Alter Mann mit Narrenfreiheit

Rezensiert von Wolfgang Schneider |
Der große alte Mann der amerikanischen Literatur, Kurt Vonnegut, meldet sich mit dem Buch "Mann ohne Land" zurück. Er beschreibt US-Präsident George W. Bush mitsamt Entourage als "machtbesoffene Schimpansen" und "antidemokratische Rüpel". Aber ein berühmter alter Mann hat eben Narrenfreiheit.
Sein Lebenselexier ist die Musik, vor allem der trübsalvertreibende Blues. "Durch Musik mag praktisch jeder das Leben lieber als ohne sie." Das Leben zu mögen ist jedoch nicht leicht. Große Literatur zum Beispiel handele fast immer davon, wie "grässlich" es sei, "ein menschliches Wesen zu sein". Wenn man alt sei, frage man seine Kinder nach dem Sinn des Lebens. Antwort: "Vater, wir sind auf dieser Welt, um einander beim Überstehen dieser Sache zu helfen, egal, was sie ist."

"Mann ohne Land" ist ein Buch, mit dem sich meinungsfreudig ein schon für ausgeschrieben gehaltener großer alter Mann der amerikanischen Literatur zurückmeldet. Es ist gewissermaßen das Dessert zu Kurt Vonneguts Lebenswerk. Zusammenkomponiert aus kleinen Aufsätzen und Reden der letzten Jahre.

Als "Mann ohne Land" präsentiert sich Vonnegut, weil ihm die jetzige Regierung wie eine scheußliche Besatzung des guten, alten Amerika vorkommt. Bush sei zur Macht gekommen durch einen "Mickey-Mouse-Putsch". Er und seine Entourage: machtbesoffener Schimpansen, antidemokratische Rüpel, aber immer aus "bester Gesellschaft". Und wie die Regierung gebärden sich die Firmen und die Medien: korrupt, habgierig, herz- und mitleidlos.

Ein berühmter alter Mann hat Narrenfreiheit. Das heißt nicht nur, dass er sich Wahrheiten erlaubt, die andere aus Rücksichten diverser Art lieber verschweigen. Es heißt auch, dass er die Dinge ganz, ganz einfach formulieren darf, ohne dass es peinlich unterkomplex wirken würde. So stellt er fest, dass die Politik der amerikanischen Regierung, die sich angeblich christlichen Werten verpflichtet weiß und eine Tafel mit den zehn Geboten in jedes Schulzimmer hängen möchte, der Ethik der Bergpredigt widerspricht. "Selig sind die Friedfertigen" – das sei nicht die Devise des Pentagons. Wer würde nicht belächelt für eine solche Bemerkung? Vonnegut nimmt man es ab.

Er empört sich über den Golfkrieg; auch die amerikanischen Soldaten behandele Bush wie "Spielsachen, die ein reiches Kind zu Weihnachten geschenkt bekommen hat". Vonnegut erinnert die Amerikaner an ihre eigene brutale Vergangenheit. Ethnische Säuberungen bei der Besiedelung des Kontinents, später skrupellose Expansionspolitik: Kalifornien, Texas, Utah, Nevada – alles den Mexikanern wegerobert. Das Maschinengewehr und der Stacheldraht – amerikanische Erfindungen.

Die gefährlichste Droge dieses Erdballs ist für Vonnegut das Öl. Die ganze Welt ist fossilbrennstoffabhängig im Stadium der Leugnung. Mit unserem "thermodynamischen Rabbatz" zerstören wir im Eiltempo die Erde als Lebenserhaltungssystem. "Den Planeten wird bald eine Kruste aus Totenschädeln und Knochen und totem technischen Gerät bedecken." Das sind die Töne der Öko-Apokalypse, wie sie in den achtziger Jahren en vogue waren und eine halbe Generation in zwischenzeitlichen Lähmungszustand versetzten. Seit längerem sind solche Töne außer Mode. Sicher, irgendwann werden die Katastrophen kommen. Und ein charmanter Apokalyptiker wie Vonnegut wird dann auf jeden Fall recht gehabt haben.

Vonnegut wundert sich, dass er immer in die Kategorie "Science fiction" einsortiert wurde, nur weil in seinen Büchern Technik eine wichtige Rolle spielt, ganz wie im modernen Leben. "Ich finde, dass Romane, in denen keine Technik vorkommt, das Leben so schlimm verfälscht darstellen wie die Viktorianer, bei denen kein Sex vorkam." Ein Technik-Freak ist Vonnegut jedoch keineswegs. Die Kommunikationsmedien etwa befördern seines Erachtens die Isolation und Frustration der Menschen. Vonnegut beschreibt die Genüsse des Prä-E-Mail-Zeitalters, als man noch zur Post gehen musste und mit der Frau am Schalter ein Schwätzchen halten konnte. Liebenswürdiger Gute-Alte-Zeit-Konservatismus, mit dem Vonneguts politische Radikalität durchzogen ist wie der rote Speck mit den Fettstreifen.

"Mann ohne Land" bietet zwei unterhaltsame Plauder-Stunden mit einem zu grimmigen Scherzen aufgelegten alten Mann. Vonnegut nutzt jede Gelegenheit, Sarkastisch-Satirisch-Salomonisches zu seinen Lieblingsthemen zu sagen. Und zwischendrin findet sich das schöne, allerdings schon wiederholt in seinen Büchern gelesene Bekenntnis: "Wir Humanisten versuchen, uns so anständig, so fair und so ehrenhaft wie möglich zu benehmen, ohne Belohnungen oder Bestrafungen in einem Leben nach dem Tode zu erwarten."

Auch was Vonnegut über die Bombardierung Dresdens und die Entstehung seines berühmtesten Romans äußert, steht bereits in demselben ("Schlachthof 5"). Ein Kapitel ist so oder ähnlich schon in Vonneguts letztem "letzten" Buch ("Gott segne Sie, Mr. Kevorkian") zu lesen gewesen, ohne dass ein Nachweis zu finden wäre. Kurz: die Suppe ist gestreckt worden, damit der Teller zumindest dreiviertel voll wird. Aber scharf gewürzt ist es trotzdem.

In einem Kapitel spricht Vonnegut über Komik. Mit Humor und Witzen hält man sich das Grässliche des Lebens auf Distanz, ein Schutzmechanismus. Aber irgendwann klappt auch das nicht mehr, wie beim alten Mark Twain, als kurz hintereinander seine Frau, zwei Töchter und sein bester Freund starben. Vonnegut hat demnach das Schlimmste noch vor sich. Denn noch hat er seinen Witz nicht ganz verloren.


Kurt Vonnegut, Mann ohne Land.
Übersetzt von Harry Rowohlt.
Pendo Verlag, 170 Seiten, 16,90 Euro.