Altes und neues Südafrika

Rezensiert von Katharina Döbler |
"Vrystaat" nennen die weißen Bewohner ihre Heimatprovinz im Herzen Südafrikas - nicht "Free State". Vrystaat ist burisches Kernland. Dort, in der Kleinstadt Excelsior und in der dazugehörigen Schwarzensiedlung Mahlatswetsa, spielt der Roman "Die Madonna von Excelsior" des südafrikanischen Schriftstellers Zakes Mda. Die Geschichte beginnt in den 1970er Jahren und beruht auf wahren Ereignissen.
Was für ein schönes und seltsames Buch! Ein Roman aus Südafrika mit einer Madonna im Titel: Da hätte man eine politisch korrekte Passionsgeschichte erwartet, etwas sehr Exotisches und irgendwie tragisch Überhöhtes. Aber überhöht ist hier gar nichts, und auch das Exotische erschöpft sich in der Schilderung alltäglicher Lebensumstände, die wir nicht kennen. Aber das Übrige, aus dem Zakes Mdas Roman "Die Madonna von Excelsior" besteht, das kennen wir: menschliche Unzulänglichkeiten, Träume, Hoffnungen, Scheitern, Wut, Einsamkeit und Schrullen.

Um das Jahr 1970 wurden in der Provinz Free State, dem burischen Kernland Südafrikas, fünf weiße Männer und 14 schwarze Frauen wegen Verstoßes gegen das Gesetz gegen die Unmoral vor Gericht gestellt. Wobei mit Unmoral sexuelle Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen gemeint sind. Die angeklagten Männer waren Honoratioren der Kleinstadt Excelsior, darunter der Pfarrer und ein Ex-Bürgermeister, Galionsfiguren des Afrikaandertums mit seinem rassistischen Sendungsbewusstsein. Die Frauen waren junge Hausangestellte, die Mischlingskinder zur Welt gebracht hatten. Diese böse und in Grundzügen authentische Geschichte nahm der renommierte südafrikanische Autor und Dramatiker Zanemvula Kizita Gatyeni Mda, genannt Zakes Mda, zum Anlass, fiktive Lebensgeschichten von den Beteiligten zu entwickeln und bis in die Gegenwart hinein fortzuspinnen.

Die Hauptfigur des Romans ist die keineswegs heilige Niki, die mit ihrem hellhäutigen Mädchen einem katholischen Pater als "Madonna von Excelsior" für seine sinnlichen und expressionistisch inspirierten Madonnendarstellungen Modell sitzt. Jedes Kapitel des Romans beginnt mit der knappen Schilderung eines Gemäldes von Pater Claerhout. Es sind Bilder von wahnwitziger Farbigkeit, und auch die Menschen darauf sind farbig: schwarz, gelb, braun, siena. Farbig, das war auch die offizielle Bezeichnung für die Kinder der afrikanischen Mütter und burischen Väter, Kinder, die zu den Schwarzen gezählt, aber von diesen oft nicht akzeptiert wurden. Nikis Tochter Popi hadert mit ihrem glatten Haar und ihrer hellen Haut und lernt erst lange nach dem Ende der Apartheid und mitten in einem sich neu entwickelnden schwarzen Rassismus, sich selbst zu akzeptieren. Ihr weißer Vater hatte nach der Anklage Selbstmord begangen. Und ihre Mutter, die sich auf die Affäre mit dem Mann ihrer verhassten Arbeitgeberin aus Rache und für Geld eingelassen hatte, lebt seither zurückgezogen und nur für ihre Kinder.

Mda erzählt von der Zeit des politischen Wandels und von den privaten wie politischen Beziehungen der weißen und der schwarzen Bewohner Excelsiors, die sich, wie in einer Kleinstadt nicht anders zu erwarten, untrennbar miteinander vermischen. Popis schwarzer Halbbruder, Untergrundkämpfer, politischer Gefangener und schließlich erster schwarzer Bürgermeister, sitzt im Gemeinderat ihrem weißen Halbbruder, einem rechtsradikalen Afrikaander, gegenüber. Mda stilisiert die Opfergestalten nicht, ebenso wenig wie er Täter dämonisiert: auch unter den Freiheitskämpfern gibt es Opportunisten und das Volk, ob schwarz oder weiß, läuft dem nach, der am meisten Vorteile verspricht. Er zeigt die Figuren in ihrer Umgebung und deren Ideologien, befangen in Dummheit und Vorurteil, getrieben von Habgier und Sehnsucht, Wut und sexuellem Verlangen, jedoch begabt mit der Fähigkeit zur Einsicht oder zumindest zur Anpassung.

Zakes Mda ist ein Roman von brisanter und dabei fast heiterer Illusionslosigkeit gelungen, der Einblick gewährt in ein Land, das uns so fremd nun doch nicht ist.

Zakes Mda, Die Madonna von Excelsior. Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Unionsverlag, Zürich 2005. 316 S., 18,- €