Alzheimer-Forschung

Das Geschäft mit dem Alter

31:46 Minuten
Grafische Darstellung von Demenz
Alzheimer - wenn Teile der Persönlichkeit verschwinden. Ein Start-up verspricht Aussicht auf eine Frühdiagnose, die sich positiv auf die Behandlung auswirken könnte. © imago/Ikon Images
Von Carina Fron · 21.02.2019
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Altern müssen wir alle - aber wir müssen das Altern nicht hinnehmen, versprechen Start-ups aus dem Umfeld der medizinischen Forschung. Vor allem wollen sie Abhilfe bei Alzheimer schaffen. Oder mit Bluttransfusionen das Altern hemmen.
Die Witze fingen vor einigen Monaten an: Über Nacht wäre mein Gesicht mit Falten übersät, die Haare würden ausfallen, die Hüfte mich im Stich lassen. Mir wurden diverse Gehhilfen, Brillen und altersgerechte Sportkurse versprochen. Bekommen habe ich von all dem nichts. Ich bin ganz unspektakulär 30 Jahre alt geworden.
Und auch wenn 30 wirklich kein Alter ist, denke ich viel über das Altern an sich nach. Ich stelle mir vor, mit der Rente endlich genug Geld zu haben und vor allem: Zeit. Zeit ohne Arbeit, Zeit für mich und meine Liebsten. Zeit, um Orte auf der Welt zu besuchen, von denen ich bisher nur gehört habe. Zeit für all die Bücher, die ich unbedingt noch lesen will.

Die eigene Vergänglichkeit wird deutlicher

"Ich verliere meinen Kopf", erklärt Walter. "Ich kann noch logisch denken, aber wenn ich die Zeitung gelesen hab und soll ihnen nachher Auskunft geben, was ich da gelesen hab, dann weiß ich es nicht mehr."
Walter ist 84. Er hat das Gefühl nicht mal annähernd genug Zeit mehr zu haben. Meine romantischen Vorstellungen vom Alter werden von seiner Realität zerschmettert. Mit dem Alter wird die eigene Vergänglichkeit immer deutlicher, immer spürbarer. Der Körper gehorcht nicht mehr, Organe, Knochen, Gelenke verschleißen, das Gehirn altert.
"Es ist eine harte Strafe, denn ich bin jemand, der gerne liest und der gerne Vorlesungen hört und gehört hat und der gerne mit dem Verstand sich tummelt und der Verstand lässt ihn im Stich."
Walters Diagnose heißt: Alzheimer. Bei dieser Erkrankung kommt es zu einer Veränderung des Hirnstoffwechsels. Die Folge: Nervenzellen sterben ab. Warum das passiert, konnten Wissenschaftler bisher noch nicht vollständig herausfinden. Sie wissen nur: Alzheimer ist im Regelfall eine Alterskrankheit.
Walter und seine Frau Luise wollten den Rest ihres Lebens in ihrem Haus in Spanien verbringen. Eigentlich. Aber der Traum ist mit der Alzheimer-Diagnose vor zwei Jahren geplatzt. Noch ist Walter im Frühstadium. Das heißt, der 84-Jährige ist an den meisten Tagen klar und nicht verwirrt. Seine Orientierungsfähigkeit hat aber schon stark gelitten. Luise erlaubt ihm jeden Tag nur einen kleinen Spaziergang allein, am Kanal in Hamburg.
"Dann hab ich das dabei", erklärt Walter. "Da ist mein Name drauf und die Adresse hier und die Telefonnummer und mein Schlüssel. Angenommen, ich strande draußen irgendwo und weiß nicht mehr, wo ich bin und wer ich bin."

Gedächtnisstützen erleichtern den Alltag

Wie an einen Anker klammert sich Walter an den Schlüsselanhänger in Herzform, den seine Frau ihm gebastelt hat. Dass ihr Mann sich nicht mehr alleine zurecht findet - das war die erste Veränderung, die sie an ihm bemerkt hat. Nach der Alzheimer-Diagnose sind die beiden dann in eine Wohnung neben einer Pflegeeinrichtung gezogen.
Deren Betreuer können Walter und Luise jederzeit um Hilfe bitten. Hilfe, die sie gut brauchen können, denn beide Kinder wohnen nicht in der Stadt. Walter sieht sie so selten, dass er Schwierigkeiten hat, sich an ihre Gesichter zu erinnern. Deswegen hat Luise einen Stammbaum an der Tür aufgehängt, als Gedächtnisstütze.
"Meine liebe Frau hat das alles gemacht. Das ist die Schrift meiner Frau. Und da steht dann, wer das alles ist. Das bin ich und das ist…"
Zwei Hände alter Menschen in Großaufnahme
An Alzheimer Erkrankte benötigen liebevolle Zuwendung durch Angehörige oder Pfleger.© imago/Martin Wagner
Noch immer hat er den Schlüssel mit dem Herz in der Hand. Tippt mit dem Zeigefinger auf die Fotos seiner sechs Enkel. Wenn Walter mit seinen Familienmitgliedern telefoniert, legt ihm Luise immer den Stammbaum hin. Das macht es für Walter einfacher.
"Ich muss alles aufschreiben und es kommt schon vor, dass ich ausgiebig gefrühstückt habe und eine halbe Stunde danach möchte ich mich hinsetzen, um mein Frühstück zuzubereiten, weil ich das dann schon wieder vergessen habe. Deshalb schreibe ich dann nach Möglichkeit lieber alles auf. Da kann ich nachschauen."
Walter zeigt auf seinen Kalender. Neben meinem Namen stehen kurze Stichpunkte: Carina Fron, Deutschlandfunk Kultur, Radio-Interview, Alzheimer. Er blättert weiter. Neben Arztterminen hat er zum Beispiel noch klassische Konzerte und Sendungen vermerkt, die er gesehen hat.
"Da stehen die Tage und welcher Tag gewesen ist, der wird abgehakt. Weiß sie meinen Beruf eigentlich", fragt Walter seine Frau Luise, die ihn bittet, die Frage doch einfach mir zu stellen. "Was haben Sie denn für einen Beruf gehabt", frage ich ihn. Und Walter: "Ich habe, ich war Musiklehrer an Gymnasien."

Glückliche Erinnerungen an Beruf und Ehe

Walters Augen fangen an zu leuchten, wenn er von der Arbeit mit den Kindern erzählt. Um als Berufsmusiker zu arbeiten, sei er zu schlecht gewesen, erzählt er. Aber an den Schulen habe er die Kinder begeistert. Er scheint sich an jedes Detail von damals erinnern zu können, hat sogar Lust zu singen.
Gleichzeitig vergisst er beim Erzählen immer wieder, dass er sich eigentlich einen Kaffee machen wollte. Über die Liebe zur Musik, zu Bach und zum Klavier haben sich die beiden kennengelernt. Luise hat ebenfalls als Musiklehrerin gearbeitet und übernahm auch einige seiner Privatschüler.
"Dann hatte ich meine Existenz und meinen späteren Mann", sagt Luise lachend. Gleich ineinander verliebt haben Sie sich allerdings nicht, "Das war alles erst einmal sehr neutral", erklärt Luise. "Kollegen halt. Nicht?"
Und Walter dazu: "Wir sind einander nicht sofort um den Hals gefallen." Beide lachen. "Es hat schon eine Zeit lang gedauert."
Seit über 50 Jahren teilen die beiden ihr Leben miteinander, die sprichwörtlich guten und schlechten Zeiten. Wenn sie so in Erinnerungen schwelgen, dann würde niemand vermuten, dass Walter krank ist. Das zeigt sich erst, wenn er sich an sein Frühstück oder das letzte Konzert erinnern soll, dass er gesehen hat.

Die Diagnose kam nicht unerwartet

Ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen, wie das sein muss. Noch erschrecke ich gerne Menschen in meinem Umfeld mit meinem Elefantengedächtnis. Wenn ich zum Beispiel einen Song zweimal gehört hab, kann ich den Text auswendig. Jahrelang kann ich noch aus Unterhaltungen zitieren. Hinweise zu Personen und Terminen schreibe ich höchstens für die Nachwelt auf, merken kann ich mir die auch so. Alzheimer würde mir das alles wegnehmen.
Auch von Walters Erinnerungen und seiner Persönlichkeit hat die Krankheit in den letzten Jahren schon viel genommen. Das hat auch Luise gemerkt. Deshalb kam die die Diagnose auch nicht völlig unerwartet, erzählt sie:
"Naja, ich habe es ehrlich gesagt schon erwartet, weil die Symptome doch nicht mit Alter zu erklären waren. Für mich war es eigentlich keine große Überraschung. Aber ich war froh, dass das jetzt endlich mal auf dem Tisch liegt und dass wir Sicherheit haben über den Zustand."

Ein Medizin-Start-up erforscht Alzheimer

Gewissheit, was im Alter auf einen zukommt. Das möchten viele Menschen haben - erst recht jetzt, wo wir statistisch immer älter werden, insgesamt mehr Zeit zum Leben haben. Ich selbst habe eine Tante, die an Alzheimer hat. Meine Oma ist daran gestorben. Werde ich es also auch bekommen? Beantworten möchte diese Frage eines Tages ein deutsches Start-up aus Magdeburg. Möglichst früh, damit Menschen wie Walter ihren Ruhestand besser planen können.
In Magdeburg, unweit der Elbe, begebe ich mich auf die Suche nach dem Start-up "neotiv". Ich treffe Julian Haupenthal, gelernter Medizintechnik-Ingenieur und einer der Gründer von "neotiv". Das Unternehmen entwickelt eine App zur Früherkennung und Therapiebegleitung von Alzheimer.
Im Büro herrscht Chaos. Überall stehen Kisten, ein Raum ist fast schon komplett leer. Das Start-up zieht schon wieder um, ist ständig im Wandel. Das rund zehnköpfige Team vor Ort zieht nun in Büroräume, die etwas weiter weg von ihrer Heimat sind: der Otto-von-Guericke-Universität. Der Grund dafür: Sie wollen sich noch stärker von der Universität abnabeln.
"Man muss irgendwo die Grenze ziehen zwischen Grundlagenforschung und Produktentwicklung", erklärt mir Julian Haupenthal. "Ziel der Grundlagenforschung ist es ja irgendwann Produkte zu ermöglichen. Und ich glaube Universitäten und auch die Forscher haben gemerkt, wir brauchen dafür Vehikel, um das zu machen. Auch wenn sich Wissenschaftler mit den Gehirnen der Menschen auseinandersetzen, sind sie manchmal von den Ansprüchen, den Anforderungen, die ein Mensch dann hat, um ein Produkt in seinem Leben zu nutzen, relativ weit weg."

Eine App zur Früherkennung

Das Produkt von "Neotiv": Eine App, die Alzheimer früh erkennen und die Therapie begleiten soll. Die Idee dafür geht unter anderem auf Untersuchungen von Gründungsmitglied und Neurowissenschaftler Emrah Düzel zurück. Er hat einen Bilder-Gedächtnistest entwickelt, der Auskunft über die Leistungen bestimmter Hirnregionen geben kann.
In der App müssen die Anwender Bilderrätsel lösen, zum Beispiel zwei fast identische Bilder vergleichen und dann Unterschiede anklicken. Wie im Kinderbuch. Auf dem einen Bild steht neben dem Stuhl ein Tisch, auf dem anderen nicht. Kann ein Anwender den Unterschied auf diesen Bildern nicht mehr erkennen, dann ist die Funktion der dafür zuständigen Hirnregion gestört. Das kann ein Indiz für Alzheimer sein.
"Man begegnet natürlich auch Skepsis", sagt Julian Haupenthal. "Ja, man nimmt jetzt Forschungsgrundlagen und kommerzialisiert die, aber… so ein sehr idealistischer prototypischer Wissenschaftler, der möchte nicht unbedingt ein Produkt erzeugen, sondern der möchte einfach nur sein Wissensumfeld bereichern und sich unter Umständen als Wissenschaftler profilieren."

Investoren zu finden ist schwierig

Das Startup "Neotiv" ist an einer Schnittstelle: Zwischen theoretischer Forschung und praktischer Hilfe für Menschen mit Alzheimer, Menschen wie Walter oder solchen, die es bekommen könnten, wie mir. Zwischen Wissenschaft und kommerziellem Produkt. Deshalb braucht das Startup zunächst Geld, um irgendwann welches zu verdienen - das sei nicht leicht, meint Julian Haupenthal.
"Gerade wenn man aus der Wissenschaft kommt, ist es nicht so, dass wir zu einem Investor gehen können und sagen: ‘Okay, mit dem was wir machen, kann man in zwei Jahren so und so viele Millionen Euro verdienen.’ Sondern es ist eher so, dass wir mit einem wissenschaftlichen Produkt Investoren finden müssen oder Leute, die bereit sind uns Geld zu geben, die wissen: Wir investieren in etwas, das unter Umständen lange dauert. Deshalb muss man Investoren finden die auch bereit sind, so etwas zu unterstützen."
Das haben unter anderem die Bundesregierung, aber auch private Investoren getan. Das mag auch daran liegen, dass die App des Startups Vorteile haben könnte, gegenüber den klassischen Verfahren zur Erkennung von Alzheimer. Bislang sind das die sogenannten Pet-Scans, die Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn zeigen und damit die Alzheimer-Diagnose unterstützen. Oder eine Untersuchung der Rückenmarksflüssigkeit, die Aufschluss über den Zustand des Gehirns gibt. Beides kann in Kombination mit einem einfachen Gedächtnistest Alzheimer diagnostizieren. Aber beide bisherigen Verfahren sind teuer. Und haben noch mehr Nachteile, so Julian Haupenthal:
"Der Punkt ist, dass Verfahren die zum heutigen Zeitpunkt zur Verfügung stehen, ganz essenhzielle Probleme haben. Die klassischen neuropsychologischen Tests zur Einschätzung einer Alzheimer-Erkrankung sind alle auf relativ späte Symptome zugeschnitten. Das heißt, wenn ich nicht mehr in der Lage bin, zum Beispiel eine Uhr zu vervollständigen, dann bin ich schon manifest krank."

Was bringt die Frühdiagnose?

Noch steckt die App zur Alzheimer-Früherkennung in den Kinderschuhen, den Prototypen habe ich allerdings schon getestet. Doch der kann noch nicht, was "neotiv" sich wünscht: Alzheimer zielgerichtet und eindeutig diagnostizieren. Außerdem ist es für mich noch zu früh, bricht die Krankheit doch erst mit über 60 Jahren aus.
Doch man darf nicht vergessen: Noch gibt es für Alzheimer keine Heilung. Würde es also etwas ändern, wenn man sein eigenes Risiko früher kennt, dem Krankheitsverlauf dann doch nicht entkommen kann?
Zurück zu Walter und Luise. "Ich müsste eigentlich etwas machen, damit meine Frau endlich erlöst werden könnte von dieser ewigen Sorge für einen alten Deppen", erzählt Walter. "Aber dann müsste ich stationell irgendwo hin gehen." Würde er denn seine Frau nicht vermissen? "Gott, vermissen ist gar kein Ausdruck. Entbehren."
"Das kommt auch nicht in Frage", sagt Luise. "Solange es geht, bleiben wir zusammen. Das haben wir immer gesagt. Von Anfang an und haben es auch so gemacht und das bleibt auch so."
Hätte es für Walter einen Unterschied gemacht, wenn er früher gewusst hätte, dass er langsam sein Gedächtnis verliert?
"Ich habe schon versucht, mir Medikamente verschaffen", erzählt Walter. "Damit ich im Notfall, wenn es mal gar nicht mehr geht, Schluss machen kann. Aber das ist nicht so einfach in Deutschland."

Lässt sich das Altern kurieren?

21.Oktober 2017. Eine Theaterbühne in Vancouver, Kanada. An diesem Tag gibt es allerdings kein Theaterstück zu sehen, sondern es findet der "Superhuman Summit" statt. Eine Konferenz für außergewöhnliche Forschung und Forscher, so die Eigenbeschreibung. Also doch irgendwie eine Inszenierung. Unter den Teilnehmern ist auch Jesse Karmazin. Mediziner. Absolvent der renommierten Princeton University und der Stanford Medical School.
Auf der Leinwand hinter Jesse Karmazin sind zwei Menschen zu sehen, beide jeweils angeschlossen an einen Tropf. Es sind seine Eltern. Der Mediziner Karmazin spricht darüber, wie er sie beide mit Blutplasma junger Menschen behandelt hat. Sein Ziel: Den Alterungsprozess aufhalten, auch den seiner Eltern. Dafür hat er das Start-up "Ambrosia" gegründet.

Nach Redaktionsschluss erreicht uns die Nachricht, dass die Food & Drug Administration der USA vor den Methoden, die Ambrosia anwendet, ausdrücklich warnt. Weiterhin heißt es, dass Ambrosia die Behandlung eingestellt hat.

"Ich dachte, Altern ist der Grund für viele Erkrankungen später im Leben", sagt er in seinem Vortrag. "Wenn wir Altern also verstehen, könnte das dabei helfen einige der größten Krankheiten unserer Zeit zu behandeln, die wir beobachten."

Verjüngung durch Blutplasma - ein kontroverses Verfahren

Jesse Karmazin war schon immer fasziniert vom Altersprozess. Hinnehmen wollte er ihn aber nie. Deshalb hat er sich schon während seines Studiums mit der Parabiose beschäftigt. Eine 150 Jahre alte chirurgische Technik, die aber genauso gut aus einem schlechten Horrorfilm stammen könnte. Bei der Parabiose werden die Blutgefäßsysteme zweier lebendiger Tiere miteinander vereinigt.
1956 wurde das auch erstmal für die Altersforschung interessant. Der Biochemiker und Gerontologe Clive McCay hat damals in New York eine alte und eine junge Ratte zusammengenäht. Bei der älteren verbesserte sich dann die Knochendichte. In den 1970ern behaupten amerikanische Wissenschaftler sogar entdeckt zu haben: Die älteren Ratten leben ein paar Monate länger, wenn sie sich den Kreislauf mit einer jüngeren Ratte teilen. Allerdings konnten diese Resultate bis heute nicht reproduziert werden. Trotzdem: Seit 2005 wird wieder verstärkt im Bereich Parabiose geforscht.
Jesse Karmazin führt aus: "Viele Studien an Mäusen zeigen, dass man Altern verlangsamen oder sogar umkehren kann und so altersbedingte Krankheiten heilen kann, mit einer Injektion von jungem Blut in alte Mäuse."
Die Forschung in diesem Feld wird kontrovers diskutiert. Einige Wissenschaftler behaupten, junges Blut könne helfen bei Mäusen beschädigtes Rückenmark und verdickte Herzmuskeln zu reparieren, oder sogar die Gehirnleistung verbessern. Andere Wissenschaftler widersprechen vehement. Jesse Karmazin vertraut beiden Seiten nicht. Er beschließt, den Effekt von jungem Blut auf ältere Menschen selbst zu erforschen. An der Universität findet er dafür keine Unterstützung:
"Ich war in Harvard und habe deren Blutbank kontaktiert. Ich hab denen gesagt, was ich will. Es gab kein Geld und niemand schien so richtig interessiert daran. Und ich habe mit Wissenschaftlern geredet. Ich wollte das wirklich machen, aber niemand sonst. Ich war scheinbar der Einzige."

An den Studien wollen viele teilnehmen

Deshalb nabelt Karmazin sich von der Universität ab, um ein Unternehmen zu gründen. So entsteht 2016 das Start-up "Ambrosia". Und der Mediziner findet Menschen, die an seiner Studie teilnehmen wollen. Und sogar bereit sind, dafür Geld zu zahlen. 8.000 Dollar kostet bei Ambrosia eine Injektion mit jungem Plasma, beschafft von Blutbanken. Bis jetzt haben dafür rund 150 Leute bezahlt. Seit diesem Jahr hat Ambrosia sogar erste Kliniken in den USA eröffnet.
"Wir behandeln ganz unterschiedliche Patienten", erzählt Jesse Karmazin. "Solche, die eine ernsthafte Erkrankung haben, wie Alzheimer. Andere sind gesund und wollen nur länger gesund bleiben, gesünder aussehen, länger leben oder sich besser fühlen."
Im vergangenen Jahr stellt Jesse Karmazin Teilergebnisse seiner Studie vor, zumindest auf Konferenzen, die Veröffentlichung in einem Fachjournal wurde aber erst einmal für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Warum junges Plasma zum Jungbrunnen für den Organismus Mensch wird, ist für Jesse Karmazin auch zweitrangig. Denn während andere noch forschen, könne er schon Menschen behandeln:
"Um ehrlich zu sein, wissenschaftlich ist das Problem schwer zu verstehen. Aber glücklicherweise haben wir ein Produkt und können Menschen damit gut behandeln. Wir wissen genug, um Patienten zu behandeln, aber es ist sehr schwierig zu sagen, warum das genau funktioniert."
Solche Versprechen ohne eindeutige Beweise würden mich nicht überzeugen, mir einen Tropf mit jungem Plasma in die Venen legen zu lassen. Auch körperlich macht das Alter mir noch nicht zu schaffen. Sicher wäre es anders, wenn ich nicht 30, sondern 60 wäre, genug Geld und gesundheitliche Probleme hätte. Ich wäre anfälliger für solche Versprechen.

Unordnung in den Eiweißen

Den Alterungsprozess verlangsamen oder sogar aufhalten, um altersbedingte Erkrankungen wie Alzheimer oder Herzinfarkte zu verhindern. Das ist eine Idee, die auch den deutschen Stammzellenforscher Hartmut Geiger umtreibt. Und wenn es nach ihm geht, ist das Ganze nicht völlig unrealistisch:
"Wir von der biologischen Forschungsseite sind jetzt, glaube ich, auch an einem Punkt, wo wir sagen können: ‘Ja, es gäbe wohl Möglichkeiten, rein von der biologischen Seite, dass es wirklich auch so sein könnte, dass Alterung nicht unumkehrbar ist.’ Bis vor zehn Jahren hätte ich mir selbst den Vogel gezeigt und gesagt: ‘Nee, nee, nee’."
Geiger ist Direktor des Instituts für molekulare Medizin an der Universität Ulm. Altern als eine Krankheit anzusehen, diesem Gedanken kann Geiger durchaus etwas abgewinnen.
"Alzheimer ist und bleibt eine alters-assoziierte Erkrankung und ich würde auch darauf wetten, dass die Vorgänge auf Zellebene und molekularer Ebene, die zur Alterung führen, unabhängig von Alzheimer, sicher auch zu Entstehung von Alzheimer beitragen."
Er betont, dass es mehrere Theorien dazu gibt, wie der Körper altert und warum die Zellen ihre Funktion mit der Zeit ändern. Er hat sich auf eine dieser Theorien spezialisiert:
"Ein großer Faktor bei der Alterung von Stammzellen scheint wohl zu sein, dass die Stammzellen ihre innere Ordnung - die Proteine, also die Eiweiße, wie sie geordnet sind - nicht mehr so gut etablieren können. Das heißt, die werden einfach unordentlich. Das ist wie mein Schreibtisch hier manchmal."

Woran erkennt man, dass jemand jünger wird?

Er deutet auf den Blätterstapel neben ihm. Die Unordnung ließe sich allerdings aufräumen - sowohl in seinem Büro als auch bei Stammzellen. Der Ordner im Stammzellen-Chaos könnte ein Medikament sein, das bei Mäusen schon erste positive Ergebnisse gezeigt hat. Beim Menschen laufen nun die ersten Studien an. Geiger hat aber auch die Forschung rund um junges Blut über die Jahre im Blick behalten. Die positiven Effekte beim Transfer vom Plasma junger Menschen kann sich der deutsche Forscher nur über Umwege erklären:
"Eine Grundaussage ist momentan wahrscheinlich, dass es nicht darum geht, dass das junge Plasma die Menschen jünger macht, sondern dass das junge Plasma schädliche Faktoren einfach verdünnt, die im alten Plasma vorhanden sind."
Und dann gibt es in der Altersforschung noch eine ganz entscheidende Frage:
"Woran messen sie denn, dass Menschen, die so eine Therapie unterlaufen oder bekommen, jünger geworden sind? Daran beißen sich momentan alle noch die Zähne aus."

Die Blutkur muss man sich leisten können

Momentan gibt es nur wenige verlässliche Parameter, die überhaupt das Alter eines Menschen messen lassen. Also selbst wenn die Therapie von "Ambrosia" Menschen verjüngen kann, nachweisen lässt sich das mit expliziten Biomarkern im Blut noch lange nicht. Deshalb ist Hartmut Geiger auch leicht skeptisch, wenn es um das vermeintliche Wunderheilmittel des US-Startups geht. Erst recht, wenn er auf den Preis der Behandlung schaut:
"Oh, jetzt bin ich mal ganz einfach. Eine normale Bluttransfusion kostet, was weiß ich, in der Größenordnung von 1.000 Dollar oder 1.000 Euro. Ambrosia macht das jetzt für 8.000 Dollar oder 8.000 Euro. So zumindest auf der Webseite. Und es ist genau das gleiche Verfahren. Ich denke, das ist einfach die treibende Kraft hinter dem System, wie auch bei vielen Firmen. Ich denke, man muss sich das einfach als Geschäft vorstellen. Punkt."
Leisten kann sich die Behandlung bei Ambrosia aber nicht jeder. Selbst Unternehmensgründer Jesse Karmazin gibt zu, dass seine Behandlung in Zukunft auch nicht für jeden bezahlbar sein wird. Ohne die Universität, ohne staatliche Fördergelder ist das Startup auf Investorengeld und Profite angewiesen. Um frisches Geld zu bekommen, würden solche Unternehmen nicht immer sorgfältig genug mit der Grundlagenforschung umgehen, meint Hartmut Geiger.
"Es gibt ein paar Nachteile bei denen. Dass die Ergebnisse relativ früh in die Klinik umgesetzt werden oder vermarktet werden. Manchmal sind die noch nicht so weit, dass die Forschungsergebnisse die voll unterstützen würden. Und wenn es dann nicht klappt, dann heißt es immer: ’Jajaja, die Forschung, die hat nicht gut gearbeitet.’ Dann wird wieder verbrannte Erde hinterlassen im Feld."

Unsterblichkeit ist nicht das Ziel

Das heißt: Wenn ein Start-up scheitert und unrealistische Erwartungen aufgebaut hat, gibt es einen negativen Effekt auf alle, die einen ähnlichen Forschungsansatz haben - auch an den Universitäten. Die Start-ups im Bereich der Altersforschung und ihre Produkte stehen aber auch unter besonders viel Druck, sagt Martin Denzel vom Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns:
"Man darf die kleinen Pharmaunternehmen und Start-ups nicht unterschätzen. Was die machen, ist wirklich sehr wichtig. Und letztlich sind sie es, die Medikamente produzieren wollen, die dann von Menschen eingenommen werden sollen. Damit tragen die noch viel mehr Verantwortung als wir in der Grundlagenforschung."
Der Humanbiologe Denzel untersucht an kleinsten Lebewesen, wie diese altern. Er forscht mit einer Sorte von Fadenwurm, der quasi als Modell dient. Der Alterungsprozess beim kleinen Fadenwurm könnte helfen, die große Frage zu beantworten, wie überhaupt ein Mensch altert:
"C. elegans ist auch sehr gut dafür geeignet als Modellorganismus für Altersforschung, denn die werden ungefähr nur drei Wochen alt. Das heißt man kann tatsächlich sehr einfach demographische Überlebensstudien durchführen. Und was wir uns im Labor fragen, ist, ob in diesen Tieren neue Gene finden können oder neue Gen-Varianten, die die Lebensrate von den Tieren verlängern."
Das könnte helfen, Gene zu entdecken, die auch beim Menschen für das Altern zuständig sind. Denzel und Kollegen geht es dabei erst einmal um das gesunde Altern. Ein erstrebenswerter Zustand, da sind sich sowohl Martin Denzel, als auch der Stammzellenforscher Hartmut Geiger einig. Deshalb kann Geiger nur schmunzeln, wenn es um die Idee vom unendlichen Leben geht, so ganz ohne Alterungsprozess.
"Neeneeneenee, unser Ziel ist sicher nicht unendliches Leben. Unser Ziel ist primär, dass die Menschen letzten Endes gesund alt werden können. Hilft ihnen ja auch nichts, wenn sie 120 Jahre werden, aber trotzdem ab 80 irgendwelche altersassoziierte Erkrankungen mit sich rumtragen. Das macht auch keinen glücklich."

Klischees über das Alter

Also besser bis zum Lebensende gesund altern? Aber was bedeutet das genau? Diese Frage beschäftigt Medizinethiker Hans-Jörg Ehni:
"Ich glaube, es ist zu einfach zu sagen, für alle Menschen müssen die gleichen Dinge dazu gehören, damit sie selber denken, sie altern gut und erfolgreich oder sie erleben eine Lebensphase, die gut ist."
Ehni verfolgt, wie mit dem Altern in der Fachliteratur umgegangen wird. Und er unterhält sich mit Experten, aber auch mit jungen und alten Menschen übers Altern. Dabei fällt ihm immer wieder auf, dass es in dem Bereich viele Klischees gibt:
"Dass ältere Menschen unflexibel sind, nichts mehr Neues dazu lernen, dass die unglücklich sind, mürrisch, geizig, auch missgünstig."
Die Jugend würde glorifiziert, das Alter verteufelt. Das beginnt im Alltag und setzt sich fort bis zu den Unternehmen und Startups, die vermeintliche Lösungen für das "Problem" Altern anbieten. Der Medizinethiker Ehni findet , "dass die Vorstellung, dass das Alter eine Tragödie ist, zu negativ ist und dass wir davon wegkommen, den demografischen Wandel und die Tatsache, dass es mehr Ältere in der Gesellschaft gibt, als Herausforderung nur zu sehen oder gar als Katastrophe, wie das oft passiert."

Auch ohne Bluttransfusion glücklich im Alter

Altern muss jeder. Auch ich, das haben mich meine Freunde zum dreißigsten Geburtstag nicht vergessen lassen. Aber das Alter und das Altwerden muss kein Fluch sein. Daran erinnert mich auch Walter, der trotz Alzheimer zufrieden ist:
"Angemessen daran, wie alt ich bin - 84, ich werde jetzt im Juli - geht es mir hervorragend. Wenn ich weiß, wie andere Menschen in diesem Alter dran sind."
Walter und Luise brauchen keine 8.000 Euro Plasmatransfusion, um jung zu bleiben. Sie haben ihr eigenes Rezept, um sich jung und fit zu halten, trotz aller Widrigkeiten:
"Ich bräuchte zum Beispiel nicht kochen. Wir können das Essen bestellen. Aber das mag ich nicht. Ich mag mein eigenes Essen lieber und außerdem finde ich gut, dass ich auch den ganzen Betrieb habe. Es hält fit. Man muss organisieren, man muss überlegen, was gibt es nicht mehr, was muss ich einkaufen und so weiter. Und das ist einfach gut."

Alzheimer muss keine Katastrophe sein

Für sie ist das Alter und die Alzheimer-Erkrankung von Walter keine Katastrophe, die alles dominiert: "Was ich ganz toll finde von meinem Mann und worüber ich auch sehr dankbar bin: dass er so offen darüber sprechen kann. Ich bin in einer Selbsthilfegruppe von der Alzheimergesellschaft. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass ich dauernd aufpassen muss, von ‘Oh ja, das darf ich jetzt nicht sagen oder das darf ich jetzt nicht tun’. Denn die meisten Partner von diesen Teilnehmern, die wollen davon nichts wissen."
"Die wollen es nicht wahrhaben", ergänzt Walter. "Die wollen vor allen Dingen, dass andere Menschen das nicht merken. Aber das ist kindisch. Was soll das denn? Wenn es mal de facto ist, da hat es keinen Zweck, das verstecken zu wollen."

Man muss sich mit dem Alter arrangieren

Das Alter und die damit verbundenen Krankheiten leugnen, hat also keinen Zweck. Das Romantisieren des Alters bringt mich nicht voran. Und trotzdem machen mir Walter und Luise Mut - mit ihrem Willen, den Rest ihres Lebens, trotz Krankheit, zusammen zu verbringen. Noch ist unsere Lebenszeit begrenzt und wir müssen uns überlegen, wie wir die nutzen wollen.
Dennoch sind wir alle dem Alter nicht völlig hilflos ausgesetzt. Ich habe mich im Fitnessstudio angemeldet und versuche weniger Süßkram zu essen. Mein kleiner Beitrag zum großen Ganzen. Start-ups wie "neotiv" mit ihrer Alzheimerforschung und "Ambrosia" mit ihrer Alternsforschung leisten ihren Teil zur Gesellschaft - mehr oder weniger.
Am Ende ist die entscheidende Frage, die sich jeder Mensch stellen sollte: Haben Sie Angst vor dem Altwerden?
"Ich bin jeden Tag unglaublich dankbar, dass es mir noch so gut geht", antwortet Walter. "Aber das hab ich auch natürlich zu starken Anteilen meiner lieben Frau zu verdanken."
(leicht bearbeitete Online-Version,thg)
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