Alternative Wege zum Frieden

Ron Leshem u. Hamed Eshrat im Gespräch mit Ulrike Timm |
Der zwischenstaatliche Dialog zwischen dem Iran und Israel erschöpft sich in Drohgebärden. Doch über die Grenzen hinweg, vor allem mit Hilfe des Internets, haben sich Menschen gefunden, die die Sprachlosigkeit überwinden wollen. Ron Leshem und Hamed Eshrat sind zwei von ihnen.
Ulrike Timm: Wie spricht man miteinander, wenn man sich eigentlich nicht mal kennen darf? Die Jüdischen Kulturtage in Berlin öffnen ihr Podium heute Abend für zwei junge Künstler, den israelischen Schriftsteller Ron Leshem und den aus dem Iran stammenden Zeichner Hamed Eshrat, um zu erfahren, was junge Menschen wirklich bewegt, jenseits des Säbelrasselns ihrer Regierungen.

Irans Präsident Ahmadinedschad spricht Israel bekanntlich jedes Existenzrecht ab, jede Woche tut er kund, dass er den Staat Israel auch physisch auslöschen möchte. Und die israelische Regierung probt gedanklich offensiv den Erstschlag, um einer Vernichtung durch den Nachbarn zuvorzukommen. So weit die offizielle politische und komplett verhärtete Linie beider Staaten.

Vor diesem Untergangsszenario hat Ron Leshem, der israelische Schriftsteller, im vergangenen Jahr ein viel beachtetes Buch geschrieben, das in Teheran spielt, im Untergrund des Feindeslandes, das von jungen Leuten in Iran handelt, die sich am Iran reiben. Die Recherche dazu ergab sich vollständig durchs Internet. Leshem hat den Iran nie betreten und auch nie betreten dürfen, denn kennenlernen würde er das Land wohl ganz gern.

Hamed Eshrat lebt seit zwei Jahrzehnten in Deutschland und doch beschäftigen ihn immer wieder seine iranischen Wurzeln. Iran ist sein Heimatland, mit dem er sich als Karikaturist und Comiczeichner auseinandersetzt. Und jetzt sind beide hier. Ron Leshem aus Israel und Hamed Eshrat, gebürtiger Iraner. Ich grüße Sie!

Ron Leshem: Hallo.

Hamed Eshrat: Hi.

Timm: Ron Leshem, Sie haben viel Aufsehen erregt mit Ihrem Buch "Der geheime Basar". Es spielt im Iran und erzählt von jungen Menschen, die sich am Iran reiben. Sie waren nie da. Wie ist das Buch entstanden?

Leshem: Also, als Erstes ging es mir erst einmal um die Gemeinsamkeiten zwischen Tel Aviv und Teheran, weil ich glaube, da bestehen eine ganze Menge, und dann ist es auch so, ich habe dieses Buch zusammen mit meinen neuen iranischen Freunden geschrieben, die ich kennengelernt habe, die mir auch sehr geholfen haben bei diesem Buch. Und so hatte ich schon das Gefühl, auch dieses Buch als Insider schreiben zu können.

Timm: Wir müssen das ergänzen. Sie haben diese Freunde alle ausschließlich übers Internet gefunden. Geht das, Freunde übers Internet finden, und hätten Sie sich nicht auch ein weniger hermetisches arabisches Land aussuchen können als Israeli, zum Beispiel Ägypten?

Leshem: Also ich habe gute Freunde in Kairo und auch aus dem Gazastreifen, die darf ich auch treffen, die treffe ich auch. Und mein iranisches Abenteuer begann eigentlich als ein Experiment. Ich habe zu den frühen Zeiten von Facebook einfach herausfinden wollen, hassen uns Iraner wirklich? Und habe einfach einhundert Iraner angeschrieben und gefragt, ob sie meine Freunde werden wollen. Und hatte plötzlich einhundert iranische Freunde. Und drei von ihnen habe ich dann näher kennengelernt, mit denen habe ich mich dann wirklich befreundet. Die habe ich dann auch im Ausland getroffen. Also die habe ich dann auch leibhaftig kennengelernt.

Timm: Jetzt wollen Sie heute Abend in Berlin auf dem Podium gemeinsam einen Dialog führen, der den Staatschefs beider Länder ja auch offensichtlich nicht mehr möglich ist. Mich würde ganz schlicht interessieren, Hamed Eshrat, vielleicht machen Sie den Anfang, was wollen Sie heute Abend konkret erzählen, worüber wollen Sie sich unterhalten? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie den ganzen Abend nur erzählen wollen, es wäre schön, es gäbe Frieden. Das wissen wir alle.

Eshrat: Also mich würde vor allem interessieren, welchen Weg man alternativ finden könnte, um zum Beispiel diesen friedlichen Weg zu gehen. Also wie erreicht man das, dass das Land sich von innen heraus quasi letztendlich heilt.

Leshem: Also was ich eben so faszinierend finde an dieser jungen Generation im Iran, die sozusagen selbst in eine Form des Untergrundes geht, ist ja, dass an der Oberfläche all das, was verboten ist, wird ja dann im Geheimen doch irgendwie ausgelebt, und das ist für mich als Künstler natürlich sehr attraktiv, das hat ja auch eine romantische Dimension. Was uns beide hier verbindet, ist, wir kommen aus Staaten, die teilweise wie Irrenanstalten wirken. Und das ist natürlich schwer, damit umzugehen, im Leben aber, als Künstler, ist es natürlich wie das Paradies. Man kann natürlich unglaublich viel kreative Kraft daraus schöpfen.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton. Wir sprechen mit dem israelischen Schriftsteller Ron Leshem und mit dem aus dem Iran stammenden Zeichner Hamed Eshrat. Die wollen bei den jüdischen Kulturtagen im Kleinen, auf persönlicher Ebene anstoßen, was auf großer, politischer Ebene unmöglich ist, nämlich einen israelisch-iranischen Dialog. All das in Deutschland bei den Jüdischen Kulturtagen – ist diese Situation nicht allzu künstlich, als dass sie gelingen könnte?

Leshem: Ja, warum denn nicht? Also das, was mich an Deutschland fasziniert, ist, dass man hier wirklich auch über Kultur reden kann. Das ist nicht überall in Europa so. Und ich empfinde es auch wirklich ein Geschenk, dass ich mich hier auch zur Kultur äußern darf, und nicht immer gleich über ganz aktuelle politische Ereignisse reden muss, wie das in sehr vielen anderen Ländern der Fall ist. Ich bin jetzt das zehnte Mal in Berlin, habe hier beide Romane vorgestellt und habe es immer als sehr bereichernd empfunden, auch über Kultur hier zu reden und in den Dialog eintreten zu können. Und das Schöne daran ist, am Ende solcher Veranstaltungen hat man dann neue Leute kennengelernt, hat Freunde gefunden und bleibt mit ihnen in Kontakt.

Timm: Spinnen wir doch mal! Ron Leshem, Sie haben Ihre iranischen Freunde, die praktisch taktgebend waren für Ihr Buch, das im Iran spielt, außerhalb Israels. Sie haben es auf neutralem Boden, haben Sie sich dann wirklich mit ihnen getroffen. Wenn Sie beide nach dem Termin in Berlin sagten, wir sind jetzt gut befreundet, ich möchte gern, dass Hamed Eshrat mich in Israel besucht, wir fahren da zusammen hin, nehmen das gleiche Flugzeug. Wie wäre das in Israel, wie wäre das dann auch, wenn Sie sagten, wir fliegen jetzt gemeinsam nach Teheran. Ich vermute, Sie würden sich nicht trauen, aber welche Reaktionen würde das auslösen, wenn Sie das versuchten, durchzusetzen? Ich will jetzt mit ihm zusammen mir Tel Aviv angucken oder Jerusalem.

Leshem: Also ich würde es lieben, wenn er mich in Israel, in Tel Aviv besuchen würde. Tel Aviv ist eine wunderbare Stadt, wir könnten da zusammen an den Strand gehen. Es ist eben auch eine sehr säkulare Stadt, gar keine religiöse Stadt. Und bei Jerusalem, da ist es einfach so, historisch gesehen ist es auch eine ganz wunderbare Stadt, aber leider ist es unerträglich, heute dort zu leben, weil dort die Religiösen, weil dort die Extremisten die Oberhand gewonnen haben. Und das ist nicht nur irritierend, sondern es ist auch wirklich gewalttätig in Jerusalem geworden. Also ehrlich gesagt, ich schäme mich richtig dafür und ich finde, die Stadt ist für uns leider verloren gegangen. Und was eine Reise nach Teheran anbelangt, das ist einfach technisch unmöglich. Ich habe kein Recht, nach Teheran zu reisen, man würde mich nicht einreisen lassen, aber ich hoffe, dass dieser Vorhang, diese Art eiserner Vorhang, der da zurzeit weht, eines Tages auch nicht mehr da sein wird.

Timm: Hamed Eshrad, für Ron Leshem war das Internet Ausgangspunkt für ein Buch. Ihr künstlerisches Ausdrucksmittel ist die Zeichnung. Und Sie leben seit über 20 Jahren in Deutschland, da ist Ihre Familie aus dem Iran geflohen. Ich unterstelle jetzt einfach mal, Sie kennen Deutschland wahrscheinlich sehr viel besser als den Iran, Sie gehören zu beidem. Wie ist das eigentlich, Sie haben aber ganz viele Zeichnungen gemacht, die sich auseinandergesetzt haben mit der Situation im Iran, Karikaturen, Comics – warum war das für Sie so wichtig, dieses Thema?

Eshrat: Ich denke, letztendlich ist es meine Art, mich mit meinen Wurzeln zu beschäftigen. Dadurch, dass ich ja mit sechs nach Deutschland gekommen bin, hatte ich nicht die Möglichkeit, mich mit der iranischen Geschichte so intensiv auseinanderzusetzen. Und diese Arbeit hat mir natürlich es ermöglicht, zu recherchieren, Hintergrundwissen anzusammeln und auch familiäre Themen ausfindig zu machen, die irgendwie im Unterbewusstsein untergegangen waren. Und einen eigenen Standpunkt auch zu finden.

Timm: Wissen Sie beide eigentlich noch von mehr Initiativen, von Menschen, die jenseits der politischen Ebenen versuchen, sagen wir mal vorsichtig, sich kennenzulernen, in Kontakt zu treten, müssen ja nicht gleich befreundet sein, aber von Menschen im Iran und in Israel, die sagen, wir haben Kinder, wir wollen alle friedlich leben, lasst uns in Ruhe mit eurem politischen Dauerbeschuss?

Eshrat: Ja, letztendlich ist das doch die Mehrheit. Die möchten eigentlich letztendlich alle ihrer Arbeit nachgehen und von solchen egozentrischen Leuten verschont bleiben, aber – also, in meiner Familie finden sich natürlich einige dieser Leute im Iran, und auf eine Art und Weise auch Leute hier.

Leshem: Also ich stimme einmal völlig mit Ihnen überein. Ich denke, es gibt wirklich sehr viele Initiativen. Das Problem mit dem Internet, dass immer nur – vieles ist dann einfach auch zu schnell, das geht dann einfach nicht tief genug. Es gab zum Beispiel über Facebook in Israel eine große Initiative, da hat man einfach allen Iranern immer geschrieben, "I love you", "Ich liebe euch", und nach einer Woche war das dann wieder vorbei. Da gab es dann wieder ein neues Thema, da hat man sich dann plötzlich für die Rechte von Hunden und Katzen oder andere Dinge interessiert.

Aber wenn ich jetzt zum Beispiel jetzt wieder auf mich zurückkomme, es geht immer um Wissen. Ich habe dieses Buch eben auch für mich geschrieben. Ich habe das auch gemacht, weil mich Orte interessieren, an die ich nicht gehen darf. Weil ich gern einmal ein Iraner wäre, oder gerne mal ein Soldat, aber das eine kann ich nicht sein, das andere durfte ich nicht. Aber es ist auch eine sehr private und sehr intime Reise letztendlich gewesen, die mich dazu veranlasst hat, dieses Buch hier zu schreiben. Und das ist ein Schrei gegen all das, was die Politiker uns vorkauen täglich.

Timm: Dann wünschen wir Ihnen, dass dieser Dialog eine Graswurzelbewegung in Gang setzt, und ja, könnten Sie eventuell, Ron Leshem, noch ein Buch schreiben und Hamed Eshrat das dann illustrieren?

Leshem: Ja, wir werden es versuchen, aber ich glaube, wir gehen dann einfach in den Dschungel nach Südamerika, und dieses Mal fliehen wir auch und machen etwas ganz Exotisches.

Timm: Dazu wünschen wir Ihnen allen beiden viel Erfolg! Hamed Eshrat, der iranischstämmige Zeichner, und Ron Leshem, der Schriftsteller waren zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur. Und das Buch von Ron Leshem will ich noch kurz benennen, es heißt "Der geheime Basar" und ist bei Rowohlt auf Deutsch erschienen. Vielen Dank an Sie beide und viel Glück!

Eshrat: Danke!

Leshem: Thank you!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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