Alte Birnensorten

Mit Vielfalt dem Klimawandel begegnen

06:33 Minuten
Die "Köstliche von Charneux", eine alte Birnensorte, an einem Baum
Die "Köstliche von Charneux" – eine fast vergessene alte Birnensorte, die schon Fontane und Friedrich II. gegessen haben. © imago/Manfred Ruckszio
Von Christoph Richter · 04.06.2019
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Im letzten Jahrhundert soll es 2000 verschiedene Birnensorten gegeben haben – heute beherrschen gerade mal fünf den Markt. Alte Saatgutsorten sind aber nicht nur wertvolle Naturschätze. Sie können eine Rückversicherung in Zeiten des Klimawandels sein.
"Wir haben heute zwar Birnen das ganze Jahr über. Aber es sind ganz wenige Sorten, die wir da vorfinden. Die können wir an einer, höchstens an zwei Händen abzählen."
Klagt Brita von Goetz-Mohr. Sie residiert im altmärkischen Welle bei Stendal in einem herrschaftlichen preußischen Gutshaus. Im parkähnlichen Garten wachsen alte Birnbäume, vergessene Sorten wie die "Köstliche von Charneux." Mehr als nur eine Tafelbirne, ein geschmackliches Kulturgut, meint Goetz-Mohr.
"Es ist so, dass alle Regionen der Republik mal Regional-Sorten aufzuweisen hatten. Wunderbar differenzierte Sorten, die sich den klimatischen Verhältnissen, den Bodenverhältnissen angepasst haben. Natürlich Früchte, die nicht der EU-Norm entsprechen."

Alte Sorten sind besser an Trockenheit angepasst

Viele der alten Obstsorten kämen besser klar mit Trockenheit und Hitze, als neue gezüchtete Obstsorten. Wenn man alte Sorten erhält, auf Vielfalt setzt, könne man auf den Klimawandel reagieren, sagen Experten. Einer von ihnen ist der Pflanzenökologe Stefan Klotz vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle.
"Alte Sorten waren gerade auch – insbesondere in den Streuobstwiesen – an trockenere Orte angepasst. Und wenn wir jetzt vom Klimawandel reden und es vielleicht trockener wird, dann können wir diese Eigenschaften sehr gut gebrauchen. Und deshalb sind Alte Sorten eine Art Rückversicherung für uns, für bestimmte Eventualitäten – wo wir noch gar nicht wissen, ob sie eintreten."
Klotz kritisiert, dass das Gros der Landwirte nicht auf die Vielfalt von Arten setzt. Beispiel Birnen: Noch im letzten Jahrhundert soll es rund 2000 verschiedene Birnensorten gegeben haben, jetzt beherrschen gerademal fünf Sorten den Markt.

Drei Nutzpflanzen decken 50 Prozent der Welternährung ab

Laut Angaben der UN-Welternährungsorganisation decken nur drei Nutzpflanzen – Reis, Mais und Weizen – 50 Prozent der Welternährung ab. Wenn es dann zu Schädlingsbefall komme, könne das zu einem großen Problem werden. Alte Sorten haben sich dagegen über Jahrhunderte bewährt.
Dennoch: Andreas Graner warnt davor, sie zu idealisieren.
"Ich denke, das ist Wunschdenken. Denn es ist eindeutig, dass alte Kulturpflanzen an die Leistung moderner Sorten nicht herankommen. Und wir die Erde mit der wachsenden Bevölkerung in Zukunft nicht ernähren können, wenn wir wieder auf alte Nutzpflanzen zurückfallen. Und die unter dem Gesichtspunkt der Biodiversität und Erhaltung der Biodiversität wieder auf unseren Feldern anbauen."

130.000 Kulturpflanzen in der Genbank für Nutzpflanzen

Graner ist Wissenschaftler, kein Romantiker. Und der Chef einer der weltweit größten Genbanken für Nutzpflanzen. Die befindet sich im verschlafenen Gatersleben, 50 Kilometer südwestlich von Magdeburg. Hier finden sich Samen von rund 130.000 Kulturpflanzen aus der gemäßigten Klimazone. In mächtigen, zehn Meter hohen Regalen stapeln sich abertausende von Einmachgläsern.
"Das lagert alles bei einer Temperatur von minus 18 Grad Celsius und bei einer Luftfeuchtigkeit zwischen 50 und 60 Prozent."
Die Idee, die dahinter steckt: Weil immer mehr Pflanzen vom Aussterben bedroht sind, hat man in Gatersleben bereits vor 60 Jahren begonnen eine einzigartige Bibliothek aufzubauen. Um die pflanzengenetischen Ressourcen an einem zentralen Ort zu erhalten. Denn rund 20 Prozent aller Pflanzenarten seien vom Aussterben bedroht, heißt es beispielweise im aktuellen Jahresbericht "State of the world plants" der renommierten Londoner Royal Botanic Gardens, Kew.

Ernährung der Weltbevölkerungen braucht Innovationen

Aber in der Genbank werden nicht nur Samen aufbewahrt, sondern man betreibt auch Grundlagenforschung für die Entwicklung neuer Sorten, die als Nahrungsgrundlage dienen können.
Konkret heißt das: "Wir müssen in Zukunft in der Lage sein, mit weniger Pflanzenschutz und mit weniger Mineraldünger mindestens gleich hohe Erträge – oder unter Berücksichtigung des Bevölkerungsanstiegs – höhere Erträge auf den zur Verfügung stehenden Flächen zu erzielen. Das ist eine große Herausforderung, welche Innovationen benötigt. Und diese Innovation bzw. Grundlage für die Innovation sind die Forschungsarbeiten, die wir hier in Gatersleben unter anderem durchführen."
Alte Saatgutsorten gehören zu unseren wertvollsten Naturschätzen, sagt Pflanzengenetiker Graner. Aber um in Zukunft die Sortenvielfalt zu vergrößern, komme man um den Einsatz der Gentechnik nicht drum herum. Genau das kritisieren Umweltverbände, wie der BUND. Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen gefährdeten die Sortenvielfalt. Das Saatgut werde dabei auf wenige Gentechniksorten konzentriert, heißt es.

Eine Birnensorte, die schon Fontane gegessen hat

In Welle bei Stendal hält man nichts vom Einsatz moderner Technik. Hier will man – ohne großes Brimborium, ohne modernen Züchtungs-Schnickschnack – einfach alte Birnensorten erhalten. So erzählt es zumindest Brita von Goetz-Mohr, die sich der Rettung alter Obstsorten verschrieben hat, die auch schon Fontane und Friedrich II. gekannt und gegessen haben. Die "Köstliche von Charneux" sei einfach eine edle, aber gleichzeitig so unverwüstliche Birnensorte.
"Auf jeden Fall. Sie sind viel resistenter. Ich glaube, dass die Birne eine große Zukunft hat. Ich glaube, dass sie eine große Bereicherung für uns alle ist."
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