"Alte Bekannte"

Von Volkhard App |
Paula Modersohn-Becker war eine der bedeutendsten Vertreterinnen des frühen Expressionismus. Unter dem Titel "Ein kurzes intensives Fest" waren zahlreiche ihrer Werke ein halbes Jahr lang in Japan unterwegs. Nun sind die Bilder - einige in restaurierter Originalfassung - wieder in Bremen zu sehen.
Die knorrigen Worpsweder Bauern sind aus dem Fernen Osten nach Bremen zurückgekehrt, diese sturen, nicht gerade hübschen Gestalten. Heimgekommen sind aber auch die fürsorglichen Mütter mit ihren Kindern, die von Modersohn-Becker gemalten Birken-Landschaften sind wieder da, die häuslichen Stilleben und die zahlreichen Selbstporträts, auf denen sich die Künstlerin fragend, aber auch stolz und eigensinnig zeigt.

Ihre Entwicklung darf immer wieder bestaunt werden - wie sie auf ihren Parisreisen die Fenster weit aufmachte, eine Flucht versuchte aus der ehelichen Enge, weg aus der Worpsweder Künstlerkolonie, hin zu neuen stilistischen Dimensionen. Manches ihrer Stilleben scheint zum Beispiel in der geometrischen Zuspitzung der Früchte von Cezanne beeinflusst, und das gegen Lebensende gemalte starkfarbige Bild mit der "Alten Armenhäuslerin" hat mit Gauguins Tahiti-Figuren mehr zu tun als mit der Erdenschwere von Worpswede. Und, so fragen sich die Veranstalter dieser Schau: sind die zwei verloren dreinblickenden Mädchen von 1906 nicht womöglich von Picassos "blauer Periode" beeinflusst?
Ein halbes Jahr war diese aus drei Bremer Sammlungen und von Einzelleihgebern stammende Auswahl in Japan unterwegs. Von einer Begeisterung für das Werk dieser Künstlerin wird berichtet - aber auch von Schocks. Rainer Stamm, Direktor des Paula Modersohn-Becker Museums in der Böttcherstraße:

"In Bremen hofft man, dass diese deutsche Künstlerin zu einer festen Größe in der japanischen Öffentlichkeit geworden ist. Möglich ist aber auch, dass ihr Werk dort nur ein Randphänomen bleibt."
"Ein kurzes intensives Fest" - der Titel dieser Schau stammt aus Modersohn-Beckers Tagebuchnotiz von 1900, die gern zitiert wird, weil sie so gut zur tragischen Biographie der mit 31 Jahren gestorbenen Künstlerin zu passen scheint.
Zu einem Fest könnte auch die Ausstellung werden, weil all diese Exponate sonst selten in einem Haus konzentriert sind – und hier handelt es sich immerhin um das expressionistisch anmutende Gebäude, das der Kaffee-Unternehmer und Kunstsammler Ludwig Roselius für Modersohn-Beckers Oeuvre bauen und 1927 eröffnen ließ.

An wenigstens zwei Stellen dieser Schau wird es besonders spannend: Arglos geht man vielleicht an dem "Mädchen mit Holzpferdchen" von 1903 vorbei, daneben hängt ein Gemälde mit einem Säugling, den die Hand der Mutter berührt. Diese beiden Bilder aber gehörten ursprünglich zusammen. Sie wurden - mit einem dritten – von der Künstlerin aus einem viel größeren Gemälde herausgeschnitten, weil ihr diese Arbeit im ganzen nicht mehr gefiel.

Kam man hier einem nicht mehr existenten Werk auf die Spur, so liegt der Fall bei dem "Mädchen im Birkenwald mit Katze" noch ganz anders. Dieses Bild glaubt man von unzähligen Reproduktionen her gut zu kennen. Aber der obere Teil ist lange nach dem Tod der Künstlerin von fremder Hand hinzugefügt worden, angeblich um die Komposition zu verbessern, und auch die Baumstämme im Hintergrund hatten bei Modersohn-Becker noch etwas anders ausgesehen. Im Zuge der Restaurierung stellte man ihre eigene Fassung wieder her und entfernte anlässlich der Japan-Tournee bei manch anderen Gemälden die hinzugefügten Firnisschichten. Wer genau hinsieht, wird auch feststellen, dass sich bei stilistisch besonders eigenwilligen Werken die eine oder andere Jahresangabe verändert hat, diese Gemälde sind nun in der unmittelbar letzten Schaffensphase dieser Künstlerin angesiedelt. So ist ihr Ouevre auf faszinierende Weise noch immer in Bewegung. Und auch die Rezeption insgesamt hat sich gewandelt. Rainer Stamm:

"Alte Bekannte scheinen nach Bremen zurückgekehrt - tatsächlich aber ist es möglich, auf die berühmten Zeichnungen und Gemälde nun einen neuen Blick zu werfen."