat ja dann in die Kooperation und letztlich in den Zusammenschluss zu Verdi geführt. Das Prinzip war ein ganz anderes. Und die Orientierung eine ganz andere als jetzt einzelne Berufsgruppen, die gegeneinander Forderungen stellten.

Ostermann: Welche Folgen hat die Gewerkschaftskonkurrenz jetzt für den sozialen Frieden in der Republik?

Mai: Ja, ich denke, wir sind in einer ganz gefährlichen Entwicklung, insbesondere im Verkehrssektor sehen Sie die Deutsche Bundesbahn mit Gewerkschaft der Lokomotivführer, jetzt die Lufthansa. Die Flughäfen haben schon ähnliche Probleme. Auch in meinem Unternehmen gibt es kleine Berufsgruppen, Vorfeldkontrolleure beispielsweise, die eigene Gewerkschaften für 70, 80 Beschäftigte gründen, um spezielle Forderungen auf Einzelberufe durchzusetzen. Und das ist eine Entwicklung, wie wir sie aus Großbritannien kennen, die nicht gut ist. Man muss nicht das Verfassungsrecht oder das Streikrecht einschränken. Man muss aber gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, dass solche Entwicklungen sich im Betrieb nicht praktisch gegeneinander ausspielen.

Ostermann: Welche Änderungen würden Sie denn da favorisieren? Geht es nicht letztlich auch um eine Einschränkung der Tarifautonomie?

Mai: Nein, das sehe ich nicht. Es gibt ja Diskussionen, dass beispielsweise die Gewerkschaftsmacht zählt. Amerika hat so ein Prinzip, stimmen die Arbeitnehmer ab, sehr demokratisch. Und wer die Mehrheit, wer mehr als 50 Prozent der Arbeitnehmer in einer Abstimmung bekommt als Gewerkschaft, der darf dann verhandeln für diesen Betrieb, für den Bereich oder für die Branche. Das wäre eine Möglichkeit. Die andere wäre, Ergebnisse der Betriebsratswahl zu Rate zu ziehen. Aber es macht überhaupt keinen Sinn, wenn einzelne Berufe praktisch in einem Betrieb dann fünf, sechs, sieben Verhandlungen führen. Vor dieser Entwicklung müssen wir uns, denke ich, schützen. Und da bedarf es gesetzlicher Rahmenbedingungen, ohne das Streikrecht und ohne die Koalitionsfreiheit zu gefährden.

Ostermann: Auf der anderen Seite fühlen sich ja die einzelnen Berufsgruppen in den großen Gewerkschaften nicht ausreichend vertreten. Ist nicht möglicherweise auch ver.di, die Dienstleistungsgewerkschaft, mit den unterschiedlichsten Berufsgruppen irgendwo überfordert?

Mai: Ja, das ist sicher eine richtige Frage. Es gibt in der Größe von Gewerkschaft natürlich schon ein Problem. Aber es war immer Prinzip auch, innerhalb der ÖTV gab es sehr, sehr unterschiedliche Berufsgruppen, von Krankenschwester bis zum Müllwerker, vom Architekten bis zum einfachen Gemeindearbeiter. Trotzdem haben wir es geschafft, die Interessen unter einen Hut zu bekommen. Es war sehr schwierig. Es wurden oft ja auch innerhalb der Gewerkschaft Diskussionen geführt, auch sehr kontroverse. Aber am Ende stand da die Solidarität, einen Abschluss gegen den Arbeitgeber hinzubekommen.

Und ich denke, wenn solche Entwicklungen eintreten, gibt es möglicherweise auch Nichtachtung einzelner Berufsgruppen, einzelner Forderungen, das kann durchaus sein. Aber es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Ich sehe allerdings eine allgemeine Entwicklung in den Betrieben, egoistisch mit dem Ellenbogen seine speziellen Interessen durchzusetzen. Und wenn es dann auf Kosten anderer Arbeitnehmer geht, dann auch. Und das halte ich für fatal.

Ostermann: Herr Mai, angesichts der derzeitigen Situation hört man relativ wenig von der Politik, um das ganz klar zu sagen. Liegt das nur an der Sommerpause, oder liegt es möglicherweise auch an dem Problem, dass sich die Große Koalition, was diese Sache betrifft, ausgesprochen schwer tut?

Mai: Sie tut sich sehr schwer. Es ist ein sehr kompliziertes Feld, es ist eine ganz, ganz schwierige Frage, ganz logisch, weil man immer die Koalitionsfreiheit des Streikrechts beachten muss, unsere Verfassung. Auf der anderen Seite denke ich, dass der eine oder andere auch aufseiten der Arbeitgeber diese Entwicklung ja mit forciert hat, zum Teil auch händereibend zugeguckt hat, wie große Gewerkschaften, die Einheitsgewerkschaft, Schaden nimmt. Aber am Ende nehmen alle Schaden.

Und das ist die Entwicklung, die wir jetzt haben, mindestens in einigen Bereichen und Betrieben. Aber ich sehe die Gefahr insgesamt, und deshalb muss insgesamt auch reagiert werden. Ich bin sicher, die Politik wird nach einiger Zeit, wenn die Entwicklung anhält, auch versuchen, Rahmenbedingungen zu schaffen.

Ostermann: Herr Mai, Danke für das Gespräch heute früh! Herbert Mai war das, früher Chef der ÖTV und heute Arbeitsdirektor des Frankfurter Flughafenbetreibers, der Fraport AG.