Am Ende bleiben Rosen und Kokosnüsse

Von Jörn Florian Fuchs |
Fast 30 Jahre lang hat der Komponist Karlheinz Stockhausen an dem Opernzyklus "Licht, Die sieben Tage der Woche" gearbeitet. In München war jetzt an mehreren Tagen der "Samstag aus Licht" als Deutsche Erstaufführung zu erleben – vier Szenen, in zwei Etappen, an drei verschiedenen Orten.
Explizit wurde darauf hingewiesen, dass man Karlheinz Stockhausens Oper "Samstag aus Licht" quasi konzertant aufführen werde. Doch ein bisschen dürftig für eine hochrangige Veranstaltungsreihe wie die Münchner musica viva, denkt man. Aber schon in der ersten der vier Szenen wird rasch klar, was "quasi" meint. Stockhausen hat nämlich derart viele Parameter - wie etwa Gestik, Kleidung oder Bewegung im Raum - festgelegt, dass fast immer wirkliches Musiktheater entsteht. Wir erleben einen grimmigen Bassisten (brillant nicht nur in dieser Szene: Michael Leibundgut), der sich lümmelhaft auf einem Bürostuhl fläzt, während ein Pianist (virtuos: Ulrich Löffler) ihn mit eigensinnigen (Dis-)Harmonien reizt.

Laut Stockhausen erträumt sich Luzifer hier ein möglichst komplexes Stück, um es dann wieder zu zerstören. Dies führt bereits ins Zentrum des "Samstag". Allen Wochentagen ordnete Stockhausen ja eine Fülle von Attributen zu: Farben, Symbole, Stimmungen. Außerdem durchziehen die nur lose biblisch konnotierten Figuren Michael, Eva und Luzifer den gesamten Zyklus. Auch wenn sie nicht immer direkt auf der Bühne anwesend sind, so kann man sie doch oft hören. Was für Wagner Leitmotive waren, sind bei Stockhausen Teile und Schichten von Formeln. Aus einer Superformel leitet er mehrere Unterformeln ab. Eva, Michael und Luzifer haben nochmals eigene Formeln. Durch Straffungen, Dehnungen, Verschmelzungen, Staffelungen entsteht ein semantisch-syntaktisches Geflecht, das allerdings selbst für Musikwissenschaftler nicht immer leicht zu entschlüsseln ist.

Beim "Samstag" ist Luzifer die Hauptfigur, in der zweiten Szene spielt ihm die herrliche Flötistin Kathinka Pasveer indes bereits ein Requiem, begleitet wird sie von sechs grotesk verkleideten Instrumentalisten des Kölner Ensembles musikFabrik, die ihren mit allerlei klingenden Gegenständen bestückten Körpern neuartige Töne entlocken.

In der dritten Szene sitzt zwar das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks brav im Münchner Herkulessaal und lediglich Dirigent Ingo Metzmacher benutzt neben seinen Händen auch seine Hüften, um perfekte Hörerlebnisse zu ermöglichen, dafür herrscht Bewegung auf einer gänzlich anderen Ebene. Die Musiker sind nämlich so positioniert, dass sie ein Gesicht - das Gesicht Luzifers - darstellen. Und dieses zuckt nun eifrig, es gibt zum Beispiel einen Nasenflügel- oder einen Oberlippentanz, manchmal mischen ein Trompeter (der Stockhausen-Experte Marco Blaauw) und eine Flötistin (Helen Bledsoe) die vermeintliche Ordnung ein wenig auf. Es entstehen und vergehen Klangwelten, die wahrhaft unerhört sind.

Luzifer selbst kristallisiert sich im Laufe der vier Szenen (die an zwei Abenden gegeben wurden) übrigens als vielschichtiger Charakter heraus, der zwar immer wieder für Unruhe sorgt, aber dem es vor allem um kreative (Zer-)Störung geht. Der gefallene Engel findet nach wie vor Gefallen an Sinn und Harmonie und sucht gleichsam nach einem paradiesischen Rest-Leuchten.

Zum großen Finale in der Kirche St. Michael, im Herzen der Fußgängerzone, rauscht der konzise "Samstags-Gruss" durch den Raum, danach steht "Luzifers Abschied" auf dem Programm. 45 Herren vom Rundfunkchor des BR treten in Mönchskutten auf, führen kosmisch-komische Rituale auf und singen dazu Texte des Heiligen Franz von Assisi. Wie in kaum einem anderen Stück amalgamiert Stockhausen hier christliche Mystik und New-Age-Religiosität. Nach einer knappen Stunde verlassen die gemönchten Sänger die Kirche, unter dem regenschwangeren Münchner Himmel entlassen sie einen riesigen Raben aus seinem Käfig, um danach Kokosnüsse zu zerschmettern. Das soll eine Art Reinigungsritual sein. Dem Publikum werden rote Rosen überreicht. Was für ein wunderbares Finale und was für eine Großtat überhaupt!