Alte Kriminalität in neuem Gewand

Von Gottfried Stein, ARD-Studio Südamerika |
Vor Jahren galt die kolumbianische Metropole Medellin als die kriminellste Stadt der Welt. Das änderte sich, als Pedro Fajardo das Bürgermeisteramt übernahm und gewalttätige Stadtteile befrieden ließ. Dazu hat er sich paramilitärischer Gruppen bedient, das sind private, aber von der Regierung geduldete, wenn nicht unterstützte Einheiten, die im Kampf gegen die Guerilla gegründet wurden.
Jetzt allerdings steigt die Mordrate in Medellin wieder, vor allem wegen der Kriminalität der Paramilitärs. Manuel Santos, vom kommenden Wochenende an Präsident Kolumbiens, behauptet allerdings, solche Gruppen gäbe es gar nicht mehr. Gottfried Stein über Medellin und die Geister, die der ehemalige Bürgermeister der Stadt gerufen hat.

Szenen, die die Bürger in Angst und Schrecken versetzen: Täglich kommt es in Medellin zu wüsten Schießereien – meist sind es Banden, die um die Vorherrschaft in bestimmten Stadtvierteln kämpfen. So wie diese Frau trauen sich viele kaum mehr auf die Strasse:

""Ich bin immer unruhig. Man ist nie gelassen, weil man nie weiß, ob man im eigenen Haus von einem verirrten Schuss getroffen wird, ob sich einer bei dir verstecken will, dann erwischt es auch dich"."

Einst galt Medellin als die kriminellste Stadt der Welt, zu Zeiten der großen Drogenkartelle um Pablo Escobar. Dann kamen die sogenannten Paramilitärs, gegründet zum Kampf gegen die FARC-Guerilla, aber selbst in Drogengeschäfte verwickelt und verantwortlich für schwerste Verbrechen. Unter der Führung des berüchtigten Kommandanten Murillo Bejarano alias "Don Berna" besserte sich die Lage. Rechtsanwältin Adriana Arboleda:

""Ungefähr seit 2000 hatten wir hier in Medellin eine absolutistische Herschafft von 'Don Berna'. In dieser Stadt hat sich nichts bewegt, wenn dieser Mann das nicht befohlen hat. Das Interessante ist aber, wie gehorsam die Leute sind. Wenn ein Chef der Paramiliärs sagt: Hier wird etwas nicht getan, dann tun die Leute es auch nicht. Sicher ist: Derjenige, der hier die Macht hat, ist ein Paramilitär"."

Weil Don Berna auch das Verbrechen kontrollierte, ging die horrende Mordrate von jährlich mehreren Tausend Toten zurück. Dafür hatte er weitgehend freie Hand bei seinen illegalen Machenschaften. Unter dem liberalen Bürgermeister Pedro Fajardo wandelte sich das Image der Stadt. Luis Quija no Moreno von der Rechtsorganisation Corpades:

""Wir behaupten, dass man hier eine städtische Co-Regierung sehen kann. Die Illegalität regiert zusammen mit der legalen Regierung. Das ist die große Sünde des ehemaligen Bürgermeisters Fajardo, die große Sünde des Präsidenten Uribe, und die größte Sünde ist, dass sich gezeigt hat, dass es die Illegalität unbedingt braucht, um in der Stadt Ruhe herzustellen"."

Nach Angaben von Präsident Uribe und seines Nachfolgers Juan Manuel Santos gibt es keine Paramilitärs mehr in Kolumbien, aber trotzdem beherrschen sie weiterhin die Stadt. Sie kontrollieren den Drogenhandel, die Prostitution und sie erpressen von Geschäften, Bussen oder Taxis Schutzgelder. Luis Qujano vermutet einen Komplott:

""Einige Politiker dieser Stadt verbündeten sich mit dem Verbrechen, um die Kriminalitätsraten zu vermindern. Und tatsächlich: Die Mordrate ging auf unter 500 im Jahr zurück. Einige nennen es die Epoche des Don Bernalismus". "

Seit 2005 aber sitzt Don Berna im Gefängnis, und inzwischen wurde er auf Druck Washingtons wegen Drogenhandels in die USA ausgeliefert. Die Folge war eine Zersplitterung der Paramilitärs und ein drastischer Anstieg der Tötungsdelikte:

Adriana: ""Das mittlere Management der Organisation begann sich darüber zu streiten, wer der neue Chef sein soll. Was passiert also in Medellin? Die Stadtviertel, die vorher einem einzigen Chef gehorchten, sind jetzt im Gefolge von drei verschiedenen Chefs. Und nach dieser Logik haben sie viele junge Männer umgebracht, die zu der einen oder anderen Gruppe gehören"."

Jetzt wünschen sich viele Bürger baldmöglichst einen neuen "Don Berna", einen mächtigen Mafiachef, den alle respektieren und der für Ruhe sorgt.