Tiny Farming

Große Ernte auf kleinster Fläche

06:28 Minuten
Eine Frau in rosa Latzhose mit Hake in einem Gemüsebeet.
Eine Mikrofarm bei Berlin: Tiny-Farmerin Elisabeth Berlinghof auf dem Acker in Steinhöfel. © Anna Goretzki
Von Anna Marie Goretzki · 07.06.2022
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Bio-Gemüse zu kaufen, ist auch in Großstädten heute kein Problem. Regional produziert wird es jedoch noch viel zu selten. Ein alternatives Landwirtschaftsprojekt bei Berlin möchte das ändern - mit biointensivem Anbau auf kleinster Fläche.
„Intuitiv zuerst mal zu den Bohnen gehen, würde ich gerne mal kurz checken, ob die noch genug bewässert sind, das ist nämlich gerade so mein kleines Lieblingsprojekt, hier so eine spannende Vielfalt an Hülsenfrüchten reinzubringen.“
Elisabeth Berlinghof steuert auf ein Gewächshaus zu. Fühlt sanft wie feucht die Erde ist, in die sie gestern die Bohnen gesteckt hat. Die 27-Jährige ist eine der Gärtner und Gärtnerinnen hier auf der Tiny Farm in Steinhöfel, östlich und nicht weit von Berlin. Es ist eine Mikrofarm, auf der Biogemüse angebaut wird, das die „Tiny Farm Unternehmergenossenschaft“ an Berliner Restaurants und Biomärkte verkauft.

150 Kisten Ernte pro Tag

„Wir haben wirklich pro Tag teilweise 150 Kisten geerntet oder mehr und das drei Mal die Woche. Also da kommt aus so einer kleinen Fläche schon ganz schön viel raus. Deswegen heißt das ja auch biointensiver Anbau, weil man auf kleinster Fläche wahnsinnig viel produziert. Und ich meine, das ist insgesamt ein guter Hektar hier. Wenn man sich überlegt, wie viel man da anbauen könnte, wenn das alle machen würden.“
Eine Frau und ein Mann topfen Pflanzen auf einem Hochbeet um.
Teilnehmende der Tiny-Farm-Akademie lernen das Umtopfen von Tomatenpflanzen.© Anna Goretzki
Ihr und den anderen Mitarbeitenden bei Tiny Farms geht es darum, gesundes Bio-Gemüse zu produzieren und den Anteil von regional produziertem Gemüse für Großstadtbewohnende deutlich zu erhöhen, um den CO2-Fußbabdruck unserer Nahrung zu verringern. Dafür nutzen sie Bodenflächen, die für die herkömmliche Landwirtschaft und ihre großen Geräte zu klein sind.

Wenig regionales Gemüse in Städten

Der Wirtschaftswissenschaftler und frühere Unternehmensberater Jacob Fels ist einer der beiden Gründer und koordiniert aus dem Berliner Büro die Geschäfte.
„Wir haben festgestellt, dass es zwar Gemüse in den Städten gibt, auch Bio-Gemüse, aber sehr wenig regional. Also in Brandenburg, Berlin kommt eigentlich, ich würde mal sagen, fünf Prozent des Gemüses kommt eigentlich aus der Region. Und wir haben gesagt: Zu einer Ernährungs- und Agrarwende gehört nicht nur Bio, sondern gehört auch Regionalität. Und wir haben nach einer Lösung gesucht wie wir eigentlich mehr regionales Bio-Gemüse erzeugen können.“
Die zweite Gründungsmotivation: mehr Menschen den Einstieg in die Landwirtschaft beziehungsweise den Gartenbau ermöglichen. Denn die beiden Gründer stellten fest: Es gibt viele, die mit den Händen in der Erde arbeiten wollen. Auch bei Elisabeth war das so. Sie war begeistert, als sie von der Möglichkeit hörte, Klein-Gemüsebäuerin im Nebenberuf werden zu können. Jetzt ist sie bereits im zweiten Jahr „Tiny Farmerin“.

Lieferung direkt nach der Ernte

„Wir haben jetzt hier einfach nur einen Container stehen. Wir haben auch keine Kühlmöglichkeit oder sowas, sondern es ist so eine Art just in time ausgelegt, also dass das Gemüse wirklich genau dann geerntet wird und auch direkt zum Kunden gefahren wird. Also wenn wir hier morgens ernten, ist es mittags im Supermarkt. Und das einerseits ermöglicht, dass wir keine Lager- und Kühlräume brauchen und andererseits hat das aber auch einen super Einfluss auf die Qualität. So frisch bekommst Du ja normalerweise Gemüse nicht.“
Light- statt Hightech. Manpower und Womanpower statt große Traktoren. Sie greift zur Drahthacke und entfernt damit unerwünschte Beikräuter, die sich neben der Roten Bete breitmachen wollen. Um hier als Gärtnerin arbeiten zu können, hat sie ein Jahr lang die „Tiny Farms Akademie“ besucht.

Grundlagen des Gemüseanbaus lernen

Gerade hat der nächste Jahrgang begonnen. Für die künftigen Mikrofarmer findet auch heute wieder einer von insgesamt zehn Akademietagen statt. Ein Jahr lang erlernen sie so und beim Mitarbeiten auf dem Feld die Grundlagen des Gemüseanbaus. Gärtnerin Dana Rust leitet den Praxisteil an.
„Hier ist ein Beispiel von Tomaten, die leiden, das sieht man, oder? - Ach du meine Güte! - Das ist Nährstoffmangel, oder? – Nährstoffmangel! - Die haben eine andere Erde.“
Rund ein Dutzend Menschen lernen heute Tomaten umtopfen und den Umgang mit Jungpflanzen. Die Motivation der Teilnehmenden ist unterschiedlich: Einige wollen einfach ein bisschen gärtnern lernen oder Kenntnisse vertiefen, andere wollen Kleinproduzenten von Gemüse werden - und zwar nicht nur für den Eigenbedarf. Auch der 28-jährige Johann, der in einem Berliner Start-up arbeitet.

"Das aktuelle System funktioniert nicht"

„Ich werde auf jeden Fall hier auf irgendeiner Farm stehen. Es gibt so viele Beispiele dafür, dass das aktuelle System halt so nicht funktioniert. Ich habe vor 15 Jahren in der Schule gelernt, dass der Entwicklungsgrad eines Landes davon abhängt, wie viele Menschen in der Landwirtschaft arbeiten. Indien viele Menschen, Deutschland wenige Menschen, Deutschland ist weit entwickelt. Das war die Story. Bin mittlerweile aber der Überzeugung, wir müssen diese Massenlandwirtschaft durch Landwirtschaft in der Masse austauschen, also durch viele Menschen, die zurück in den Sektor gehen.“

Das Ziel ist es, bis 2030 eintausend Tiny Farms in ganz Deutschland nachhaltig zu bewirtschaften. Die Mikrofarmen sollen digital miteinander verbunden sein, um, so Gründer Jacob Fels, - nachfrageorientiert - abzustimmen, wo welches Gemüse angebaut wird.

Eintausend kleine Anbauflächen

Und: „All die Aufgaben, die nicht rein gärtnerische Aufgaben sind, Buchhaltung, Zertifizierung, Beschaffung von Materialien und Saatgut, Jungpflanzen, aber auch die Organisation von Vertrieb und Logistik, diese Aufgaben machen im Verhältnis zur Fläche eigentlich zu viel Aufwand. Und unsere Idee ist, wenn wir aber diese Services, wenn wir die poolen, wenn wir die gemeinsam machen, für viele Flächen, dann können wir genauso effizient arbeiten wie ein Großbetrieb.“
Mit den geplanten eintausend kleiner Anbauflächen für Bio-Gemüse möchte „Tiny Farms“ zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft beitragen.

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