Alt und Neu auf Augenhöhe

Von Adolf Stock · 10.12.2008
Drei Jahrhunderte lang war die Burg Ruine: Jetzt wurden die historischen Mauern Teil eines Ergänzungsbaus für das Kunstmuseum Moritzburg in Halle. In Anwesenheit von Bundespräsident Horst Köhler wurde der Erweiterungsbau des spanischen Architektenbüros Fuensanta Nieto und Enrique Sobejano mit einem Festakt eröffnet.
Halle hat ein neues Wahrzeichen bekommen, die Madrider Architekten Fuensanta Nieto und Enrique Sobejano haben die altehrwürdige Moritzburg in das 21. Jahrhundert katapultiert. Katja Schneider, Leiterin des Kunstmuseums Moritzburg:

"Die Moritzburg erfindet sich neu. Wir sind zum ersten Mal ein richtiger funktionierender Museumsorganismus, vorher war das alles nur Stückwerk und sehr, sehr bescheiden. Aber auch für die Burg ist es eine ganz, ganz neue Perspektive, denn der Rückbau dieser historistischen Einbauten, die die Burg über 100 Jahre, ich sag's mal ganz salopp, verstopft haben, dieser Rückbau und diese Weitung, die jetzt eingetreten ist mit dem modernen Erweiterungsbau, holt auch das Baudenkmal Moritzburg ganz neu und ganz anders in den Blick."

Wohl wahr. Die Spanier haben eine kraftvolle und selbstbewusste Architektursprache gewählt. Kein modischer Minimalismus und erst recht keine selbstverliebte Postmoderne. Alt und Neu begegnen sich hier auf Augenhöhe. Der Architekt Enrique Sobejano:

"Wir hatten es bei diesem Gebäude mit zwei Flügeln zu tun, dem Nordflügel und dem Westflügel, die im Dreißigjährigen Krieg, also vor 300 Jahren fast vollständig zerstört wurden. Wir wollten nicht damit anfangen, kleine Erweiterungen hier und dort hinzuzufügen. In gewisser Weise hatte das Gebäude noch seine ursprüngliche Einheit bewahrt.

Und nach unserem Eingriff wird diese Einheit durch das neue Dach erreicht, das man auch als Dachlandschaft bezeichnen könnte. Und an diesem neuen Dach sind sogar die neuen Ausstellungsräume aufgehängt, sodass man sagen kann, dass fast alles durch eine einheitliche Idee definiert wird, durch das neue Dach mit den hängenden Boxen, in denen sich die neuen Ausstellungsräume befinden."

Wie ein riesiges Modul haben die Architekten das Dach auf die alten Mauern der Burg gesetzt. Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister von Sachsen-Anhalt:

"Ich hatte Spaß an dem Dach, weil ich ja als Mitglied der Jury bei der Auslobung der Entscheidung mitgewirkt habe, und erinnere mich an das Modell. Man konnte nämlich bei dem Modell das Dach abnehmen und konnte sehen, dass diese Box tatsächlich in der Ruine hängt, es ist also nicht ein optischer Trick, eine Illusion, sondern es ist tatsächlich physikalische Realität, dass diese Box eingehängt wurde in die alten Mauern aus dem Dreißigjährigen Krieg. Mir imponiert das sehr."

Die Ausstellungsboxen werden im oberen Stockwerk durch eine großzügige Galerie verbunden. Ganz am Ende bietet das "Feininger Fenster" einen Ausblick auf die historischen Türme der Stadt. Ein Panorama, das Lyonel Feininger von hier aus mehrfach auf Leinwand gebannt hat.

Enrique Sobejano: "Wir mussten eine Menge technischer Probleme lösen, die sich aus dem historischen Gebäude, der Ruine ergaben, aber daneben ging es auch um die Tatsache, dass hier diese expressionistischen Gemälde gezeigt werden sollen, also Bilder von Schmidt-Rottluff und auch Feininger, auf den wir uns auch bezogen haben, denn seine scharfen, winkligen Formen haben sich unserer Meinung nach auch im Dach der neuen Moritzburg widergespiegelt."

Das Dach ist auch eine Reminiszenz an den Charakter der Sammlung. Anfang des letzten Jahrhunderts gehörte die Moritzburg neben dem Essener Folkwang-Museum und dem Berliner Kronprinzen-Palais zu den wichtigen Ausstellungsorten der Moderne. Hier waren die Werke der Expressionisten und Konstruktivisten zu sehen. Kunst, die später von den Nazis als entartet diffamiert und verfolgt worden ist. Heute gibt es in Halle nur noch wenige hochkarätige Werke, die eher stellvertretend für die einst so umfangreiche Sammlung stehen.

Katja Schneider. "Ein Klimt, ein Munch, zwei frühe Gemälde von Beckmann, ein wunderbarer Kirchner, Plastiken von Lehmbruck, von Minne, einzigartige Werke einzeln, aber insgesamt fügen sie sich dann doch wieder zu einem Bild der Epoche zusammen."

Ein überschaubarer Bestand, der jetzt durch die Sammlung von Hermann Gerlinger ergänzt werden konnte.

Jan-Hendrik Olbertz: "Er hat eine biografische oder monografische Sammlung angelegt der vier wichtigsten Maler der Brücke und hat damit, indem er später entschieden hat, diese Sammlung auf Dauer hier an die Moritzburg zu binden, genau diesen Anschluss auch gefunden, das Sammlungsprofil der Moritzburg wieder aufzunehmen, zu ergänzen.

Das ist auch in der DDR gepflegt worden, aber unter so elend eingeschränkten Bedingungen, abgeschnitten vom internationalen Kunstmarkt, sodass man also Rückkäufe so gut wie gar nicht leisten konnte. Und das ist ein Stück Habitus dieses Museums, der Expressionismus, und dass wir hier jetzt eine renommierte Sammlung auf Dauer zeigen können. Und ich bin unglaublich froh, dass das geglückt ist."

Mit der Sammlung Gerlinger gewinnt die Moritzburg wieder deutlich an Profil. Ihr ist es wohl auch zu verdanken, dass das Land Sachsen-Anhalt so freigiebig in die Staatsschatulle griff. 18 Millionen Euro. Aufschwung Ost. Auf der Moritzburg wurden historische Wunden geheilt, und es wird mutig in die Zukunft geblickt. Ein guter Grund nach Halle zu fahren. Kulturminister Jan-Hendrik Olbertz ist jedenfalls stolz auf ein rundum gelungenes Werk.

Jan-Hendrik Olbertz: "Ich finde, wir müssen auch Spuren legen, die von unseren Kindern und Enkeln betrachtet, bewertet, entschlüsselt und hoffentlich auch gepflegt und bewahrt werden, und das ist hier gelungen. Man sieht den Ausgangspunkt, den historischen, man sieht aber auch den selbstbewussten und selbstgewissen Schritt auch etwas von unserer Zeit zu hinterlassen, und deswegen gefällt mir das einfach so, und ich finde es atemberaubend schön."