Altern ist ein Privileg

Schluss mit der Altersdiskriminierung!

Zwei ältere Besucher genießen die Sonne auf einem Aussichtspunkt am Concordiasee
Alt zu werden ist ein Privileg - es hat mit Wohlstand zu tun, und mit einem Leben mit Waschmaschine und Fachärzten, meint Anne Backhaus. © picture alliance / dpa / Matthias Bein
Ein Kommentar von Anne Backhaus · 07.11.2023
Die Lebenserwartung in der Bundesrepublik hat sich in den vergangenen 150 Jahren ungefähr verdoppelt. Eine gesellschaftliche Herausforderung, der wir uns noch nicht wirklich stellen, meint Anne Backhaus. Notwendig sei ein gesellschaftliches Umdenken.
Registrierung bei einer Carsharing-App. Führerschein fotografiert, hochgeladen, fertig. Nein, nicht ganz. Die App will mein Gesicht aufnehmen. Ok, sogar nettes Bild geworden. Kann ich jetzt losfahren? Nein. Auch nach drei weiteren Versuchen nicht. Stattdessen die Warnung, dass ich nicht so aussehe wie auf meinem Führerschein. Damals, mit siebzehneinhalb. Jetzt bin ich 41. Ich lösche die blöde App und rufe ein Taxi.
Es wäre gruselig, würde ich heute wie auf meinem Führerschein aussehen. So jung, unbiometrisch und schwarzweiß. Trotzdem braucht es ein paar Tage, bis ich anderen von dem Erlebnis erzähle. Es ist mir peinlich. Der Grund: das Alter.

Die Angst vor dem Alter

„Altern, das ist ein schmutziges Wort“, sagte die Schauspielerin Helena Bonham Carter kürzlich in einem BBC-Interview. „Und es ist mit Scham verbunden.“ Sie ist 57, eine der erfolgreichsten, der coolsten Schauspielerinnen unserer Zeit. Sie also auch. Alt zu sein, das ist vielen peinlich. Die damit verbundene Scham geht weit über die Sorge um das Aussehen hinaus. Klar, die Schönheitsindustrie lebt vom Jugendwahn, ist ein Milliarden-Markt. Doch den gäbe es nicht, wenn nur ein paar Falten mit Creme gefüllt werden müssten.

Die Angst vor dem Alter, sie sitzt kreidebleich auf einem Gedanken: Nicht mehr gewollt zu sein. Unattraktiv, klapprig, senil, unnütz. Mit Rollator im Bus anstatt mit Sonnenbrille im Mietwagen. Age Shaming anstatt Carsharing.

Altern - nicht nur etwas, das uns passiert

Kein Wunder, dass es diese Angst gibt. Frauen erzählen wir beharrlich, dass sie ab 40 nicht mehr gesehen werden und schicken bald jede dritte mit der Rente in die Altersarmut. Nicht mal Männer können sich noch über ihre grauen Schläfen, die Ähnlichkeit mit James Bond freuen. Den „alten, weißen Mann“ braucht niemand mehr. Und einige fürchten, bald als einer gelesen zu werden – weil sie alt werden, nicht weil sie je so drauf waren.
Altern ist nicht nur etwas, das uns passiert. Das wir ja eigentlich wollen. Es ist verbunden mit einer Vorstellung von uns als Person im Alter. Momentan häufig einer, die weit entfernt von Begriffen wie Weisheit oder Respekt versucht, nicht ihre Stirn zu runzeln.

Alt werden ist ein Privileg

Wir nennen Ansichten veraltet, sortieren Menschen zum alten Eisen. Verbinden sprachlich Negatives mit dem Alter. Wer „Alters“ bei Google eintippt, dem werden so sexy Ergänzungen wie -vorsorge, -warzen, -schwäche vorgeschlagen. Nichts mit Altersfreuden jedenfalls. Dabei ist alt zu werden ein Privileg. Es hat mit Wohlstand zu tun - oft einem Leben mit Waschmaschine und Fachärzten. Für die nun alt werdenden Generationen in Deutschland mit einem Leben ohne Krieg.
Die Lebenserwartung in der Bundesrepublik hat sich in den vergangenen 150 Jahren ungefähr verdoppelt. Es werden immer mehr Menschen immer älter. Eine gesellschaftliche Herausforderung, der wir uns noch nicht wirklich stellen. Bei der uns mit Diskriminierung aber nicht geholfen ist. Beruht die doch immer „auf gesellschaftlichen Klischees. Nicht auf einem rationalen Prinzip“, so Martha Nussbaum in ihrem Buch „Älter werden“. Eine Abwertung der Alten nennt die Autorin „moralisch abstoßend“.

Gesellschaftliches Umdenken ist nötig

Welche Auswirkungen das haben kann, hat die Yale-Psychologin Becca Levy in diversen Studien herausgefunden. Darin zeigt sie, dass Altersdiskriminierung und verinnerlichte, negative Stereotype das Leben eines Menschen um Jahre verkürzen können. Unter anderem, weil das Risiko für Angstzustände und Depressionen, für Schlaganfälle und Herzinfarkte steige. Was wir denken, über andere ­ und uns selbst, das macht bereits einen großen Unterschied.
Es lohnt, gemeinsam über die blöde Carsharing-App zu lachen. Sich gegenseitig bewusst zu machen, welchem Altersstress wir uns unnötig aussetzen. Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken, denn jünger werden wir ja alle nicht.

Anne Backhaus, 1982, ist freie Autorin und Reporterin aus Hamburg. Ihr Schwerpunkt sind Reportagen und Interviews mit gesellschaftspolitischen und kulturellen Themen, die sie für u.a. "Die Zeit", "Zeit Magazin", "Süddeutsche Zeitung" und "Der Spiegel" schreibt. Außerdem unterrichtet sie an Journalistenschulen und der Akademie für Publizistik. Backhaus wurde für diverse Medienpreise nominiert und von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für den besten Tageszeitungstext des Jahres 2017 ausgezeichnet.

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