Altes Genre mit Zukunft
Von Opernkritikern fast unbemerkt rückt an den deutschen Opernbühnen Musiktheater für Kinder immer stärker in den Mittelpunkt. "Pinocchio" an der Komischen Oper Berlin oder "Schaf" an der Jungen Oper Mannheim bietet hohen künstlerischen Anspruch - ohne pädagogischen Zeigefinger.
Im Sprechtheater für Kinder wird schon seit Jahrzehnten nach Stoffen gesucht, die nah an der Wirklichkeit von Kindern sind und sich mit ihrem Blick auf die Welt auseinandersetzen. Die Opernhäuser ihrerseits boten zwar immer schon pädagogische Veranstaltungen an – jedoch für Werke, in denen am Blickwinkel von Kindern zunächst einmal gnadenlos vorbeigesungen wurde. Parallel hielt sich die Überzeugung, dass man große, auch avancierte Kunst eben nur für Große machen könne. Neues, extra komponiertes Kindermusiktheater fand höchstens in Theaterfoyers und an Off-Bühnen statt. Doch genau das ändert sich mehr und mehr.
Zum Beispiel an der Komischen Oper Berlin. Kinderopern haben hier mittlerweile einen so hohen Stellenwert, dass sie als Abendvorstellung auf der großen Bühne stattfinden. In der deutschen Erstaufführung der Oper "Pinocchio" bevölkern Kinder die Szene, kostümiert als Insekten, Fische und Tortenstücke. Vor sechs Jahren wurde der Kinderchor erheblich vergrößert und erhielt eine ganz neue Funktion. Nun übernehmen Acht- bis Vierzehnjährige, unter professioneller Anleitung, immer häufiger wichtige Rollen, und zwar in Opern, die extra für Kinder geschrieben sind. "Pinocchio" spielt in einer riesigen blauen Holzkommode, welche die Heimat der Marionette symbolisiert und gleichzeitig dem Brechtschen Konzept eines "Theaters im Theater" folgt. Die holländische Regisseurin Jetske Mijnssen erläutert, wie es zu dem Konzept kam.
Die Oper "Pinocchio" behandelt ein für Kinder gehaltvolles Thema: das des Erwachsenwerdens und des Übernehmens von Verantwortung. Und doch kommt die zauberische Welt der blauen Fee völlig ohne den berüchtigten pädagogischen Zeigefinger aus.
Szenenwechsel: In Mannheim hat Kindermusiktheater in dieser Saison eine eigene Spielstätte bekommen. Das erste Stück, das die Junge Oper Mannheim auf die Bühne bringt, heißt nach seiner Hauptfigur: Schaf.
Schaf hat keinen Namen. Das ist bei Schafen in einer großen Herde eigentlich auch kein Problem, aber Schaf hat mit dem Prinzen Lorenzo einen Freund gefunden, und ohne Namen wird Lorenzo Schaf unter all den anderen Schafen nicht wieder finden. Die Suche nach Individualität, nach Unverwechselbarkeit ist ebenfalls kein einfaches Thema, aber eines, mit dem sich Kinder zweifellos auseinandersetzen. Daneben ist das Stück "Schaf" auch ein kleines Opernexperiment: ein Kinderstück mit Barockmusik. Arien von Händel und Monteverdi werden neu getextet, und so entsteht eine bisher unbekannte Form, in der episches Theater ironisch mit einem barocken Schäferspiel gekreuzt wird.
Von Musiklehrern wird Oper wieder verstärkt als Medium der Didaktik entdeckt, häufig angeregt durch die Opernhäuser. Ein Musiktheaterpädagoge wie Rainer O. Brinkmann von der Berliner Staatsoper kann sich in seinen Lehrerworkshops vor Anmeldungen aus dem gesamten Bundesgebiet kaum retten.
Die szenische Interpretation von Musiktheater, also: Opernfiguren im Schulunterricht durch Rollenspiele am eigenen Leib erfahrbar zu machen, diese Methode steht seit kurzem in den schulischen Rahmenplänen etlicher Bundesländer. Allerdings wurde Oper von Lehrern bisher oft mit spitzen Fingern angefasst: zu elitär, zu bürgerlich, für Schüler nicht cool genug. Doch häufig ist es die Coolness, die vielen Jugendlichen den Zugang zu ihrer emotionalen Welt verbaut. Das traditionelle Unterrichtsgespräch kann da wenig helfen – in der Oper dagegen kommt das Äußern von Gefühl bekanntlich nie zu kurz.
Sie können den vollständigen Beitrag mit den Interviewauszügen von Jetske Mijnssen und Rainer O. Brinkmann für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.
Zum Beispiel an der Komischen Oper Berlin. Kinderopern haben hier mittlerweile einen so hohen Stellenwert, dass sie als Abendvorstellung auf der großen Bühne stattfinden. In der deutschen Erstaufführung der Oper "Pinocchio" bevölkern Kinder die Szene, kostümiert als Insekten, Fische und Tortenstücke. Vor sechs Jahren wurde der Kinderchor erheblich vergrößert und erhielt eine ganz neue Funktion. Nun übernehmen Acht- bis Vierzehnjährige, unter professioneller Anleitung, immer häufiger wichtige Rollen, und zwar in Opern, die extra für Kinder geschrieben sind. "Pinocchio" spielt in einer riesigen blauen Holzkommode, welche die Heimat der Marionette symbolisiert und gleichzeitig dem Brechtschen Konzept eines "Theaters im Theater" folgt. Die holländische Regisseurin Jetske Mijnssen erläutert, wie es zu dem Konzept kam.
Die Oper "Pinocchio" behandelt ein für Kinder gehaltvolles Thema: das des Erwachsenwerdens und des Übernehmens von Verantwortung. Und doch kommt die zauberische Welt der blauen Fee völlig ohne den berüchtigten pädagogischen Zeigefinger aus.
Szenenwechsel: In Mannheim hat Kindermusiktheater in dieser Saison eine eigene Spielstätte bekommen. Das erste Stück, das die Junge Oper Mannheim auf die Bühne bringt, heißt nach seiner Hauptfigur: Schaf.
Schaf hat keinen Namen. Das ist bei Schafen in einer großen Herde eigentlich auch kein Problem, aber Schaf hat mit dem Prinzen Lorenzo einen Freund gefunden, und ohne Namen wird Lorenzo Schaf unter all den anderen Schafen nicht wieder finden. Die Suche nach Individualität, nach Unverwechselbarkeit ist ebenfalls kein einfaches Thema, aber eines, mit dem sich Kinder zweifellos auseinandersetzen. Daneben ist das Stück "Schaf" auch ein kleines Opernexperiment: ein Kinderstück mit Barockmusik. Arien von Händel und Monteverdi werden neu getextet, und so entsteht eine bisher unbekannte Form, in der episches Theater ironisch mit einem barocken Schäferspiel gekreuzt wird.
Von Musiklehrern wird Oper wieder verstärkt als Medium der Didaktik entdeckt, häufig angeregt durch die Opernhäuser. Ein Musiktheaterpädagoge wie Rainer O. Brinkmann von der Berliner Staatsoper kann sich in seinen Lehrerworkshops vor Anmeldungen aus dem gesamten Bundesgebiet kaum retten.
Die szenische Interpretation von Musiktheater, also: Opernfiguren im Schulunterricht durch Rollenspiele am eigenen Leib erfahrbar zu machen, diese Methode steht seit kurzem in den schulischen Rahmenplänen etlicher Bundesländer. Allerdings wurde Oper von Lehrern bisher oft mit spitzen Fingern angefasst: zu elitär, zu bürgerlich, für Schüler nicht cool genug. Doch häufig ist es die Coolness, die vielen Jugendlichen den Zugang zu ihrer emotionalen Welt verbaut. Das traditionelle Unterrichtsgespräch kann da wenig helfen – in der Oper dagegen kommt das Äußern von Gefühl bekanntlich nie zu kurz.
Sie können den vollständigen Beitrag mit den Interviewauszügen von Jetske Mijnssen und Rainer O. Brinkmann für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.