Alte Neue Musik

Von Friederike Haupt |
Ob Werke von Karlheinz Stockhausen, Adriana Hölsky oder Hans Zender: Das Festival "musica viva" bringt Neue Musik geballt zur Aufführung. Dabei setzt es vor allem auf große Namen und etablierte Werke. Kompositionen und Musikexperimente junger Künstler sind bei den Konzerten in München selten zu hören.
Das erste "musica viva" Festival in München wird vom Bayerischen Rundfunk ausgerichtet und begann mit Werken des jüngst verstorbenen Komponisten Karlheinz Stockhausen - und zwar vorwärts und rückwärts gespielt: Mixtur 2003 geht auf eine Partitur von 1964 zurück.

Manchmal glaubt man, sich im schmalen Elfenbeinturm der Neuem Musik tatsächlich zu verlaufen, verloren zu gehen im Universum der Neutöner, zumindest, solange diese den Bodenkontakt nicht finden und gezielt in höhere Sphären abheben, wohin möglichst wenige folgen können sollen.

Ohne Humus aber kann dauerhaft nur Treibhausgut gedeihen auf den Wurzeln der Altmeister wie Stockhausen. Der Bodenkontakt wäre im Brückenschlag zur lebendigen Szene auch in München sicher gut verankert. Denn zum ersten Mal bietet "musica viva", die inzwischen schon fast legendäre Reihe ein ganzes Festival Neuer Musik über mehrere Wochenenden an.

Die großen Namen der süddeutschen Hemisphäre sind unter anderem Experimentalstudio für Akustische Kunst und vier Sinfonieorchester deutscher Rundfunkanstalten. Das Festival aber zeigt sich nicht innovativ sondern insgesamt eher retrospektiv: Selten gespielte Meilensteine der sogenannten Neuen Musik, die es inzwischen auch bereits seit hundert Jahren gibt, werden zu Gehör gebracht, dazu Uraufführungen von neuen Werken lebender Komponistinnen und Komponisten und leider nur ganz am Rande Experimentelles oder gar Gewagtes.

Was Fragen aufwirft, was noch nicht Elite ist, was aus dem Humus einer lebendigen Szene stammt und noch nicht etabliert ist, Klangkunst, Installationen, Aktion, Experiment, Spartenübergreifendes, das fehlt diesem Festival noch.

Allerdings: Dass überhaupt ein Festival für Neue Musik in diesen Ausmaßen in München möglich wurde, ist dem Bayerischen Rundfunk zu danken, der diesen Versuch der musikalischen Befruchtung in einer Stadt des vorrangigen Kunst-Konsumierens, wenn auch noch viel zu brav, immerhin ausrichtet. Dass dieses für München so kostbare Festival inhaltlich mehr rückschauend angelegt wurde, als zukunftsweisend, beweist einmal mehr, mit wie viel Widerstand auch die Elite der Neuen Musik zu rechnen hat, wenn sie sich jenseits der etablierten Namen und Werke zu bewegen versucht.

Wer mit der Erwartung, musikalische Räume für das 21. Jahrhundert zu entdecken, hier als engagierter Hörer dem Geschehen beiwohnt, wird verwundert sein und stattdessen Wiederaufführungen selten gehörter Werke des zwanzigsten Jahrhunderts sowie einige durchaus spektakulär zu nennende Uraufführungen erleben. Etwa Adriana Hölskys neuestes Werk, "Countdown", kommenden Freitag. Vier Alphörner, vier Posaunen, vier Konzertflügel, acht Schlagzeuger - und ein Countertenor sind vorgesehen zu Texten des Dichters Ver du Bois zu singen, der eine Odyssee durch Obdachlosenwohnheime erlebt und die dadurch entstehenden Identitätswechsel thematisiert hat. Die Veranstaltung ist bereits ausverkauft.

Oder Hans Zenders Logos-Fragmente am vergangenen Sonntag, ein Werk, das an die oratorische Tradition anknüpft mit großem Orchester und einem hervorragend intonierenden Vokalensemble des Südwestrundfunks. Die Logos-Fragmente von Hans Zender erlebten anlässlich des "musica viva" Festivals in München eine Teiluraufführung. An diesem großen oratorischen Werk wird noch weitergearbeitet. Neue Musik findet in München durchaus ihr Auditorium: Ausverkaufte Säle anlässlich dieses Festivals beweisen das.

Experimentelles, Spartenübergreifendes und Medienkunst aber haben es schwer sich hier zu entwickeln und Anerkennung zu finden. München hat ein konventionelles Pflaster. Der Humus auf dem eine lebendige Szene vor Ort weiter gut gedeihen könnte ist ziemlich dünn besät. Neue Anregungen, Begegnungen, quasi eine Vitaminspritze, die so ein Festival auch sein könnte, täte den Künstlern vor Ort gut. Dazu müsste man sie und ihr Publikum aber einbeziehen, jenseits der großen Komponisten-Namen, die München ja durchaus in der Neuen Musik zu bieten hat, Karl Amadeus Hartmann etwa, er war seinerzeit der Gründer der Reihe "musica viva". Lebendige Musik will der jetzige Intendant Udo Zimmermann vermittelt wissen - noch aber fehlt, wie gesagt, die Bodenhaftung.

"In jeder Stadt ist die alternative Szene, ich meine nicht die Basiskultur, Subkultur, ich meine wirklich alternativ, die eine andere Tonkonzeption entwickelt, und die muss man ausfindig machen und die müssen wir stärker in unsere Programme und Konzepte integrieren; absolut, dass wir nicht auf einem Höhenflug landen und sozusagen von oben herab: Kucken wir mal, ob da noch was ist. Wir können ohne diesen Boden der jungen Generation gar nicht. Weil aus diesem Festival ja auch unsere Schlussfolgerungen ziehen. Es geht um die Aktualität der Situation der zeitgenössischen Musik; und die überhaupt als Schlussfolgerung nur zum Ziel haben kann, dass wir die junge Generation und nicht nur die deutsche, sondern die europäische, wenn nicht sogar globale stärker in unsere Überlegungen einbeziehen."

Dieses Statement des Festivalintendanten Udo Zimmermann weckt ja durchaus Hoffnungen. So könnte ein Festival dieser Größenordnung zukünftig die Kunstschaffenden der neuen Musikszene vor Ort einbinden, könnte Grenzen öffnen, hin zur Avantgarde anderer Musikkulturen, könnte Medienkunst und radiofone Klangkunst ohne allzu großen Aufwand einfügen und vieles mehr.

Aber noch findet kein Transfer statt, keine Kommunikation etwa zwischen den ägyptischen Sufisängern in der Münchener Muffathalle und den Vertretern unserer Postmoderne oder sagen wir besser, der Past-Moderne, die sich langsam aber sicher aus ihrem Elfenbeinturm lösen und mit globalen Musikentwicklungen wird auseinandersetzen müssen. So bleibt es bei exotischen Beigaben als Bezeugung des guten Willens. Viel zu wenig zu Wort kommen experimentelle Musiker, Medienkünstler, Klangbildhauer und wie sie sonst noch alle genannt werden.

Fragestellungen, Neubegegnungen könnte solch ein Festival zukünftig hervorrufen, nicht nur Echos evozieren zum Weg, den die Moderne bisher genommen hat. Ein einziges Vorzeigemodell einer Klanginstallation von Erwin Stache, auch kein neuer Name in der Szene übrigens, muss also für dieses Mal "musica viva" genügen.

64 Holzkästen, die mit einer Saite bespannt sind, stehen auf dem Boden. Unregelmäßig schlägt ein kleiner Klöppel sie an und die Saiten beginnen zu schwingen. Drumherum gruppiert sich ein Orchester aus Waschmaschinenscheiben, die einen kleinen Klick von sich geben. Das Geheimnis der Komposition, wenn man so sagen will, liegt in unregelmäßigen mathematischen Reihen. So entsteht ein auf Dauer magisches Klangbild, das sich definitiv nicht wiederholt.

Wer Werke von etablierten Komponisten der Neuen Musik erleben will, von Aribert Reimann, James Dillon und Jörg Widmann, von Chaya Czernowin, Rebecca Saunders oder Liza Lim mit einem neuen Werk für Bratsche und Orchester etwa oder einem Cellokonzert von Gerhard Stäbler, hat dazu an den nächsten zwei Wochenenden in München reichlich Gelegenheit.

Ein Symposium zum Thema "Kunst und Experiment" das den Stand und die Rezeption neuer Musik beleuchtet mit Komponisten, Musik- und Medientheoretikern begleitet das "musica viva" Festival, das Neue Musik zwar geballt in München zur Aufführung bringt, Neuentwicklungen aber noch nicht genügend befragt und zeigt.


Weitere Informationen:

"musica viva"
25. Januar bis zum 15. Februar 2008, München
Karten über: 089-5900-3658 oder musicaviva@brnet.de